Die Kinder in den Industrienationen sind massiv von der Finanzkrise betroffen. Laut einer aktuellen Unicef-Studie fielen seit Ausbruch der Krise 2,6 Millionen Kinder innerhalb der OECD- und EU-Mitgliedsstaaten unter die Armutsgrenze. Damit sind insgesamt 76,5 Millionen Kinder in diesen Ländern arm – das entspricht in etwa der deutschen Bevölkerung.
Eine ganze Generation junger Menschen hänge aufgrund der Krise in einem Schwebezustand aus unerfüllten Erwartungen und dauerhafter Anfälligkeit für Armut, konstatieren die Autoren - mit ernsten Folgen für die Europäische Union.
Die Folgen der Immobilienkrisen ausgewählter Länder
Rückgang der Immobilienpreise: -21.5%
Hypothekenausfälle 2013: 1.3%
Faule Kredite: 30%
Quelle: CPB Netherland Bureau for Economic Policy Analysis
Stand: Juni 2014
Rückgang der Immobilienpreise: -20.1%
Hypothekenausfälle 2013: 0,3%
Faule Kredite: keine Angabe
Rückgang der Immobilienpreise: -48.9%
Hypothekenausfälle 2013: 12.3%
Faule Kredite: 52%
Rückgang der Immobilienpreise: -30.1%
Hypothekenausfälle 2013: 5,2%
Faule Kredite: 20%
Rückgang der Immobilienpreise: -13.5%
Hypothekenausfälle 2013: 1,3%
Faule Kredite: 1,6 bis 6,4%
Rückgang der Immobilienpreise: -18.1%
Hypothekenausfälle 2013: 9.3%
Faule Kredite: 13%
Die Unicef-Zahlen sind erschreckend: In mehr als der Hälfte der untersuchten Länder nahm die Kinderarmut zu. Besonders hart traf es Irland, Kroatien, Griechenland und Island. Hier stieg die Quote der armen Kinder um jeweils über 50 Prozent.
Durch die Krise fiel das mittlere Haushaltseinkommen der Familien zum Beispiel in Griechenland auf das Niveau von 1998 zurück. Irland, Luxemburg, Island, Italien, Spanien und Portugal sind jeweils rund zehn Jahre zurückgefallen.
„Viele Länder verzeichnen einen großen Rückwärtssprung in Bezug auf die Einkommen der Haushalte“, sagt Jeffrey O’Malley von Unicef international. Das habe langfristige Auswirkungen für die Kinder und die gesamte Gesellschaft.
Armut senkt die Chancen
Die langfristigen Folgen der Kinderarmut betreffen ganz Europa. So führte die Armut zu einem Einbruch der Fertilitätsraten – was die ohnehin niedrigen Geburtenraten weiter senkt. Zudem steige die finanzielle Ungleichheit.
Die Autoren kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Zwar sei die Sparpolitik der Nationen ebenso notwendig wie Reformen. Dies dürfe jedoch nicht zulasten der Kinder und Jugendlichen gehen.
So seien in vielen Staaten Präventionsprogramme gegen Kinderarmut sehr effektiv gewesen – die Sparpolitik hätte 2010 allerdings dazu geführt, dass die Sozialbudgets beschnitten wurden. Die Folgen spürten heute die jüngsten der Gesellschaft. Die Studie zeige, „dass die Stärke der Sozialpolitik ein entscheidender Faktor in Sachen Armutsprävention war“, sagte O’Malley.
Betroffen seien vor allem Länder, die von IWF, Eurorettungsschirm oder EZB finanziell unterstützt wurden. So seien durch die Rezession allein in Italien mehr als 600.000 Kinder langfristig von Armut betroffen, in Frankreich seien es über 400.000. Ihre Chancen später auf einen Arbeitsplatz seien jetzt schon nachhaltig beschädigt.
Die langfristigen Folgen der Kinderarmut
Seit Beginn der Finanzkrise gab es allerdings auch Länder, in denen die Kinderarmut zumindest leicht zurückging – insgesamt 18, darunter Polen, die Schweiz, Norwegen, Finnland und Deutschland.
Davon profitieren die 15- bis 24-Jährigen allerdings kaum. 7,5 Millionen junge Europäer waren 2013 ohne Arbeit, ohne Ausbildung - und gingen keiner schulischen Ausbildung nach. Zwar hat sich ihre Zahl in Deutschland reduziert – damit ist Deutschland aber die Ausnahme.
Selbst in vermeintlich stabilen Ländern wie Norwegen, Dänemark und Großbritannien stieg die Zahl der jungen Arbeitslosen. Besonders betroffen sind auch hier: Spanien, Griechenland und Italien. Dort ist jeweils jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, sprach im vergangenen Jahr bereits von einer „verlorenen Generation“.
Was die Kritiker der Sparpolitik sagen
"Wachstum und Beschäftigung müssen an erster Stelle kommen, und das, indem wir alle Spielräume des Stabilitätspakts nutzen."
François Hollande, französischer Staatspräsident
"Seit Beginn der Krise haben die Konservativen Europa mit einem Kürzungsfeldzug nach dem anderen überzogen."
Udo Bullmann, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament
"Unsere Regierung will unterstreichen, dass die Politik des Rigorismus und der Austerität nichts gebracht hat und für beendet erklärt werden muss."
Matteo Renzi, italienischer Ministerpräsident
"Bisher haben wir für Krisenländer Rettungsprogramme gemacht, aber wenn man aus der Intensivstation herauskommt, muss eine Reha-Phase folgen."
Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser
"Das Setzen auf reine Sparpolitik ist gescheitert."
Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Vizekanzler
"Sparmaßnahmen von einem Prozent des BIPs reduzieren das Produktionspotenzial der Wirtschaft um rund ein Prozent. Das zeigt: Austeritätspolitik ist in höchstem Maße kontraproduktiv."
Paul Krugman, US-Ökonom und Nobelpreisträger
Mit ihr beschäftigten sich Anfang Oktober die Regierungschefs der EU im Rahmen des Beschäftigungsgipfels in Rom. Während Italien Ministerpräsident Matteo Renzi ein Konjunkturprogramm fordert, sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, es sei „nicht sinnvoll, zum jetzigen Zeitpunkt einfach nach mehr Geld zu schreien“. Sie forderte Strukturreformen.
Was zu tun ist
Kurzfristig sieht Arbeitsmarktforscher Olaf Struck von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg kaum Möglichkeiten, den Jugendlichen nachhaltig zu helfen. Die EU müsse die notwendigen Reformen vornehmen, sodass Jugendliche den Eindruck gewinnen, es verbessere sich etwas. „Für den Einzelnen wird es aber nicht in großen Schritten vorangehen“, sagt Struck.
Programme wie die europäische Jugendgarantie begrüßt Struck. „Diese Programme kommen nur drei Jahre zu spät.“ Mit der Jugendgarantie soll gewährleistet werden, dass Jugendliche innerhalb von vier Monaten nach Abschluss einer Ausbildung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes eine Stelle, eine Ausbildung oder eine Fortbildung erhalten.
Solche Programme dürften aus Sicht von Unicef ein Schritt in die richtige Richtung sein. Die Organisation fordert, dass die Industrieländer entschieden gegen Kinderarmut und Jugendarbeitslosigkeit vorgehen müssten. „Die Länder sollten das Wohlergehen der Kinder ganz oben auf ihre Agenda setzen“. Das sei sowohl ein Gebot der Ethik wie auch der eigenen Interessen.
Ähnlich sieht das auch Jeffrey O’Malley von Unicef: „Alle Länder brauchen starke soziale Auffangnetze um Kinder zu schützen – in guten wie in schlechten Zeiten.“