USA, China, Russland & Co. Griechenland wird zum Spielball der Mächtigen

Die Griechenland-Krise ist zu einem weltweiten Politikum geworden. Die USA, China, Russland und die Schwellenländer versuchen die Debatte zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Was die Mächtigen antreibt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die USA, Russland und China verfolgen in der Griechenland-Krise all ihre eigenen Interessen. Quelle: Getty Images

Griechenland ist mit seinen 11,28 Millionen Einwohnern (Rang 76 in der Welt) und einer Fläche von 131.953 Quadratkilometern (Rang 95) eine kleine Nummer. Und doch guckt derzeit nicht nur Europa auf den südeuropäischen Staat, sondern die ganze Welt. Aus den USA, China und Russland kommen Ratschläge, wie die Griechenland-Krise zu lösen sei, mal offen formuliert, mal hinter vorgehaltener Hand. Zeitgleich wird der Internationale Währungsfonds (IWF) von den Schwellenländern in den Verhandlungen mit Athen unter Druck gesetzt.

Warum das alles? Die Gründe sind vielfältig. Mal sind geopolitische Aspekte die Motivation, den Europäern Ratschläge zu erteilen, mal Sorgen um die Weltwirtschaft. Was die einzelnen Akteure antreibt, haben wir uns genauer angeschaut:

USA

US-Präsident Barack Obama hat in den vergangenen Tagen mehrmals zum Telefonhörer gegriffen, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande zu telefonieren. Seine Intention: Die beiden führenden europäischen Regierungschefs zu bewegen, die Krise zu lösen – koste es, was es wolle.

In den Vereinigten Staaten herrscht Unverständnis über die zögerliche Haltung der Europäer. Zielscheibe der Kritik sind vor allem die knauserigen Deutschen, die aus US-Sicht die Krise verschlimmern, statt sie zu lösen. Die Wirtschafts-Ikonen Paul Krugman und Joseph Stiglitz rufen die Griechen dazu auf, beim Referendum gegen die Spar- und Investitionspläne der Geldgeber zu stimmen. Nobelpreisträger Stiglitz spricht im Zusammenhang mit den Reformforderungen der Europäer von „unzumutbarer Folter“. Ginge es nach den US-Ökonomen, würde die EZB die Notenpresse anwerfen und einen Großteil der Schulden weginflationieren.

An Griechenland hängt mehr als nur der Euro

Das vorrangige Ziel: Die USA wollen Ruhe. Sie fürchten, dass sich die Euro-Krise durch einen Grexit wieder zuspitzen und die Weltwirtschaft in Bedrängnis bringen könnte. Die US-Wirtschaft hat sich nach Jahren der Schwäche in den vergangenen Quartalen erholt; die Beschäftigung ist in den USA im Mai so stark gestiegen wie seit fünf Monaten nicht mehr, während sich der Lohnzuwachs beschleunigte. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,5 Prozent – trotz des starken Dollars, der die Exportwirtschaft belastet. Die Notenbank Fed bereitet die Zinswende vor – wenn die Wirtschaft weiter auf Erholungskurs bleibt. Ein Grexit könnte die Karten neu mischen.

„Der zweite – noch schwerwiegendere  – Aspekt aber ist: Griechenland ist ein enorm wichtiger militärischer Partner“, erklärt Martin Thunert, Politikwissenschaftler am „Center for American Studies“ der Universität Heidelberg das US-Engagement in der Schuldenkrise. Griechenland sei die Verbindungsstelle zum Nahen Osten. Auf der Insel Kreta befindet sich ein wichtiger Nato-Stützpunkt, von hier flogen US-Verbündete Angriffe auf Libyen 2011. „Die USA fürchten, dass sich Griechenland nach einer Pleite vom Westen abwenden könnten“, sagt Thunert. Gerade in Zeiten der Ukraine-Krise ein bedrohliches Szenario. Zumal andere Partner in der Region – die Türkei, Zypern – auch dazu neigen, Unruhe auszustrahlen.

Russland

Je länger sich die griechische Schuldenkrise hinzieht, desto besser versteht sich Alexis Tsipras mit Russlands Präsident Wladimir Putin – so der Eindruck aus den vergangenen Wochen und Monaten. Bei dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg Mitte Juni war der griechische Ministerpräsident unter allen Besuchern der einzige westliche Staatschef. Tsipras und Putin nutzten den Medienrummel, um ein Abkommen für den Bau einer Pipeline zu unterzeichnen, die russisches Gas durch Griechenland in die Europäische Union führen soll. Griechenland als letzter Liebling Putins in der EU? Ja – wenn es um Gas geht. Nein – wenn es um Geld geht.

„Die Lösung der Schuldenkrise ist Griechenlands Problem“, sagte der russische Regierungssprecher Dimitrij Peskow am Dienstag. Klare Ansage: Griechenland kann sich keine Hoffnungen auf russische Finanzhilfen machen. Im Gegenteil, die Russen sorgten sich eher um das wirtschaftliche Wohl der Europäischen Union, ließ Peskow verlauten. Auch Ökonomen in Moskau sagen, dass ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für Russland aufgrund der geringen wirtschaftlichen Verflechtungen keine besonderen ökonomischen Folgen hätte. „Stattdessen ist es für unsere Wirtschaft viel wichtiger, eine stabile Europäische Union zu haben“, betont Dmitrij Polewoj, Chefvolkswirt bei der ING Diba Bank in Moskau. Denn trotz aller rhetorischen Drohgebärden ist Russland mit seinen Öl- und Gasexporten auf den europäischen Markt angewiesen. „Deshalb wäre ein Verbleib Griechenlands in der Eurozone besser für uns“, sagt Polewoj.

Griechenlands Verflechtungen mit Russland

Allerdings stehe Russland derzeit vor einem Interessenskonflikt, sagt Lisa Ermolenko, Russland-Expertin bei dem Analysehaus Capital Economics. Denn während das Land ein Verbleib Griechenlands in der EU wirtschaftlich betrachtet benötigt, würde der Regierung von Wladimir Putin geopolitisch gesehen ein Grexit und damit ein instabiles Europa mittelfristig eher nutzen. Dass sich Länder wie Griechenland und Ungarn gegen den westlichen Sanktionskurs wehren und in Richtung Russland orientieren, werde im Kreml gerne gesehen.

Insgesamt ist das wirtschaftliche Wohl Griechenlands für Russland relativ unbedeutend, die Abhängigkeit zwischen den beiden Ländern eher einseitig: Russland ist der wichtigste Handelspartner für Griechenland, der russische Staatskonzern Gazprom sorgt für mehr als die Hälfte des Gasimports. Umgekehrt führt Griechenland deutlich weniger Waren nach Russland aus, seitdem Putin vor einem Jahr den Import von Obst und Gemüse aus dem Westen per Sanktion stoppte. Vor einer guten Woche hat Putin das Lebensmittelembargo verlängert, weil die Europäische Union zuvor ihre Sanktionen gegen Russland bestehen ließ.

Die von Athen vorgeschlagenen Sparmaßnahmen

Diese Entscheidung trifft die griechische Wirtschaft hart: 2013 waren 40 Prozent der Exporte von Griechenland nach Russland Lebensmittel im Gesamtwert von 178 Millionen Euro. Doch Nikolaj Fjodorow, der russische Agrarminister, stellte im Frühjahr klar, dass Griechenland nur dann von den Sanktionen ausgenommen werde, wenn das Land die Europäische Union verlässt. Ohne Grexit keine Exporte von Pfirsichen und Erdbeeren Richtung Osten.

Die Reaktion der Finanzmärkte zeigte bereits in dieser Woche, was ein Grexit für Russland bedeuten könnte: Als Griechenland das geplante Referendum ankündigte, verloren die Anleger das Vertrauen in den Euro und investierten in Dollar – der Wert der amerikanischen Währung stieg. Gleichzeitig fielen der Ölpreis und der russische Rubel – ein Rückschritt für Russlands Wirtschaft, die immer noch in einer tiefen Krise steckt.

China

China will keinen Grexit. Was das betrifft, hat sich die Regierung in Peking relativ eindeutig geäußert: „Wir hoffen, dass die EU das Problem lösen kann und Griechenland in der Eurozone bleibt. Das ist im Interesse aller Beteiligten“, hieß aus dem Außenministerium am vergangenen Mittwoch.

Dabei geht es weniger um das eigene Geld, das China Griechenland geliehen hat. Zwar veröffentlicht die Regierung darüber keine genauen Zahlen, allerdings „handele es sich um einen geringen Betrag“, sagt He Mochun, Direktor des Wirtschafts- und Diplomatieforschungszentrum an der renommierten Pekinger Tsinghua-Universität der Zeitung „China Daily“.

China hat vor allem kein Interesse an einem schwachen Europa. Denn die eigene Wirtschaft schwächelt: Das Wirtschaftswachstum dürfte dieses Jahr bei unter sieben Prozent liegen. Das ist noch immer viel im Vergleich zum stagnierenden Europa, allerdings auch der niedrigste Wert seit sechs Jahren. An der Börse hat sich eine Blase zusammengebraut, die in den letzten zwei Wochen Anstalten machte, zu platzen.

Vor allem der Export hat in letzter Zeit stark gelitten. China hat in den vergangenen Jahren gewaltige Überkapazitäten vor allem in den klassischen Industrien wie Stahl und Bau aufgebaut. Im Moment braucht das Land mehr Absatzmärkte. Abhilfe soll die neue „Seidenstraße“ bringen, die China besser mit zentralasiatischen Märkten verbindet. Unterstützung für diese Strategie kommt von der in diesem Jahr geschaffenen „Asian Infrastructure Investment Bank“.

Sowohl auf der Landbrücke als auch auf der ebenfalls kürzlich verkündeten „maritimen Seidenstraße“, liegt Griechenland, das Premier Li Keqiang schon einmal als „Einfallstor nach Europa“ bezeichnet hat. Das Handelsvolumen zwischen China und Griechenland lag im vergangenen Jahr bei 4,5 Milliarden Dollar, Chinas Direktinvestitionen in Griechenland bei 1,3 Milliarden Dollar. So pachtet die staatseigene Reederei Cosco Flächen im griechischen Hafen ein Container-Terminal. Über den Hafen sollen chinesische Lieferanten schnellere Lieferwege auf den europäischen Markt bekommen als über Rotterdam oder Hamburg. Für 800 Millionen Euro will China in Kreta einen Flughafen bauen, außerdem haben die beiden Länder Verträge über den Bau von Schiffen geschlossen.

Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum

Ein Grexit würde die Eurozone instabiler machen und unter Umständen weitere Austritte andere Länder nach sich ziehen. An einer wirtschaftlichen Destabilisierung der Region aber und einer damit noch schwächeren Nachfrage aus Europa hat China kein Interesse.

Allerdings gibt es auch andere Stimmen, die die geopolitische Dimension des Szenarios betonen. Marc Faber, Investor und Herausgeber des „Gloom, Boom & Doom“-Reports ist der Meinung, dass ein Grexit das Land langfristig weg von Europa und hin zu China und Russland treiben könnte. „Die westlichen Verbündeten werden das unter allen Umständen zu vermeiden versuchen“, sagte Faber im Februar.

Freuen würden sich wohl auch die chinesischen Touristen, bei denen Griechenland zu einem der beliebtesten Ziele in Europa gehört. Ein Grexit würde den Urlaub verbilligen.

Schwellenländer

Brasilien fühlt sich bestätigt. Schon 2013 schmiedete das Schwellenland eine Koalition innerhalb des Internationalen Währungsfonds IWF, um seine Kritik an den Griechenland-Hilfen Gewicht zu verleihen. Eine Gruppe von elf Ländern aus Lateinamerika und der Karibik enthielt sich bei einer IWF-Abstimmung über die Freigabe weiterer Mittel für das Euro-Krisenland.

Ihre Argumente damals: Die Umsetzung der versprochenen Reformen sei in fast allen Bereichen unbefriedigend. Zudem seien die Prognosen der Geldgeber zur Wachstums- und Schuldenentwicklung viel zu optimistisch.

Die Zweifel waren, so wissen wir heute, berechtigt.

Pressestimmen zu Griechenland
„La Stampa“ (Italien)„Die deutsche Kanzlerin ist die Vorsicht in Person. Oder die Unentschlossenheit in Person? Tatsächlich hat sie in der jüngsten Vergangenheit stets an einem gewissen Punkt, oft völlig überraschend, wichtige Entscheidungen getroffen. Als ob sie die Situation immer bis zum Maximum eskalieren lassen würde, bevor sie eingreift. Bislang ist das gut gegangen. Aber es könnte ein gefährliches Spiel sein.“ Quelle: dpa
„Le Figaro“ (Frankreich)„In Wahrheit ist Tsipras' Aufruf ans Volk nichts anderes als ein politischer „Coup“, der unter der Maske der direkten Demokratie versteckt ist. Unfähig, seine Versprechen zu halten und das Land mit seiner radikalen Mehrheit unter den Bedingungen der katastrophalen Lage der Wirtschaft zu führen, ruft er die Bürger auf, zwischen ihm und Europa zu wählen.“ Quelle: dpa
„De Standaard“ (Belgien)„Die Griechen wissen, dass sie außerhalb des Euro kein Heil zu erwarten haben. Aber wenn sie mit Ja stimmen, wäre das keine Legitimierung der Fortsetzung der gescheiterten Schuldenpolitik. (...) In jedem Fall läuft es auf eine Erniedrigung eines besiegten Volkes hinaus.“ Quelle: AP
„Sme“ (Slowakei)„Wenn in Spanien im Herbst Podemos gewinnt und dem Fiskalpakt den Gehorsam verweigert wie jetzt Syriza der ehemaligen Troika, steht Madrid in ein paar Monaten ebenso am Abgrund wie jetzt Griechenland.“ Quelle: dpa
„Times“ (Großbritannien)„So verführerisch es auch ist, dies als Zerfall des europäischen Traums zu sehen, ist es wahrscheinlich doch eher nur ein Beweis für ein anderes Phänomen, das wir überall auf der Welt beobachten - einen Rückzug vom Internationalismus.“ Quelle: AP
„Irish Times“ (Irland)„Als Nato-Mitglied ist Griechenland ein wichtiger strategischer Verbündeter für die USA, und jede Hinwendung der Syriza-geführten Regierung zu Russland stieße in Washington auf erheblichen Widerstand. Syrizas Versöhnungsgesten in Richtung Wladimir Putin haben vor allem auch osteuropäische Mitgliedsstaaten geärgert. In den kommenden Tagen dürften eher Politik als wirtschaftliche Bedenken entscheiden, ob Deal in letzter Minute vereinbart werden kann, um Griechenland im Euro zu halten.“ Quelle: dpa
„Lidove noviny“ (Tschechien)„Wenn Griechenland das einzige verschuldete Euroland wäre, würde es vielleicht bekommen, was es will. Doch im Herbst werden in Spanien Wahlen erwartet, der viertgrößten Wirtschaft der Eurozone. Die dortige Podemos-Bewegung würde gerne wie Syriza in Griechenland die Regierung übernehmen und die Bedienung der Staatsschulden einschränken. Das ist eine vergleichbare Gefahr für ganz Europa wie ein „Grexit“.“ Quelle: dpa

Griechenland konnte dieser Tage einen Kredit des Währungsfonds über 1,6 Milliarden Euro nicht zurückzahlen. Neue Hilfen kommen heute für viele Schwellenländer nicht infrage. Griechenland habe genug Finanzspritzen bekommen, glauben sie. Zudem sei Europa ein reicher Kontinent, selbst die Griechen könnten bei ein bisschen Disziplin ihrer Lage selbst Herr werden. Zumindest seien sie deutlich wohlhabender als viele Schwellen- und Entwicklungsländer. Eine Einschätzung, der man kaum widersprechen kann.

IWF-Chefin Christine Lagarde, die im nächsten Jahr im Amt bestätigt werden will, weiß um das Unbehagen der Schwellenländer – und verschärft den Ton im Schuldenstreit. Auch ein kompletter Rückzug der Washingtoner Behörde ist nicht mehr undenkbar.

Genau diesen radikalen Schritt fordern Brasilien, Ecuador oder die Dominikanische Republik. Wohlgemerkt: Der Wunsch nach einem IWF-Abschied aus den Rettungsprogrammen heißt nicht, dass die Schwellenländer den Grexit wollen. Ähnlich wie die USA, Russland oder China gibt es auch hier Sorgen, dass ein Hellas-Aus die Euro-Krise neu entfachen und die Weltwirtschaft ausbremsen könnte.

Dann würden sich die eigenen Aussichten verdunkeln. Zumal die Weltbank ohnehin schon von schwächeren Wachstumsraten als zunächst prognostiziert ausgeht. Für Brasilien korrigierte die Weltbank neulich ihre Prognose um 2,3 Prozentpunkte nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde dort um 1,3 Prozent sinken.

Ein Aufflammen der Euro-Krise kann die brasilianische Regierung also nicht gebrauchen. Sie hofft, dass Europa die Griechen einmal mehr rausboxt – und dass der IWF sich wieder mehr auf die Schwellen- und Entwicklungsländer konzentriert.

.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%