Vestager vs. Beer Warum die Europawahl Liberalismus-Freunde vor riesige Probleme stellt

Wer möchte, dass Margrethe Vestager Kommissionspräsidentin wird, muss in Deutschland die FDP wählen. Quelle: imago images

Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist die beste Kandidatin für den Job als Kommissionpräsidentin. Doch wer die Dänin unterstützen will, muss in Deutschland die FDP wählen. Das wiederum hat kuriose Folgen.

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Vielleicht gibt es ja doch noch ein Thema, das zumindest die politisch Interessierten bei dieser Europawahl umtreibt. Zumindest habe ich in den vergangenen Wochen den Eindruck gewonnen. In der Diskussion mit ganz unterschiedlichen Leuten landete ich immer wieder beim gleichen Ergebnis: Wir waren der Meinung, dass die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager von allen Politikern, die als Kommissionspräsident gehandelt werden, nicht nur die interessanteste, sondern wahrscheinlich auch die geeignetste Kandidatin ist.

Gründe dafür fielen uns einige ein – sei es die Tatsache, dass Vestager in den Auseinandersetzungen etwa mit Google und Facebook bewiesen hat, dass die EU selbst im globalen Maßstab eben doch ein Riese sein kann, der entschlossen seine Werte verteidigt. Sei es, dass Vestager nicht nur in der Kommission Verwaltungserfahrung gesammelt hat, sondern auch in ihrer Heimat Dänemark. Sei es, dass sie die Fähigkeit besitzt, Dinge auf den Punkt zu bringen. In einer TV-Debatte sagte sie kürzlich: „Für mich ist ein Steuerparadies ein Ort, an dem alle ihren fairen Anteil an Steuern zahlen.“ Und ja, auch das ist selbst im Jahr 2019 immer noch ein wichtiger Aspekt: Es ist an der Zeit, dass endlich eine Frau an die Spitze der EU rückt.

So weit, so klar. Das Problem, bei dem meine Gesprächspartner und ich stets landeten, ist ein anderes: Als Deutscher kann man Vestager nicht wählen. Sie ist Mitglied der sozialliberalen Partei Radikale Venstre in Dänemark. Die wiederum bildet im Europaparlament ein Parteienbündnis mit anderen liberalen Parteien – nach dieser Wahl unter anderem mit der Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron „En Marche“ und der deutschen FDP.

Wer als Wähler in Deutschland will, dass die „Alde“ genannte Fraktion der Liberalen im Europaparlament möglichst stark wird und Vestagers Chancen entsprechend steigen, kann allerdings keine europäische Alde-Liste wählen, auf der die Dänin auf Platz eins steht. Er muss sein Kreuz bei der FDP machen. Und damit wählt er Politiker wie Jan-Christoph Oetjen, Moritz Körner, Andreas Glück, Svenja Ilona Hahn und Nicola Beer ins Europaparlament. Wahrscheinlich haben Sie vier der fünf Namen noch nie gehört. Das hat auch damit zu tun, dass viele FDP-Kandidaten noch jung sind. Nichts gegen junge Leute in der Politik. Im Gegenteil. Aber die liberale Liste der D- und E-Prominenz sagt eben auch etwas darüber aus, wie viel Bedeutung die A-Prominenz der FDP der Europawahl beimisst: keine bis gar keine.

Tja, und dann ist da noch Nicola Beer. Also jene Politikerin, die beim Parteitag Anfang Mai bei der Wahl als stellvertretende Parteivorsitzende miese 58,5 Prozent erhielt und nun von Parteichef Christian Lindner nach Brüssel entsorgt wird. Lindners vermeintlich marktwirtschaftliches Prinzip lautet offenbar: Für die außerparlamentarische Opposition reichte die Performance der Generalsekretärin Beer, für die parlamentarische nicht. Aber für Europa ist sie immer noch gut genug.

Klar, das haben auch andere Parteien so oder so ähnlich gemacht. Der Spruch „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“ kommt nicht von ungefähr. Aber das macht das Verhalten der FDP nicht besser.

Und es erleichtert den Wählern die Entscheidung nicht. Denn wer Margrethe Vestager will, aber Nicola Beer wählt, wird am Wahlabend mitansehen müssen, wie Beer ein gutes Ergebnis für sich beansprucht: Sie wird sich selbst loben, ihren Wahlkampf hervorheben und die Überzeugungskraft des Programms betonen. Der Name Vestager wird dann eher selten fallen.

Und was ist die Moral von der Geschicht'? Jeder muss für sich entscheiden, ob er eine nicht wirklich überzeugende deutsche Spitzenkandidatin pushen will, um am Ende die Chancen einer überzeugenden dänischen Politikerin zu erhöhen.

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