Urteil gegen Griechenland EU-Strafen gegen Mitgliedsstaaten sind zahnlos

Seite 2/2

Sanktionen, die nicht stattfinden

Was lernen wir daraus? Es funktioniert offenbar nicht, was man sich in der EU als Druckmittel zur Einhaltung des EU-Rechts durch die Mitgliedsstaaten dachte. Geldstrafen, die dem Verurteilten nicht wehtun, weil er ohnehin nicht aus eigener Kraft zahlungsfähig ist, sind zahnlose Tiger.

Es ist höchst fragwürdig, ob EU-Institutionen überhaupt in der Lage sind, Mitgliedsstaaten zu etwas zu zwingen, was deren Regierung nicht will – oder kann. Je wichtiger das Thema, desto schwächer scheint die Durchsetzungsfähigkeit der EU zu sein. Jüngstes Beispiel: Flüchtlinge. Nicht einmal die vereinbarte Verteilung der vergleichsweise kleinen Zahl von 160.000 Flüchtlingen funktioniert. Viele Staaten widersetzen sich einfach. Das fällt ihnen umso leichter, weil ohnehin die meisten Flüchtlinge nach Deutschland wollen.

Dass interne EU-Sanktionen niemanden zu schrecken brauchen, zeigte sich vor allem im Rahmen der Währungsunion. Das vorgesehene Defizitverfahren erwies sich als Luftnummer, als Deutschland und Frankreich die Kriterien schon kurz nach der Einführung des Euro verletzten und ein Verfahren unter fadenscheinigen Vorwänden verhinderten. Gegen die beiden wichtigsten Länder läuft in Brüssel bekanntlich ohnehin nichts. Bisher hat nie ein Defizitverfahren stattgefunden.

Die größten Pleitestaaten der Welt
Norwegische Insel Quelle: dpa
Reichstag Quelle: dpa
Gracht in Amsterdam Quelle: AP
Akropolis Quelle: AP
Brunnen am österreichischen Parlamentsgebäude Quelle: dpa
Schweizer Flagge Quelle: dpa
Big Ben und Westminster Abbey Quelle: REUTERS

Was hätte auch das Ergebnis sein können: Eine Geldstrafe gegen einen Staat, dem es an Geld mangelt? Strafen, die das Problem, um das es geht, verschärfen, sind offensichtlich nicht nur kontraproduktiv, sondern absurd. Die Sünde des Sünders besteht darin, dass er nicht genug Geld hat. Und dafür soll er eine Geldstrafe zahlen? De facto läuft es – bislang – umgekehrt: Der vertragsbrüchige Staat, der schließlich kein Verbrechen begangen hat, sondern eine fiskalische Vorgabe nicht erfüllen wollte oder konnte, erhielt keine Strafe. Wenn, wie im Falle Griechenlands, das Defizit besonders groß wird, bekommt er sogar das Gegenteil einer Geldstrafe, nämlich finanzielle Unterstützung.

Schwache Mitgliedsstaaten werden weiter geschwächt

Solange keine anderen als finanzielle Sanktionen vorgesehen sind, haben die EU-Institutionen de facto kein Druckmittel gegen finanziell schwache Mitgliedsstaaten, da diese dadurch nur weiter geschwächt werden. Und die finanziell Starken können sich, sofern sie groß genug sind, mit politischen Mitteln entziehen. Die Ereignisse der vergangenen Jahre haben überdeutlich gezeigt: Es gibt keine wirksamen Druckmittel gegen Mitgliedsstaaten, die kein Eigeninteresse an der Umsetzung von EU-Vorgaben haben.  

Das jahrelange Prozessieren der Kommission gegen Griechenland und die Absurdität einer Geldstrafe gegen das aus eigener Kraft zahlungsunfähige Land offenbaren aber nicht nur die Fragwürdigkeit von EU-internen Sanktionen. Der Fall zeigt auch noch ein ganz grundsätzliches Problem der Union: Nämlich die zum Teil sehr großen Unterschiede der politischen Kultur zwischen den Mitgliedsstaaten und die Schwierigkeiten der EU-Kommission beim Versuch, diese durch gemeinsame Richtlinien oder Urteile aus der Welt zu schaffen.

Im Mitgliedsstaat Griechenland gehört die Einrichtung einer Sondermüll-Infrastruktur zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit von Anwohnern ganz offensichtlich nicht zu den Dingen, die besondere Priorität haben. Dem Land eine solche aufzuerlegen, trifft offenbar auf Widerstände, die nicht nur durch den Mangel an Geldmitteln zu erklären sind. Denn die von Brüssel gewünschten Müll-Anlagen wurden nicht nur nicht gebaut. Sieben Jahren nach dem ersten Urteil hat die griechische Verwaltung nicht einmal einen „spezifischen Plan für die Bewirtschaftung gefährlicher Abfälle“ vorlegen können, wie das Gericht feststellt.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%