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Verhandlung in Karlsruhe Gericht deutet Kritik an EZB-Politik an

Der EZB-Präsident verteidigt Notenbank-Politik als "erfolgreich". Doch das Bundesverfassungsgericht machte schnell klar: Juristisch spielt es keine Rolle, ob die EZB erfolgreich ist, sondern ob Gesetze eingehalten werden.

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Der Gerichtspräsident und Vorsitzende Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle, hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der EZB-Politik. Quelle: dapd

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit Blick auf die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht die Europäische Zentralbank und den Schutzschirm ESM verteidigt. "Wir werden auch heute argumentieren, dass der ESM richtig ist und dass die Europäische Zentralbank auch das tut, um die Geldwertstabilität zu sichern, was notwendig ist", sagte Merkel beim "Tag der Deutschen Industrie" in Berlin am Dienstag. Dass sich das Verfassungsgericht mit dem ESM befasse, sei nicht ungewöhnlich. Schließlich seien auch andere Hilfsinstrumente in Europa bereits vor dem Gericht diskutiert worden, sagte Merkel. Das sei in einem Rechtsstaat ganz normal. Auch Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank begab sich betont locker. Die Notenbank hätte bisher weniger Staatsanleihen gekauft, als andere Zentralbanken. Zudem sei das Programm "sehr erfolgreich".

Doch Bundesverfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle machte bei der mündlichen Verhandlung schnell klar, dass es sich Draghi mit seiner Sichtweise zu einfach mache. Es spiele für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit keine Rolle, ob die EZB-Maßnahmen im Kampf gegen die Schuldenkrise „bisher im weitesten Sinne erfolgreich waren“.

Die Kläger befürchten Milliardenrisiken für Deutschlands Steuerzahler - die EZB schaffe Fakten am Parlament vorbei. Mit ihrem Versprechen, den Euro um jeden Preis zu retten, verstoße die EZB gegen ihr Mandat: Denn die Notenbank finanziere verbotenerweise Staaten. Mit einer Entscheidung des Gerichts rechnen Experten erst in einigen Monaten.

Es geht vor allem um das im September beschlossene Programm OMT („Outright Monetary Transactions“). In dessen Rahmen könnte die EZB unter Bedingungen notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten kaufen. Bislang wurde in diesem Rahmen keine Anleihe gekauft, doch Kritiker halten allein den Beschluss für zu weitgehend. Aus Sicht der Bundesbank hat die EZB die Tür zur verbotenen Staatsfinanzierung zu weit aufgestoßen. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann stimmte als einziger im EZB-Rat gegen die Maßnahmen.

Die deutsche Justiz und der Euro
Klage gegen den Euro ISchon im Gründungsvertrag der Europäischen Union, der am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde, war klar: Wichtige Währungsfragen sollen künftig gemeinsam entschieden werden. Die Wirtschafts- und Währungsunion war beschlossen, der Grundstein für den Euro gelegt. Der deutsche Bundestag ratifizierte den EU-Vertrag im Dezember 1992. Kurz darauf wurde zudem die „Entwicklung der Europäischen Union“ in der Verfassung festgeschrieben. Gegen diese Kompetenzverlagerung klagten zahlreiche Deutsche vor dem Bundesverfassungsgericht - vom Grünen Hans-Christian Ströbele bis zum nationalliberalen Manfred Brunner (später Vorsitzender der Kleinpartei „Bund Freier Buerger - Die Freiheitlichen“; das Bild zeigt ihn bei einer Demonstration für eine Volksabstimmung über die Einführung des Euros). Quelle: dapd
Manfred Brunner beauftragte den Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider mit der Verfassungsbeschwerde gegen den EU-Vertrag. Das Hauptargument: Die Beschlüsse von Maastricht seien mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Im Oktober 1993 wies das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde zurück, die Sorge um das Demokratieprinzip sei unbegründet. In der Begründung des „Maastricht-Urteils“ wurde der Begriff Staatenverbund für die EU geprägt - mehr als ein reiner Staatenbund aber auch kein Bundesstaat. Alle anderen Bestandteile der Beschwerde - etwa, dass die EU keine Grundrechte garantieren könne - wiesen die Karlsruher Richter als unbegründet zurück. Schachtschneider aber gab noch lange nicht auf... Quelle: dpa
Klage gegen den Euro IIKarl Albrecht Schachtschneider (ganz links) legte Anfang 1998 gemeinsam mit den Ökonomen Wilhelm Nölling, Wilhelm Hankel und Joachim Starbatty (von links) eine weitere Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss zur Einführung des Euro ein. Nach Ansicht der vier Kläger war die Stabilität der europäischen Gemeinschaftswährung nicht gewährleistet. Die Beschwerde war jedoch erfolglos. Quelle: dpa
Das Lissabon-UrteilDer Vertrag von Lissabon wurde zwar im Dezember 2007 unterzeichnet und im Mai 2008 durch die deutschen Parlamente ratifiziert. Der CSU-Politiker Gauweiler klagte jedoch weiter. Karl Albrecht Schachtschneider reichte die Klage gegen den Vertrag von Lissabon und seine Umsetzung in deutsches Recht ein, nach einer Meinungsverschiedenheit mit dem Auftraggeber Gauweiler vertrat dann der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Weitere Bundestagsabgeordnete, die Partei Die Linke und die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) legten ebenfalls Beschwerden ein. Ende Juni 2009 schließlich urteilte das höchste deutsche Gericht: Während der Vertrag von Lissabon selbst den Vorgaben des Grundgesetzes entspreche, müsse beim deutschen Begleitgesetz zur Umsetzung des Vertrags nachgebessert werden, so die Richter. Der Vertrag räume Bundestag und Bundesrat zu wenige Rechte ein. Quelle: dpa
Experten fordern mehr Macht für den Europäischen GerichtshofMit den Aufgaben wachsen auch die Bürogebäude: Der europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg musste bereits kräftig anbauen, da immer mehr Entscheidungen in der letzten Instanz dort getroffen werden. Befürworter dieser Kompetenzverlagerung meldeten sich nach dem Lissabon-Urteil in einer Denkschrift - unterzeichnet von 30 Hochschullehrern und Richtern - zu Wort: Das Bundsverfassungsgericht solle verpflichtet werden, europarechtliche Verfahren zuerst dem EuGH vorzulegen, forderten sie. Sonst steuere das deutsche Verfassungsgericht „auf einen Justizkonflikt mit dem EuGH zu“. Quelle: dpa
Klage gegen den Euro-Rettungsschirm IGemeinsam hatten die vier schon Ende der 90er-Jahre gegen die Euro-Einführung geklagt, im Mai 2010 reichten sie, unterstützt vom ehemaligen Thyssen-Chef Dieter Pethmann, Verfassungsbeschwerde gegen das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz zur Bekämpfung der griechischen Schuldenkrise ein: Wilhelm Hankel, Karl Albrecht Schachtschneider, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty (von links). Hauptargument der Kläger ist die „No-Bailout-Klausel“ im Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union. Ihren Eilantrag auf einstweilige Anordnung lehnten die Karlsruher Richter ab, die Beschwerde selbst wurde erstmals am 5 Juli verhandelt. Ebenfalls zur Verhandlung zugelassen wurde die Beschwerde eines alten Bekannten... Quelle: dapd
Klage gegen den Euro-Rettungsschirm IIAuch Peter Gauweiler legte Beschwerde gegen Euro-Rettungsschirm und Griechenland-Hilfen ein. Der CSU-Politiker, hier bei der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts am 5. Juli, führt vor allem die Nichtbeistands-Klausel des EU-Vertrags ins Feld. Die lege klar fest, dass kein Land für die Schulden des anderen einstehen muss. Im Falle Griechenland empfiehlt Gauweiler eine Staatsinsolvenz. Andernfalls würde man weiterhin „25 oder 30 weltweit tätige Investmentbanken und ihre wahnwitzigen Geschäfte“ stützen. Auch die demokratischen Spielregeln sieht Gauweiler durch die Beschlüsse zum Euro-Rettungsschirm verletzt. Er und die Gruppe um Schachtschneider sind bei weitem nicht die einzigen, die sich an das höchste deutsche Gericht gewandt haben: Dort sind über 50 Beschwerden in Sachen Euro-Rettung eingegangen. Zur Verhandlung zugelassen wurden aber nur zwei, die stellvertretend für die anderen stehen sollen. Gegen diese selektive Zulassung wiederum wird nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Quelle: dpa

In Karlsruhe geklagt haben unter anderen der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, vier als Euro-Skeptiker bekannte Ökonomen um Joachim Starbatty, die Bundestagsfraktion der Linken und der Verein „Mehr Demokratie“ mit mehr als 37 000 Bürgern.

Voßkuhle stellte zu Beginn der zweitägigen Verhandlung klar, das Gericht habe nicht über Zweck und Sinn der Rettungspolitik zu entscheiden: „Das ist und bleibt allein Aufgabe der Politik.“ Das Gericht werde prüfen, ob das Grundgesetz verletzt worden sei, sagte Voßkuhle. Dabei werfe das EZB-Handeln schwierigste Rechtsfragen auf, da die EZB als Organ der Europäischen Union nur EU-Recht unterworfen sei.

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