Griechenland ist mit seinen 11,28 Millionen Einwohnern (Rang 76 in der Welt) und einer Fläche von 131.953 Quadratkilometern (Rang 95) eine kleine Nummer. Und doch guckt derzeit nicht nur Europa auf den südeuropäischen Staat, sondern die ganze Welt. Aus den USA, China und Russland kommen Ratschläge, wie die Griechenland-Krise zu lösen sei, mal offen formuliert, mal hinter vorgehaltener Hand. Zeitgleich wird der Internationale Währungsfonds (IWF) von den Schwellenländern in den Verhandlungen mit Athen unter Druck gesetzt.
Warum das alles? Die Gründe sind vielfältig. Mal sind geopolitische Aspekte die Motivation, den Europäern Ratschläge zu erteilen, mal Sorgen um die Weltwirtschaft. Was die einzelnen Akteure antreibt, haben wir uns genauer angeschaut:
USA
US-Präsident Barack Obama hat in den vergangenen Tagen mehrmals zum Telefonhörer gegriffen, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande zu telefonieren. Seine Intention: Die beiden führenden europäischen Regierungschefs zu bewegen, die Krise zu lösen – koste es, was es wolle.
In den Vereinigten Staaten herrscht Unverständnis über die zögerliche Haltung der Europäer. Zielscheibe der Kritik sind vor allem die knauserigen Deutschen, die aus US-Sicht die Krise verschlimmern, statt sie zu lösen. Die Wirtschafts-Ikonen Paul Krugman und Joseph Stiglitz rufen die Griechen dazu auf, beim Referendum gegen die Spar- und Investitionspläne der Geldgeber zu stimmen. Nobelpreisträger Stiglitz spricht im Zusammenhang mit den Reformforderungen der Europäer von „unzumutbarer Folter“. Ginge es nach den US-Ökonomen, würde die EZB die Notenpresse anwerfen und einen Großteil der Schulden weginflationieren.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
Das vorrangige Ziel: Die USA wollen Ruhe. Sie fürchten, dass sich die Euro-Krise durch einen Grexit wieder zuspitzen und die Weltwirtschaft in Bedrängnis bringen könnte. Die US-Wirtschaft hat sich nach Jahren der Schwäche in den vergangenen Quartalen erholt; die Beschäftigung ist in den USA im Mai so stark gestiegen wie seit fünf Monaten nicht mehr, während sich der Lohnzuwachs beschleunigte. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,5 Prozent – trotz des starken Dollars, der die Exportwirtschaft belastet. Die Notenbank Fed bereitet die Zinswende vor – wenn die Wirtschaft weiter auf Erholungskurs bleibt. Ein Grexit könnte die Karten neu mischen.
„Der zweite – noch schwerwiegendere – Aspekt aber ist: Griechenland ist ein enorm wichtiger militärischer Partner“, erklärt Martin Thunert, Politikwissenschaftler am „Center for American Studies“ der Universität Heidelberg das US-Engagement in der Schuldenkrise. Griechenland sei die Verbindungsstelle zum Nahen Osten. Auf der Insel Kreta befindet sich ein wichtiger Nato-Stützpunkt, von hier flogen US-Verbündete Angriffe auf Libyen 2011. „Die USA fürchten, dass sich Griechenland nach einer Pleite vom Westen abwenden könnten“, sagt Thunert. Gerade in Zeiten der Ukraine-Krise ein bedrohliches Szenario. Zumal andere Partner in der Region – die Türkei, Zypern – auch dazu neigen, Unruhe auszustrahlen.
Russland
Je länger sich die griechische Schuldenkrise hinzieht, desto besser versteht sich Alexis Tsipras mit Russlands Präsident Wladimir Putin – so der Eindruck aus den vergangenen Wochen und Monaten. Bei dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg Mitte Juni war der griechische Ministerpräsident unter allen Besuchern der einzige westliche Staatschef. Tsipras und Putin nutzten den Medienrummel, um ein Abkommen für den Bau einer Pipeline zu unterzeichnen, die russisches Gas durch Griechenland in die Europäische Union führen soll. Griechenland als letzter Liebling Putins in der EU? Ja – wenn es um Gas geht. Nein – wenn es um Geld geht.
„Die Lösung der Schuldenkrise ist Griechenlands Problem“, sagte der russische Regierungssprecher Dimitrij Peskow am Dienstag. Klare Ansage: Griechenland kann sich keine Hoffnungen auf russische Finanzhilfen machen. Im Gegenteil, die Russen sorgten sich eher um das wirtschaftliche Wohl der Europäischen Union, ließ Peskow verlauten. Auch Ökonomen in Moskau sagen, dass ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für Russland aufgrund der geringen wirtschaftlichen Verflechtungen keine besonderen ökonomischen Folgen hätte. „Stattdessen ist es für unsere Wirtschaft viel wichtiger, eine stabile Europäische Union zu haben“, betont Dmitrij Polewoj, Chefvolkswirt bei der ING Diba Bank in Moskau. Denn trotz aller rhetorischen Drohgebärden ist Russland mit seinen Öl- und Gasexporten auf den europäischen Markt angewiesen. „Deshalb wäre ein Verbleib Griechenlands in der Eurozone besser für uns“, sagt Polewoj.
Griechenlands Verflechtungen mit Russland
Viele Griechen und Russen sind Patrioten und stolz auf die Geschichte und den kulturellen Reichtum ihres Landes. Jetzt haben sie den Eindruck, dass ihnen einige westliche Politiker und viele Medien wegen des Handelns ihrer Regierungen negativ gegenüberstehen.
Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern und auch Deutschland kritisiert die griechische Regierung die westlichen Sanktionen gegen Russland. Das kommt gut an im Kreml, wo man sich im Gegenzug mit Kommentaren über den maroden griechischen Haushalt zurückhält. Griechenland steht in einigen internationalen politischen Fragen Seite an Seite mit Moskau: Zum Beispiel hat Athen genau wie Moskau niemals die Unabhängigkeit der Republik Kosovo anerkannt – im Gegensatz zu 109 Staaten der Vereinten Nationen.
Ungefähr 190.000 ethnische Griechen und Pontosgriechen leben in Russland, etwa an der russischen Schwarzmeerküste und in der Region Stawropol im Nordkaukasus.
In Griechenland leben rund 300.000 russische Staatsbürger. Griechenland ist bei Russen als Urlaubsland sehr beliebt, im vergangenen Jahr kamen mehr als eine Million russische Touristen nach Griechenland. Die Zahl ist jedoch im Vergleich zu den Vorjahren gesunken, weil der Urlaub im Ausland für viele Russen wegen des schwachen Rubel zu teuer geworden ist.
Drei von vier Russen bekennen sich zum orthodoxen Glauben, in Griechenland beträgt der Anteil der orthodoxen Christen mehr als 90 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ist jedoch Atheist: Bei der Amtseinführung verzichtete er als erster Ministerpräsident in der griechischen Geschichte auf die religiöse Eidesformel.
Russland ist Griechenlands wichtigster Handelspartner. 2013 betrug das Handelsvolumen rund 9,3 Milliarden Euro. 11 Prozent seiner Importe bezieht Griechenland aus Russland. Mehr als 60 Prozent seines Flüssiggases bekommt Griechenland von dem russischen Staatskonzern Gazprom. Auch im Finanzsektor gibt es enge Verbindungen. So halten russische Aktionäre große Anteile an der auch für Griechenland wichtigen "Bank of Cyprus“.
Griechenland ist von den russischen Lebensmittelsanktionen besonders betroffen, weil Russland bis August 2014 mehr als 40 Prozent der griechischen Agrarexporte empfing. 2013 hat Griechenland Früchte und Konserven im Wert von 178 Millionen Euro nach Russland ausgeführt. Griechische Pfirsiche und Erdbeeren waren in Russland besonders beliebt: Bis zu der Einführung des Lebensmittelboykotts kam fast jeder vierte Pfirsich und 40 Prozent der Erdbeeren auf dem russischen Importmarkt aus Griechenland.
Allerdings stehe Russland derzeit vor einem Interessenskonflikt, sagt Lisa Ermolenko, Russland-Expertin bei dem Analysehaus Capital Economics. Denn während das Land ein Verbleib Griechenlands in der EU wirtschaftlich betrachtet benötigt, würde der Regierung von Wladimir Putin geopolitisch gesehen ein Grexit und damit ein instabiles Europa mittelfristig eher nutzen. Dass sich Länder wie Griechenland und Ungarn gegen den westlichen Sanktionskurs wehren und in Richtung Russland orientieren, werde im Kreml gerne gesehen.
Insgesamt ist das wirtschaftliche Wohl Griechenlands für Russland relativ unbedeutend, die Abhängigkeit zwischen den beiden Ländern eher einseitig: Russland ist der wichtigste Handelspartner für Griechenland, der russische Staatskonzern Gazprom sorgt für mehr als die Hälfte des Gasimports. Umgekehrt führt Griechenland deutlich weniger Waren nach Russland aus, seitdem Putin vor einem Jahr den Import von Obst und Gemüse aus dem Westen per Sanktion stoppte. Vor einer guten Woche hat Putin das Lebensmittelembargo verlängert, weil die Europäische Union zuvor ihre Sanktionen gegen Russland bestehen ließ.
Die von Athen vorgeschlagenen Sparmaßnahmen
Die griechische Regierung will bei den Verhandlungen mit den Geldgebern Athens durch Einsparungen und zusätzliche Einnahmen um Kürzungen bei Renten und Löhnen herumkommen. Zudem hofft Athen auf eine Umstrukturierung der Schulden und ein Investitionsprogramm. Dies verlautete aus Kreisen der Regierung in Athen. Die griechische Presse listete Maßnahmen zur Haushaltssanierung auf. Danach müssten die Griechen knapp acht Milliarden Euro sparen oder zusätzlich einnehmen.
Athen soll 2015 einen Primärüberschuss im Haushalt (Zinszahlungen und Tilgungen von Schulden werden dabei ausgeblendet) von einem Prozent und 2016 von zwei Prozent erzielen. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone mit Athen laut Diplomatenkreisen bereits beim Sondergipfel geeinigt.
Künftig soll es drei Mehrwertsteuersätze geben: 6, 13 und 23 Prozent. Auf Energie, Wasser, Gastronomie entfällt weiterhin der mittlere Satz, während die Usamtzsteuer auf Medikamente und Bücher um 0,5 Prozent verringert wird. Die Institutionen forderten zwei Sätze (11 Prozent und 23 Prozent), wobei Medizin bei 11 und Energie, Wasser und Gastronomie bei 23 Prozent eingeordnet worden wäre.
Athen will die Einkommen von 12.000 bis 20.000 Euro mit 0,7 Prozent Sonder-Solidaritätssteuer belasten. Wer 20.001 bis 30.000 Euro (brutto) jährlich bezieht, soll 1,4 Prozent „Soli“ zahlen. Das geht stufenweise weiter bis zu acht Prozent für Einkommen über 500.000 Euro im Jahr.
Die Besitzer von Immobilien sollen weiter eine Sondersteuer zahlen, die dem Staat bis zu 2,7 Milliarden Euro bringen soll. Ursprünglich wollte die Regierung sie abschaffen.
Besitzer von Luxusautos, Privatflugzeugen und Jachten müssen mehr an den Fiskus zahlen.
2016 sollen Unternehmen mehr Steuern zahlen. Statt bisher 26 Prozent sollen 29 Prozent Unternehmensbesteuerung fällig werden. Zwölf Prozent Sondersteuer müssen alle Betriebe zahlen, die mehr als 500.000 Euro Gewinn machen.
Für Fernsehwerbung soll eine Sondersteuer erhoben werden. Private TV- und Radiosender sollen eine neue Lizenzsteuer zahlen. Zudem sollen elektronische Wetten besteuert werden.
Rüstungsausgaben sollen um 200 Millionen Euro gekürzt werden.
Die meisten Frührenten sollen stufenweise abgeschafft werden. Rentenkürzungen soll es nicht geben. Offen blieb, ob und wann die Regierung das Rentenalter auf 67 Jahre anheben wird.
Die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen erhöht werden. Das soll in den kommenden 18 Monaten knapp 1,2 Milliarden Euro in die Rentenkassen spülen. Versicherte sollen beim Kauf von Medikamenten stärker zur Kasse gebeten werden.
Die Regierung stimme begrenzten Privatisierungen zu, hieß es.
Athen schlägt den Angaben zufolge eine Umschichtung der Schulden im Volumen von 27 Milliarden Euro von der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den Euro-Rettungsfonds ESM vor.
Athen hofft auf ein Investitionsprogramm der EU-Kommission und der Europäischen Investitionsbank.
Diese Entscheidung trifft die griechische Wirtschaft hart: 2013 waren 40 Prozent der Exporte von Griechenland nach Russland Lebensmittel im Gesamtwert von 178 Millionen Euro. Doch Nikolaj Fjodorow, der russische Agrarminister, stellte im Frühjahr klar, dass Griechenland nur dann von den Sanktionen ausgenommen werde, wenn das Land die Europäische Union verlässt. Ohne Grexit keine Exporte von Pfirsichen und Erdbeeren Richtung Osten.
Die Reaktion der Finanzmärkte zeigte bereits in dieser Woche, was ein Grexit für Russland bedeuten könnte: Als Griechenland das geplante Referendum ankündigte, verloren die Anleger das Vertrauen in den Euro und investierten in Dollar – der Wert der amerikanischen Währung stieg. Gleichzeitig fielen der Ölpreis und der russische Rubel – ein Rückschritt für Russlands Wirtschaft, die immer noch in einer tiefen Krise steckt.
China
China will keinen Grexit. Was das betrifft, hat sich die Regierung in Peking relativ eindeutig geäußert: „Wir hoffen, dass die EU das Problem lösen kann und Griechenland in der Eurozone bleibt. Das ist im Interesse aller Beteiligten“, hieß aus dem Außenministerium am vergangenen Mittwoch.
Dabei geht es weniger um das eigene Geld, das China Griechenland geliehen hat. Zwar veröffentlicht die Regierung darüber keine genauen Zahlen, allerdings „handele es sich um einen geringen Betrag“, sagt He Mochun, Direktor des Wirtschafts- und Diplomatieforschungszentrum an der renommierten Pekinger Tsinghua-Universität der Zeitung „China Daily“.
China hat vor allem kein Interesse an einem schwachen Europa. Denn die eigene Wirtschaft schwächelt: Das Wirtschaftswachstum dürfte dieses Jahr bei unter sieben Prozent liegen. Das ist noch immer viel im Vergleich zum stagnierenden Europa, allerdings auch der niedrigste Wert seit sechs Jahren. An der Börse hat sich eine Blase zusammengebraut, die in den letzten zwei Wochen Anstalten machte, zu platzen.
Vor allem der Export hat in letzter Zeit stark gelitten. China hat in den vergangenen Jahren gewaltige Überkapazitäten vor allem in den klassischen Industrien wie Stahl und Bau aufgebaut. Im Moment braucht das Land mehr Absatzmärkte. Abhilfe soll die neue „Seidenstraße“ bringen, die China besser mit zentralasiatischen Märkten verbindet. Unterstützung für diese Strategie kommt von der in diesem Jahr geschaffenen „Asian Infrastructure Investment Bank“.
Sowohl auf der Landbrücke als auch auf der ebenfalls kürzlich verkündeten „maritimen Seidenstraße“, liegt Griechenland, das Premier Li Keqiang schon einmal als „Einfallstor nach Europa“ bezeichnet hat. Das Handelsvolumen zwischen China und Griechenland lag im vergangenen Jahr bei 4,5 Milliarden Dollar, Chinas Direktinvestitionen in Griechenland bei 1,3 Milliarden Dollar. So pachtet die staatseigene Reederei Cosco Flächen im griechischen Hafen ein Container-Terminal. Über den Hafen sollen chinesische Lieferanten schnellere Lieferwege auf den europäischen Markt bekommen als über Rotterdam oder Hamburg. Für 800 Millionen Euro will China in Kreta einen Flughafen bauen, außerdem haben die beiden Länder Verträge über den Bau von Schiffen geschlossen.
Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum
Seit Jahren schießen die Immobilienpreise in Chinas Großstädten in ungeahnte Höhen - seit Monaten mehren sich jedoch Zeichen für einen Kollaps.
Neben den trägen Staatsbanken hat sich in China ein großer Markt von nicht-registrierten Geldinstituten etabliert, die der Staat bislang nicht kontrollieren kann.
Banken haben ohne genaue Prüfung Firmen immense Kredite für unproduktive und verschwenderische Investitionen gegeben.
Mit Subventionen der Regierung haben viele Branchen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, beispielsweise die Solarindustrie. Aber sie werden ihre Produkte nicht los.
Chinas Wirtschaft hängt vom Export ab. Geraten wichtige Abnehmerländer in Krisen, hat auch China Probleme.
Ein Grexit würde die Eurozone instabiler machen und unter Umständen weitere Austritte andere Länder nach sich ziehen. An einer wirtschaftlichen Destabilisierung der Region aber und einer damit noch schwächeren Nachfrage aus Europa hat China kein Interesse.
Allerdings gibt es auch andere Stimmen, die die geopolitische Dimension des Szenarios betonen. Marc Faber, Investor und Herausgeber des „Gloom, Boom & Doom“-Reports ist der Meinung, dass ein Grexit das Land langfristig weg von Europa und hin zu China und Russland treiben könnte. „Die westlichen Verbündeten werden das unter allen Umständen zu vermeiden versuchen“, sagte Faber im Februar.
Freuen würden sich wohl auch die chinesischen Touristen, bei denen Griechenland zu einem der beliebtesten Ziele in Europa gehört. Ein Grexit würde den Urlaub verbilligen.
Schwellenländer
Brasilien fühlt sich bestätigt. Schon 2013 schmiedete das Schwellenland eine Koalition innerhalb des Internationalen Währungsfonds IWF, um seine Kritik an den Griechenland-Hilfen Gewicht zu verleihen. Eine Gruppe von elf Ländern aus Lateinamerika und der Karibik enthielt sich bei einer IWF-Abstimmung über die Freigabe weiterer Mittel für das Euro-Krisenland.
Ihre Argumente damals: Die Umsetzung der versprochenen Reformen sei in fast allen Bereichen unbefriedigend. Zudem seien die Prognosen der Geldgeber zur Wachstums- und Schuldenentwicklung viel zu optimistisch.
Die Zweifel waren, so wissen wir heute, berechtigt.
Griechenland konnte dieser Tage einen Kredit des Währungsfonds über 1,6 Milliarden Euro nicht zurückzahlen. Neue Hilfen kommen heute für viele Schwellenländer nicht infrage. Griechenland habe genug Finanzspritzen bekommen, glauben sie. Zudem sei Europa ein reicher Kontinent, selbst die Griechen könnten bei ein bisschen Disziplin ihrer Lage selbst Herr werden. Zumindest seien sie deutlich wohlhabender als viele Schwellen- und Entwicklungsländer. Eine Einschätzung, der man kaum widersprechen kann.
IWF-Chefin Christine Lagarde, die im nächsten Jahr im Amt bestätigt werden will, weiß um das Unbehagen der Schwellenländer – und verschärft den Ton im Schuldenstreit. Auch ein kompletter Rückzug der Washingtoner Behörde ist nicht mehr undenkbar.
Genau diesen radikalen Schritt fordern Brasilien, Ecuador oder die Dominikanische Republik. Wohlgemerkt: Der Wunsch nach einem IWF-Abschied aus den Rettungsprogrammen heißt nicht, dass die Schwellenländer den Grexit wollen. Ähnlich wie die USA, Russland oder China gibt es auch hier Sorgen, dass ein Hellas-Aus die Euro-Krise neu entfachen und die Weltwirtschaft ausbremsen könnte.
Dann würden sich die eigenen Aussichten verdunkeln. Zumal die Weltbank ohnehin schon von schwächeren Wachstumsraten als zunächst prognostiziert ausgeht. Für Brasilien korrigierte die Weltbank neulich ihre Prognose um 2,3 Prozentpunkte nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde dort um 1,3 Prozent sinken.
Ein Aufflammen der Euro-Krise kann die brasilianische Regierung also nicht gebrauchen. Sie hofft, dass Europa die Griechen einmal mehr rausboxt – und dass der IWF sich wieder mehr auf die Schwellen- und Entwicklungsländer konzentriert.
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