Ungarn Orbán enteignet deutsche Unternehmer

Viktor Orban Quelle: imago images

Ungarns Premier Viktor Orbán zerstört den Rechtsstaat. Darunter leiden auch zahlreiche deutsche Unternehmer. Sie werden ihres Landbesitzes beraubt – und faktisch enteignet.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Das Gerichtsurteil, das die Münchner Unternehmerfamilie Bagusat um mehr als zwei Millionen Euro erleichtert, fällt an einem ungemütlichen Vormittag Mitte April in Budapest. Bernd Bagusat und seine Frau Cornelia Inderst haben in einer schweren Holzbank im Sitzungssaal 1.03 des obersten ungarischen Gerichts Platz genommen. In der Reihe vor ihnen sitzen die Beklagten, das ungarische Ehepaar Váary und ihr erwachsener Sohn in Nationaltracht: die Männer in grünen Jankern und Krawatten mit Jagdmotiven, Frau Váary in einem mächtigen, dunkelblauen Rock. Früher waren die Váarys und Bagusats befreundet. Doch das war, bevor Ungarns Premier Viktor Orbán die EU spaltete.

2,4 Millionen Euro. Das ist der Betrag, um den es hier geht. So viel haben die Váarys für einen landwirtschaftlichen Betrieb in Ungarn bekommen, den sie jahrelang treuhänderisch für die Bagusats hielten. Das Geld, urteilt das höchste Gericht an diesem Tag, müssen die Váarys deshalb auch zurückgeben; schließlich waren sie nie Besitzer des Landes. Allerdings gehen die Millionen nicht an die Eigentümer aus München, sondern könnten an den ungarischen Staat gehen, so das Urteil. Denn, so die Richterin, die Treuhandvereinbarung zwischen den Familien ist ungültig. Weder Váary noch seine Anwältin wollen sich zu dem Fall äußern.

Es sind Verträge, wie sie Hunderte Ausländer in Ungarn geschlossen haben. Auch deshalb sollen die De-facto-Enteignungen auf höchster Ebene Thema werden: beim EU-Gipfel in dieser Woche.

Bernd Bagusat und seine Frau Cornelia Inderst. Quelle: Privat

Nicht nur die Bagusats aus München, auch die deutsche Unternehmerfamilie Braun, deren gleichnamiger Medizinkonzern gut sechs Milliarden Euro im Jahr umsetzt, bangt jetzt um ihren mehrere Tausend Hektar umfassenden ungarischen Landwirtschaftsbetrieb. Oder der österreichische Spediteur Wolfgang Hyden, der sich ein Wochenendhaus mit Pfirsichgarten am Plattensee kaufte. Eine Million Hektar Land sind nach Angaben der Behörden in Budapest in ausländischer Hand. Und die Regierung unter Premier Orbán tut alles, um die Besitzer zu enteignen. „Hier wird legal gestohlen“, sagt ein hoher EU-Spitzendiplomat in Budapest.

Und so ist der fragwürdige Urteilsspruch gegen Bagusat nur ein weiterer Beleg für das rapide erodierende ungarische Rechtssystem.

Für Bernd Bagusat beginnt das ungarische Rechtsstaatsabenteuer Ende der Neunzigerjahre mit dem Kauf von rund 1000 Hektar Land. Der Zehn-Millionen-Einwohner-Staat, so die Hoffnung, wird bald der Europäischen Union beitreten; dann dürfen mit der Umsetzung der Landwirtschaftsrichtlinie auch Ausländer in Ungarn Land besitzen. Noch allerdings braucht er einen lokalen Treuhänder. Bagusat, Hobbyjäger und Pferdezüchter, gewinnt seinen ungarischen Freund und Jagdgefährten Váary für diesen Job. Alles wird notariell festgeschrieben.

In den folgenden Jahren investiert Bagusat 3,9 Millionen Euro und verwandelt eine marode Kolchose am Plattensee in einen hochmodernen landwirtschaftlichen Betrieb. Schnell ist er größter Arbeitgeber der Region. Der erste große Rückschlag kommt 2004. Ungarn ist inzwischen EU-Mitglied, doch statt die Landwirtschaftsrichtlinie wie geplant umzusetzen, verfügt die Regierung: Ausländer dürften keine landwirtschaftlichen Flächen besitzen. Also beschließen die Investoren, ihre Betriebe fortan im sogenannten Nießbrauch zu bewirtschaften, eine Art verschärfte Pacht: Der lokale Treuhänder bekommt jedes Jahr eine bestimmt Summe, dafür gehören dem Unternehmer die Einnahmen aus dem Betrieb. Bagusat zahlt Váary nun 10 000 Euro pro Jahr.

Weitere zehn Jahre später, in Budapest regiert jetzt Orbán, kassiert Ungarn auch die Pachtlösung: Tausende EU-Ausländer sollen über Nacht enteignet werden. Die EU verklagt Ungarn, der Europäische Gerichtshof verurteilt das Land, doch die Regierung in Budapest kümmert das nicht. Sämtliche Verträge und Grundbuchauszüge werden ungültig. Offiziell will Orbáns Regierung so verhindern, dass reiche Ausländer in Ungarn mit Land spekulieren, Flächen billig kaufen und zu Mondpreisen wieder loswerden. Doch tatsächlich sind Fälle von Spekulation äußerst selten. In Wahrheit geht es Orbán eher darum, mit einem straff nationalistischen Kurs Wahlen zu gewinnen.

Im Bundesaußenministerium in Berlin weiß man um das Problem, hat allerdings wenig Handhabe. Hin und wieder schickt die deutsche Botschaft Vertreter in die Gerichtsverhandlungen mit Betroffenen. Doch gegen die fragwürdige Rechtsprechung können die Diplomaten wenig unternehmen. Auch auf europäischer Ebene tut man sich schwer. Immer wieder droht Brüssel, wegen der fortschreitenden Rechtsstaatsverletzungen die EU-Zahlungen an Ungarn zu kürzen. Das wäre schmerzhaft für Orbán, denn kaum ein EU-Land profitiert so sehr von den Leistungen aus Brüssel wie Ungarn.

Ob der Druck etwas bringt, ist fraglich. In der jüngsten Mitgliederumfrage der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer heißt es, in puncto Korruptionsbekämpfung, Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen und Rechtsstaatlichkeit seien in Ungarn „keinerlei Fortschritte“ zu erkennen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%