
Griechenland ist mit seinen 11,28 Millionen Einwohnern (Rang 76 in der Welt) und einer Fläche von 131.953 Quadratkilometern (Rang 95) eine kleine Nummer. Und doch guckt derzeit nicht nur Europa auf den südeuropäischen Staat, sondern die ganze Welt. Aus den USA, China und Russland kommen Ratschläge, wie die Griechenland-Krise zu lösen sei, mal offen formuliert, mal hinter vorgehaltener Hand. Zeitgleich wird der Internationale Währungsfonds (IWF) von den Schwellenländern in den Verhandlungen mit Athen unter Druck gesetzt.
Warum das alles? Die Gründe sind vielfältig. Mal sind geopolitische Aspekte die Motivation, den Europäern Ratschläge zu erteilen, mal Sorgen um die Weltwirtschaft. Was die einzelnen Akteure antreibt, haben wir uns genauer angeschaut:
USA
US-Präsident Barack Obama hat in den vergangenen Tagen mehrmals zum Telefonhörer gegriffen, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande zu telefonieren. Seine Intention: Die beiden führenden europäischen Regierungschefs zu bewegen, die Krise zu lösen – koste es, was es wolle.
In den Vereinigten Staaten herrscht Unverständnis über die zögerliche Haltung der Europäer. Zielscheibe der Kritik sind vor allem die knauserigen Deutschen, die aus US-Sicht die Krise verschlimmern, statt sie zu lösen. Die Wirtschafts-Ikonen Paul Krugman und Joseph Stiglitz rufen die Griechen dazu auf, beim Referendum gegen die Spar- und Investitionspläne der Geldgeber zu stimmen. Nobelpreisträger Stiglitz spricht im Zusammenhang mit den Reformforderungen der Europäer von „unzumutbarer Folter“. Ginge es nach den US-Ökonomen, würde die EZB die Notenpresse anwerfen und einen Großteil der Schulden weginflationieren.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
Das vorrangige Ziel: Die USA wollen Ruhe. Sie fürchten, dass sich die Euro-Krise durch einen Grexit wieder zuspitzen und die Weltwirtschaft in Bedrängnis bringen könnte. Die US-Wirtschaft hat sich nach Jahren der Schwäche in den vergangenen Quartalen erholt; die Beschäftigung ist in den USA im Mai so stark gestiegen wie seit fünf Monaten nicht mehr, während sich der Lohnzuwachs beschleunigte. Die Arbeitslosenquote liegt bei 5,5 Prozent – trotz des starken Dollars, der die Exportwirtschaft belastet. Die Notenbank Fed bereitet die Zinswende vor – wenn die Wirtschaft weiter auf Erholungskurs bleibt. Ein Grexit könnte die Karten neu mischen.
„Der zweite – noch schwerwiegendere – Aspekt aber ist: Griechenland ist ein enorm wichtiger militärischer Partner“, erklärt Martin Thunert, Politikwissenschaftler am „Center for American Studies“ der Universität Heidelberg das US-Engagement in der Schuldenkrise. Griechenland sei die Verbindungsstelle zum Nahen Osten. Auf der Insel Kreta befindet sich ein wichtiger Nato-Stützpunkt, von hier flogen US-Verbündete Angriffe auf Libyen 2011. „Die USA fürchten, dass sich Griechenland nach einer Pleite vom Westen abwenden könnten“, sagt Thunert. Gerade in Zeiten der Ukraine-Krise ein bedrohliches Szenario. Zumal andere Partner in der Region – die Türkei, Zypern – auch dazu neigen, Unruhe auszustrahlen.