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Ungarn Viktor Orbán gegen E.On

Der ungarische Ministerpräsident will die einheimischen Töchter des Düsseldorfer Energiekonzerns verstaatlichen. Das passt nahtlos in sein unkonventionelles Wirtschaftsprogramm. EU und IWF sollten das nicht finanzieren.

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Viktor orbán Quelle: dapd

Eigentlich sollten wir dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán dankbar sein. Nicht für seine Politik, sondern für seinen Stil. Denn der führt dazu, dass die wirtschaftlichen Extravaganzen des nationalistischen Ministerpräsidenten weltweit Beachtung finden.

Orbán wählte ein Volksfest in einem Ausflugsort an der österreichischen Grenze am Wochenende zum Schauplatz der Ankündigung, der ungarische Staat werde die ungarischen Töchter des deutschen Energiekonzern E.on innerhalb kürzester Zeit zurückkaufen. Aus Düsseldorfer Sicht ist das ein Problem: 2005 hatte der Konzern für 2,1 Milliarden Euro die Gasvertriebssparte von Mol gekauft, dem auch international aktiven größten ungarischen Energieversorger. Mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 1,9 Milliarden Euro ist sie für E.on heute die wichtigste Auslandstochter im Gasvertrieb.

Die verborgenen Schätze der Krisenländer
Griechenland - Schwieriger PrivatisierungsplanDer griechische Staat besitzt Unternehmensbeteiligungen im geschätzten Wert von 34 Milliarden Euro. Hinzu kommt staatlicher Grundbesitz, den die Regierung in Athen auf rund 280 Milliarden Euro taxierte. Doch die Privatisierung der Besitztümer kommt nicht so richtig in Gang. Bisher konnten nur 1,8 Milliarden Euro durch Privatisierungen eingenommen werden. In diesem Jahr soll nach Aussage der Regierung nur noch die staatliche Lotterie und ein Gebäude in Athen verkauft werden. Das hier zu sehende Parlamentsgebäude in Athen steht jedoch nicht zum Verkauf. Quelle: dpa
Der griechische Staat soll mehr als 50 öffentliche Unternehmen besitzen, vom Athener Gemüse-Großmarkt über Hafenanlagen bis zu den Staatsbahnen OSE. Doch die meisten Unternehmen schreiben rote Zahlen und sind deshalb schwer zu verkaufen. Das ist allerdings die einzige noch verbleibende Vermögensquelle des Landes: Die Gold- und Devisenreserven sind auf gerade mal 5,8 Milliarden geschmolzen. Immerhin befinden sich noch 244 Milliarden Euro an Geldvermögen im Besitz der Bürger. Quelle: dpa
Portugal - Versteckte GoldreservenGemessen am Bruttoinlandsprodukt hat Portugal mit sechs Prozent die größten Gold- und Devisenreserven der Euro-Zone: 18 Milliarden Euro ist der Schatz der Notenbank wert. Doch laut Gesetz kann die Zentralbank dem Finanzministerium nur jedes Jahr die Erträge aus Zins- und Wertpapiererträgen überweisen - das Gold kann also nicht zur Schuldentilgung verwendet werden. Portugals Privathaushalte besitzen ein Geldvermögen von immerhin 384 Milliarden Euro. Ein Teil davon stünde für eine Vermögensabgabe und damit zur Sanierung der Staatsfinanzen zur Verfügung. Quelle: dpa
Außerdem befinden sich Unternehmensbeteiligung im Wert von 32 Milliarden Euro im Besitz des Staates. Der aktuelle Sanierungsplan der Troika sieht acht Milliarden Euro aus Privatisierungserlösungen vor - bisher nahm die Regierung circa drei Milliarden Euro ein. Derzeit stehen noch der Flughafenbetreiber ANA, das Energieunternehmen GALP sowie die Fluggesellschaft TAP zum Verkauf, für die sich auch die Deutsche Lufthansa interessiert. Quelle: dpa
Irland - Die Angst vor dem RamschverkaufDie Regierung in Dublin (Foto) hat der Bevölkerung versichert, sie lasse sich von den internationalen Geldgebern nicht zu einem „Ramschverkauf" von Staatsvermögen zwingen. Geschätzt wird der Wert der Unternehmen in Staatsbesitz auf knapp 22 Milliarden Euro geschätzt. Die in der Krise verstaatlichten Banken sind jedoch nach wie vor defizitär und praktisch unverkäuflich. Irlands Refinanzierungsbedarf bis Ende 2013 beläuft sich auf knapp zwölf Milliarden Euro. In der nächsten Zeit stehen die Privatisierung der Lotterie, der Ländereien und Holtzwerke, des Gasversorgers BGE an und der restliche 25-Prozent-Anteil an Aer Lingus an. Quelle: dapd
Darüber hinaus besitzt der irische Staat ganz oder teilweise ein Dutzend Häfen, mehrere Nahverkehrs- und Busunternehmen, die Eisenbahn, Stromversorger, den staatlichen Rundfunk- und TV-Sender RTE und die Nationale Agentur für Ölreserven. Dieses Portfolio soll aber offenbar nicht privatisiert werden Bei den eigenen Gold- und Devisenreserven ist für das Land, dessen Banken voll von der Finanzkrise getroffen wurden, nichts mehr zu holen. Der "Staatsschatz" beträgt nur noch 1,4 Milliarden Euro. Dagegen besitzen die Privathaushalte ein Geldvermögen von 297 Milliarden Euro, das zum Teil durch eine Vermögensabgabe abgeschöpft werden könnte. Quelle: dapd
Italien - Reiche leben das Dolce VitaRegierungschef Mario Monti (Foto) will 26 Milliarden Euro will er binnen drei Jahren im Haushalt einsparen. Auch von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte Privatisierungen sind kein Tabu, um den Schuldenberg von fast zwei Billionen Euro abzubauen. Und hier ist einiges zu holen: Der Immobilienbesitz des Landes wird auf bis zu 370 Milliarden Euro geschätzt, hinzu kommen Unternehmensbeteiligungen für mehr als 100 Milliarden Euro. Viele Immobilien lassen sich allerdings nicht sofort zu Geld machen, weil sie Ministerien oder Ämter beherbergen. Aus ihrem Gebäudebestand will die Regierung nun Immobilien im Wert von rund 40 Milliarden Euro über Fonds verkaufen. Bei der Privatisierung von Staatsunternehmen zögert sie noch, weil der Versorger Enel und der Ölkonzern Eni, an denen der Staat je ein Drittel hält, lange als Dividenden-Garanten galten. Quelle: Reuters

Aus ungarischer Perspektive ist die angekündigte Wiederverstaatlichung geradezu gigantisch: Alle ausländischen Direktinvestitionen belaufen sich den letzten bekannten Zahlen zufolge auf weniger als 60 Milliarden Dollar, die jährliche Gesamtleistung der Volkswirtschaft, die jährliche volkswirtschaftliche Gesamtleistung ist ziemlich genau doppelt so groß, und das Budgetdefizit lag zuletzt bei  4,2 Prozent. Seit Monaten verhandeln Orbáns Leute mit EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) über einen Kredit von mindestens 15 Milliarden Dollar, bislang ergebnislos. Wie also will Budapest diese Verstaatlichungspolitik finanzieren?

Das ist die falsche Frage, würde der ungarische Ministerpräsident antworten. Ein paar Tage vor der Volksfest-Rede hatte Orbán ein etwas seriöseres Ambiente – die Jahreskonferenz der nach Budapest eingeflogenen ungarischen Botschafter – zur Mitteilung genutzt, die großen Versorgungsunternehmen dürften keine Gewinne mehr machen und darum in staatliche Regie übernommen werden: finanzielle Entlastung für die Bürger eines Landes, das unter Rezession, hoher Arbeitslosigkeit und dem höchsten Mehrwertsteuersatz in der Europäischen Union (27 Prozent) leidet. Nur, dass Orbáns Verstaatlichungsprojekt ausländische Investoren abschrecken wird, ohne die das Land seine einzige wirtschaftliche Stärke als relativ starke Exportnation auch schnell verlieren würde.

Gewiss: Seit ihrem Machtantritt 2010 hat die nationalkonservative Regierung in Budapest die ausländischen Automobil- und Maschinebauer im Lande in Ruhe gelassen oder sogar nach Kräften subventioniert. Durch Sondersteuern gebeutelt oder sogar aus dem Land geekelt wurden dagegen ausländische Banken und Versorger, Telekom- und Handelsunternehmen.

Da schwingen bei Orbáns halbgebildeten Einflüsterern Vorstellungen über dem Gegensatz von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital mit, bei manchen Politikern der Regierungspartei Fidesz aber auch sehr handfeste Interessen: Ein parteinaher Wirtschaftsklüngel will sich die Einnahmen sichern, die Unternehmen wie die E.on-Töchter bislang auf dem einheimischen Markt erzielen. Eine Rechnung, die aufgehen könnte, wenn EU und IWF sich tatsächlich zu Finanziers der Orbán-Politik machen. 

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