Unicef-Bericht Kinder leiden unter der Finanzkrise

Verspielt Europa seine Zukunft? Das legt zumindest ein neuer Unicef-Bericht nahe. Demnach leiden Kinder und Jugendliche erheblich unter der Finanzkrise.

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Ein kleines Mädchen sitzt allein auf einem rostigen Geländer im Innenhof eines Plattenbau-Wohngebiets. Quelle: dpa

Die Kinder in den Industrienationen sind massiv von der Finanzkrise betroffen. Laut einer aktuellen Unicef-Studie fielen seit Ausbruch der Krise 2,6 Millionen Kinder innerhalb der OECD- und EU-Mitgliedsstaaten unter die Armutsgrenze. Damit sind insgesamt 76,5 Millionen Kinder in diesen Ländern arm – das entspricht in etwa der deutschen Bevölkerung.

Eine ganze Generation junger Menschen hänge aufgrund der Krise in einem Schwebezustand aus unerfüllten Erwartungen und dauerhafter Anfälligkeit für Armut, konstatieren die Autoren - mit ernsten Folgen für die Europäische Union.

Die Folgen der Immobilienkrisen ausgewählter Länder

Die Unicef-Zahlen sind erschreckend: In mehr als der Hälfte der untersuchten Länder nahm die Kinderarmut zu. Besonders hart traf es Irland, Kroatien, Griechenland und Island. Hier stieg die Quote der armen Kinder um jeweils über 50 Prozent.

Durch die Krise fiel das mittlere Haushaltseinkommen der Familien zum Beispiel in Griechenland auf das Niveau von 1998 zurück. Irland, Luxemburg, Island, Italien, Spanien und Portugal sind jeweils rund zehn Jahre zurückgefallen.

„Viele Länder verzeichnen einen großen Rückwärtssprung in Bezug auf die Einkommen der Haushalte“, sagt Jeffrey O’Malley von Unicef international. Das habe langfristige Auswirkungen für die Kinder und die gesamte Gesellschaft.

Armut senkt die Chancen

Die langfristigen Folgen der Kinderarmut betreffen ganz Europa. So führte die Armut zu einem Einbruch der Fertilitätsraten – was die ohnehin niedrigen Geburtenraten weiter senkt. Zudem steige die finanzielle Ungleichheit.

Die Autoren kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Zwar sei die Sparpolitik der Nationen ebenso notwendig wie Reformen. Dies dürfe jedoch nicht zulasten der Kinder und Jugendlichen gehen.

So kreditwürdig sind die Eurostaaten
Das Centrum für europäische Politik (CEP) hat die Kreditfähigkeit der Euro-Staaten analysiert. Einen besonders intensiven Blick haben die Wissenschaftler auf Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien geworfen. Das Resultat: die Probleme, die zur Euro-Krise geführt haben, bestehen weiterhin - und haben sich sogar auf weitere Länder ausgeweitet. Quelle: dpa
Die Kreditfähigkeit von Spanien nimmt erstmals seit Einführung des Euros zu. Die Ampel für Spaniens Kreditwürdigkeit steht auf grün, das CEP vergibt beim Schuldenindex eine Wertung von 2,3. Ein positiver Wert des CEP-Default-Indexes bei gleichzeitigem gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsüberschuss bedeutet: Das Land benötigt in der betrachteten Periode keine Auslandskredite, es steigert daher seine Kreditfähigkeit. Diese positive Entwicklung dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land noch weitere Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen umsetzen muss, um die in den Krisenjahren drastisch angestiegene Staatsverschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Quelle: dpa
Auch für Irland steht die Ampel auf grün. Der ehemalige Krisenstaat hat, wie die kontinuierliche Zunahme der Kreditfähigkeit seit 2010 zeigt, die Krise überwunden. Der Schuldenindex beträgt 6,7, ist also deutlich positiv. Aufgabe muss es nun sein, die Investitionen, die auf fast Null gesunken sind, zu steigern, um die Wirtschaft wieder voran zu treiben. Quelle: dpa
Für Portugal zeigt die Ampel dagegen rotes Licht: Zwar erodiert die portugiesische Kreditfähigkeit noch immer. Der ununterbrochene Anstieg des Schuldenindexes seit 2011 zeigt jedoch, dass Portugal erhebliche Anstrengungen unternommen und Anpassungen bewältigt hat. Derzeit beträgt der Index -2. Unbeschadet dieser positiven Entwicklungen ist es allerdings fraglich, ob Portugal bereits ohne weitere Finanzhilfen auskommen wird, wenn das Anpassungsprogramm Mitte 2014 ausläuft. Quelle: dpa
Auch Italien gehört zu den Ländern mit einer "verfestigten abnehmenden Kreditfähigkeit", wie es beim CEP heißt. Die seit 2009 zu beobachtende Erosion der Kreditfähigkeit von Italien dauere an. Gegenüber 2012 habe sich der Verfall beschleunigt. Es sei fraglich, ob sich dies auf absehbare Zeit ändere. Denn die hierfür notwendigen Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen seien von der italienischen Regierung bisher nicht ergriffen worden. Quelle: dpa
Ganz mies ist die Lage in Griechenland: Mit einem Wert von -9,8 hat Griechenland die schlechteste Kreditwürdigkeit aller 31 untersuchten Staaten. Die Kreditfähigkeit des Landes verfällt weiter und zwar deutlich schneller als die aller anderen Euro-Länder. Die Wiedererlangung der griechischen Kreditfähigkeit ist nicht absehbar, die Ampel steht auf dunkelrot. Quelle: dpa
Eine negative Überraschung kam in diesem Jahr aus dem Norden Europas: Belgien und Finnland weisen im ersten Halbjahr 2013 erstmals eine abnehmende Kreditfähigkeit auf. Da beide Länder noch über Auslandsvermögen verfügen, ist die Schuldentragfähigkeit allerdings noch nicht unmittelbar bedroht, die Ampel zeigt gelb-rot. Der CEP-Default-Index liegt im Falle Belgiens bei -0,5, bei Finnland beträgt er -0,1. Ein negativer Wert kann auf zwei Arten entstehen: 1. Die Nettokapitalimporte übersteigen die kapazitätssteigernden Investitionen. Das Land konsumiert über das im Inland erwirtschafteten Einkommen auch einen Teil des Nettokapitalimports. Die Volkswirtschaft verschuldet sich folglich im Ausland, um Konsumausgaben finanzieren zu können. 2. Kapital verlässt das Land, so dass der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo positiv ist. Gleichzeitig jedoch schrumpft der Kapitalstock. Das Land verarmt. Quelle: dpa

So seien in vielen Staaten Präventionsprogramme gegen Kinderarmut sehr effektiv gewesen – die Sparpolitik hätte 2010 allerdings dazu geführt, dass die Sozialbudgets beschnitten wurden. Die Folgen spürten heute die jüngsten der Gesellschaft. Die Studie zeige, „dass die Stärke der Sozialpolitik ein entscheidender Faktor in Sachen Armutsprävention war“, sagte O’Malley.

Betroffen seien vor allem Länder, die von IWF, Eurorettungsschirm oder EZB finanziell unterstützt wurden. So seien durch die Rezession allein in Italien mehr als 600.000 Kinder langfristig von Armut betroffen, in Frankreich seien es über 400.000. Ihre Chancen später auf einen Arbeitsplatz seien jetzt schon nachhaltig beschädigt.

Die langfristigen Folgen der Kinderarmut

Seit Beginn der Finanzkrise gab es allerdings auch Länder, in denen die Kinderarmut zumindest leicht zurückging – insgesamt 18, darunter Polen, die Schweiz, Norwegen, Finnland und Deutschland.

Davon profitieren die 15- bis 24-Jährigen allerdings kaum. 7,5 Millionen junge Europäer waren 2013 ohne Arbeit, ohne Ausbildung - und gingen keiner schulischen Ausbildung nach. Zwar hat sich ihre Zahl in Deutschland reduziert – damit ist Deutschland aber die Ausnahme.

Selbst in vermeintlich stabilen Ländern wie Norwegen, Dänemark und Großbritannien stieg die Zahl der jungen Arbeitslosen. Besonders betroffen sind auch hier: Spanien, Griechenland und Italien. Dort ist jeweils jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit. Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, sprach im vergangenen Jahr bereits von einer „verlorenen Generation“.

Was die Kritiker der Sparpolitik sagen

Mit ihr beschäftigten sich Anfang Oktober die Regierungschefs der EU im Rahmen des Beschäftigungsgipfels in Rom. Während Italien Ministerpräsident Matteo Renzi ein Konjunkturprogramm fordert, sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, es sei „nicht sinnvoll, zum jetzigen Zeitpunkt einfach nach mehr Geld zu schreien“. Sie forderte Strukturreformen.

Was zu tun ist

Kurzfristig sieht Arbeitsmarktforscher Olaf Struck von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg kaum Möglichkeiten, den Jugendlichen nachhaltig zu helfen. Die EU müsse die notwendigen Reformen vornehmen, sodass Jugendliche den Eindruck gewinnen, es verbessere sich etwas. „Für den Einzelnen wird es aber nicht in großen Schritten vorangehen“, sagt Struck.

Programme wie die europäische Jugendgarantie begrüßt Struck. „Diese Programme kommen nur drei Jahre zu spät.“ Mit der Jugendgarantie soll gewährleistet werden, dass Jugendliche innerhalb von vier Monaten nach Abschluss einer Ausbildung oder dem Verlust des Arbeitsplatzes eine Stelle, eine Ausbildung oder eine Fortbildung erhalten.

Solche Programme dürften aus Sicht von Unicef ein Schritt in die richtige Richtung sein. Die Organisation fordert, dass die Industrieländer entschieden gegen Kinderarmut und Jugendarbeitslosigkeit vorgehen müssten. „Die Länder sollten das Wohlergehen der Kinder ganz oben auf ihre Agenda setzen“. Das sei sowohl ein Gebot der Ethik wie auch der eigenen Interessen.

Ähnlich sieht das auch Jeffrey O’Malley von Unicef: „Alle Länder brauchen starke soziale Auffangnetze um Kinder zu schützen – in guten wie in schlechten Zeiten.“

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