Können Sie sich im jetzigen Umfeld vorstellen, dass die EU überhaupt noch weitere Mitglieder aufnehmen wird?
In der europäischen Politik haben wir ein Problem mit dem Zeithorizont. Wir arbeiten kurzatmig, immer im Einsatz gegen die aktuelle Krise. Für Politiker geht es darum, die nächsten Wahlen zu überleben. Es bleibt keine Energie für die historische Perspektive. Und deshalb haben sich heute fast alle gegen die Erweiterung positioniert – einige mitteleuropäische Staaten ausgenommen. Ich bin für die Erweiterung, vor allem für den Beitritt Serbiens und Mazedoniens. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass Griechenland Mitglied der EU ist, und nach Norden Nicht-Mitgliedstaaten folgen. Es kann keinen weißen Fleck in Europa geben. Die Flüchtlingskrise hat das klar genug gezeigt. Wenn wir die Erweiterung gut machen, dann beschert das zusätzliche Energie. Ohne die Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn gäbe es in Europa heute kein Wachstum.
Und Sie finden in Ländern, wie Polen natürliche Verbündete. Verbuchen Sie das als politischen Gewinn?
Europa war stets aufgebaut auf einen politischen Wettbewerb zwischen Rechts und Links. Da geht es nicht nur um Macht, sondern um Werte. Man muss akzeptieren, dass in einem Land die Konservativen die Wahl gewinnen. Und Konservative dürfen konservativ sein. Man muss den Polen lassen, Polen zu sein. Polen ist ein glückliches Land. Dort gibt es keine wesentliche linksgerichtete Partei. Das ist ein großes Geschenk. In Polen wetteifert eine mitte-rechts und eine rechte Partei. Das ist ungewöhnlich, man stelle sich das nur einmal in Deutschland vor. Aber dem liegt eine gewisse Schönheit inne.
Was halten Sie vom Euro?
Es macht einen doch nachdenklich, dass das Wirtschaftswachstum heute aus den Ländern außerhalb der Euro-Zone kommt. Die Länder der Euro-Zone wachsen um null bis ein Prozent, der Rest Europas wächst um drei, vier, fünf Prozent. Das zeigt, dass das Projekt Euro-Zone gelähmt ist. Man müsste den eingeschlagenen Weg zu Ende gehen. Neben die monetäre Union müsste auch eine Haushalts-, Steuer- und Arbeitsrechtsunion treten. Jetzt sind wir auf halber Strecke stehen geblieben. Die Euro-Zone ist nicht attraktiv für Länder, die noch nicht Mitglied sind – auch für uns nicht.
Ungarn wird also nicht dem Euro beitreten?
Man soll niemals nie sagen. Wenn Europa sich aufrafft, ist es in ein, zwei, drei Jahren wieder zu Wundern fähig. Ich erinnere mich an die Neunzigerjahre, als wir Europäer sehr vital waren. Das kann sich durchaus wiederholen.
Fragt sich nur, ob Europa Sie dann noch will. Sie haben in einer Rede immerhin das Konzept eines „illiberalen“ Staats entworfen. Das klingt mehr nach Bewunderung für Russland oder China.
Systeme, die mit dem westlichen rivalisieren, sind zweifelsohne erfolgreich. Das pflegt man in Europa zu leugnen, denn es verletzt unser Selbstwertgefühl. Aber es ist dumm, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Allerdings glaube ich nicht, dass man in Deutschland ein russisches oder chinesisches System aufbauen könnte. Auch in Ungarn wäre es unmöglich.
Was meinen Sie denn mit dem Begriff des „illiberalen“ Staates?
Wir haben in Europa ein System aufgebaut, wonach alle Demokraten auch Liberale sein müssen. Früher gab es Christdemokraten, einst sogar Sozialdemokraten. Das hat sich geändert. Beide werden verteufelt – oder aber sie müssen sich selbst als liberal bezeichnen. Wir haben die absurde Situation, dass du kein Demokrat bist, wenn du kein Liberaler bist. In Europa können deshalb bestimmte Fragen und Meinungen nicht mehr geäußert werden. Das bedeutet, dass Liberalismus heute ein Feind von freier Diskussion geworden ist. Wer nicht wie der Mainstream diskutiert, wird aus der Welt der Anständigen ausgeschlossen, gilt nicht mehr als Demokrat.