Vertrauliche Brexit-Protokolle EU-Kommission erleichtert, dass die Briten weiter verhandeln wollen

Ein Mädchen trägt eine EU-Flagge bei einem Protest der Organisation

Das britische Angebot von vergangener Woche wirft Probleme auf. Aber dass London überhaupt Vorschläge nach Brüssel schickte, wird als Fortschritt gesehen. Und schon ist von einer Fristverlängerung bis März 2020 die Rede.

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Als Großbritanniens Premier Boris Johnson vergangenen Woche seine Brexit-Vorschläge an EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker schickte, dauerte es nicht lange, bis aus Brüssel negative Kommentare kamen. Das 44seitige Dokument zu Irland werfe Probleme auf, hieß es. Es sei nicht klar, wie der europäische Binnenmarkt erhalten werden solle.

Ein vertrauliches Protokoll der Brexit-Expertenrunde vom vergangenen Mittwoch zeichnet jedoch ein sehr viel differenzierteres Bild der Reaktion in Brüssel. So zeigte sich die EU-Kommission sichtlich erleichtert, dass Großbritannien nach Monaten der Verzögerung endlich ein Dokument in Brüssel ablieferte. „Die EU-Kommission hat den Eindruck, dass das Vereinigte Königreich bereit ist, die Verhandlungen fortzuführen“, heißt es in dem Dokument, das der WirtschaftsWoche vorliegt. „Wir haben also eine gemeinsame Basis für einen weiteren Austausch.“

Nachdem Brüssel lange auf dieses Dokument warten musste, ist die EU-Kommission zufrieden, dass London an Gesprächen tatsächlich interessiert ist – und der harte Brexit, von dem Johnson so gerne spricht, offenbar doch nicht seinen Plan A darstellt.

Der irische Vertreter nutzte die Sitzung in Brüssel, um erneut darauf hinzuweisen, dass es bei dem mühsamen Ringen um eine Lösung beim Grenzproblem nicht nur darum gehe, internationale Zollregeln einzuhalten. Für Irland gehe es auch darum, den hart erarbeiteten Frieden nicht zu gefährden.

Belgien kritisierte als einziges Land in der Sitzung große Defizite des britischen Vorschlags, wertete aber gleichzeitig die britische Gesprächsbereitschaft als positiv.

Die EU-Kommission nahm dem Protokoll zufolge auch erfreut zur Kenntnis, dass die britische Regierung eine realistischere Haltung zu einem künftigen Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU eingenommen habe. Großbritannien bekundete Interesse an einem „umfassenden“ Freihandelsabkommen, sprach nicht mehr davon, „Markführer“ bei den Freihandelsabkommen sein zu wollen.

Wie geht es nun weiter mit dem Brexit? Heute Abend treffen sich die Brexit-Experten der 27 EU-Mitgliedstaaten wieder in Brüssel, am Mittwoch treffen sich die Botschafter der der Mitgliedsstaaten, um sich erneut mit den britischen Vorschlägen zu befassen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte Klarheit bis zum Ende der Woche, damit die Staats- und Regierungschefs wissen, worüber sie beim EU-Gipfel in der kommenden Woche entscheiden sollen.

Ein Kuriosum bleibt: Die Mitgliedsstaaten haben die britischen Dokumente nicht zugestellt bekommen. Die EU-Kommission darf sie über deren Inhalt informieren, nicht aber die Originale herausrücken. Die EU-Kommission hat den Briten deutlich dazu geraten, die Papiere auch den Mitgliedsstaaten zugänglich zu machen. Doch Briten überlegen noch, wie sie mit diesem Wunsch umgehen sollen.

Wann werden die Briten aus der EU austreten? Die wahrscheinlichste Variante ist nach aktuellem Stand ein weiterer Aufschub des Abschieds aus der EU. Für einen Deal bleibt zu wenig Zeit. Die Bereitschaft, einen harten Brexit am Monatsende zu vermeiden, ist bei den 27 EU-Mitgliedsstaaten groß, heißt es in Diplomatenkreisen. Schon ist in Brüssel davon die Rede, dass die Frist bis in den März verlängert werden könnte. Ein Aufschub bis Januar, wie ihn das britische Parlament verlangt, biete vermutlich nicht ausreichend Zeit für große Veränderungen.

Sollte es zu Neuwahlen in Großbritannien kommen, bräuchte eine Regierung Zeit, sich neu aufzustellen. Allerdings können die 27 EU-Regierungen den Briten nur Aufschub gewähren, wenn Boris Johnson dafür einen Antrag stellt. Er müsste damit von seinen bisherigen Versprechen abrücken, sein Land pünktlich zum Monatsende aus der ungeliebten EU zu führen. Es wäre allerdings nicht die erste Kehrwende in der politischen Karriere von Johnson.


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