Volksabstimmung in der Schweiz Das bedingungslose Grundeinkommen ist unbezahlbar

Die Schweiz stimmt heute über das bedingungslose Grundeinkommen ab: Es wird wohl nicht durchkommen, wie Umfragen zeigen. Zum Glück, sagen die Kritiker.

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Plakat für das bedingungslose Grundeinkommen in Genf. Quelle: dpa

Wo führt es hin, wenn künftig jeder Schweizer Geld vom Staat bekommt, ohne arbeiten zu müssen? Und zwar nicht nur Sozialhilfe, sondern immerhin 2500 Franken im Monat für Erwachsene und 625 Franken für Kinder. Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Möglichkeit mehr Gleichheit zu schaffen, oder nur eine Utopie, die sich ohnehin nicht umsetzen lässt?

Die eidgenössische Volksinitiative "Für ein Bedingungsloses Grundeinkommen" fordert eine Änderung der Schweizer Bundesverfassung, um der ganzen Bevölkerung „ein menschenwürdigen Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen.“ Darüber stimmen die Schweizer an diesem Sonntag ab.

Die Umfragen im Vorfeld sind eindeutig: Die Schweizer werden gegen die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens stimmen. Die Befürworter, die in den vergangenen Tagen noch einmal kräftig getrommelt haben, werden wohl höchstens auf 30 Prozent der Stimmen kommen.

In anderen europäischen Ländern hingegen stehen die Menschen dem bedingungslosen Grundeinkommen positiv gegenüber. 64 Prozent der EU-Bürger würden für die Einführung stimmen, 24 Prozent dagegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Dalia Research unter zehntausend Bürgern aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Deutschland liegt mit knapp 63 Prozent Zustimmung knapp unter dem EU-Schnitt.

„Wir müssen, erstens, die Existenzangst als unnötiges Element aus der Gesellschaft entfernen“, sagt David Häni der Sprecher und Initiator der Initiative. Darüber hinaus müsse das vorhandene Potenzial an Eigenverantwortung und Kreativität für die Gesellschaft gefördert werden und es sei nicht zuletzt eine „humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt“, sagt der Unternehmer, der dabei auch vom ehemaligen Vizekanzler und Bundesratssprecher, Oswald Sigg, unterstützt wird – und darauf abhebt, dass Roboter in Zukunft immer mehr Arbeit abnehmen würden. Das Grundeinkommen würde Menschen, die Angst vor der Zukunft haben, Sicherheit und Freiheit geben.

Bundesrat und Parlament lehnen das Volksbegehren ab. Der Nationalrat verwarf es mit deutlicher Mehrheit, im Ständerat gab es so wenig Befürworter, dass es nicht mal eine Abstimmung gab. Denn, so die Gegner, das Grundeinkommen würde ein gewaltiges Loch im Staatshaushalt aufreißen, das durch Steuererhöhungen und Einsparungen an anderen Stellen wieder gestopft werden müsste.

Nicht finanzierbar?

Insgesamt rechnet die Schweiz mit Kosten von jährlich 208 Milliarden Franken, etwa 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dem gegenüber würden lediglich 55 Milliarden Franken für die bisherige soziale Unterstützung stehen, die dann entfiele. Die Schweiz, aber auch andere europäische Staaten können sich ein bedingungsloses Grundeinkommen eigentlich nicht leisten, sagt Florian Habermacher, Wirtschaftsforscher an den Universitäten in St. Gallen und Oxford. Gemeinsam mit Gebhard Kirchgässner hat er bereits 2013 ein umfangsreiches Arbeitspapier veröffentlicht, warum das Grundeinkommen nicht finanzierbar sei.

„Während sie sich auf den ersten Blick charmant anhört, entpuppt sich die Idee des bedingungslosen bei genauerem Hinsehen als ethisch sehr fragwürdiges Experiment mit tiefgreifenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen“, sagt Habermacher. Das Wirtschaftssystem sozialer Marktwirtschaften beruhe darauf, dass Menschen aus eigenem Antrieb sich eine möglichst passende Arbeit suchen. In kommunistischen Systemen hingegen würde der Staat den Menschen vorschreiben, was sie wann wo und wie arbeiten sollen.

Gleichzeitig erhalten sie aber auch ein „planmäßig bestimmtes“ Einkommen. „Ein bedingungsloses Grundeinkommen so wie es heute für die Schweiz angedacht ist, stellt in gewisser Hinsicht den Versuch eines Spagates zwischen diesen einander diametral gegenüberstehenden Systemen dar: Man arbeitet zwar noch aus eigenem Antrieb, bekommt dafür aber nicht mehr hauptsächlich das entsprechende marktwirtschaftliche Einkommen, sondern ein planwirtschaftliches Einkommen vom Staat“, sagt Habermacher.

„Dass es nicht finanzierbar sei, ist ein durchschaubares Ablenkungsmanöver“, hält David Häni dagegen. „Natürlich ist es finanzierbar, wenn wir es wollen. Es ist ja nicht mehr Geld. Es ist kein zusätzliches Einkommen, sondern das bestehende Einkommen in der Höhe der Existenz ohne Bedingungen. Diejenigen, die es für nicht finanzierbar halten, sollten besser sagen: ‚Wir wollen nicht, dass die Existenz der Menschen bedingungslos wird‘.

Die Schweiz ist tatsächlich ein Sonderfall, und nicht nur weil hier das Volk über solche Vorschläge ohne weiteres abstimmen kann“, sagt Habermacher. Sie sei außerdem eine sehr kleine, sehr offene, reiche Volkswirtschaft – mit vergleichsweise liberalen Arbeitsgesetzen, tiefen Steuersätzen, und einer gut ausgebauten Finanzindustrie, die auch internationale Firmen anzieht. „Ich glaube, dass diese Verhältnisse nach der Einführung eines tatsächlich existenzsichernden bedingungslosen Grundeinkommens für die Schweiz gerade zum Verhängnis würden. Die Schweiz wandelt sich sozusagen freiwillig von einer Steueroase in eine Steuerwüste."

Es gibt Versuche in anderen Ländern, aber nirgendwo wurde das Grundeinkommen danach flächendeckend eingeführt. So erhielten in einem namibischen Dorf zwei Jahre lang alle Bewohner umgerechnet etwa zehn Euro, gesponsert von der deutschen und namibischen Kirche. Die Befürworter hielten es für ein Erfolg: Es gab mehr Kinder, die zur Schule gingen, die Kriminalität sank. Mittlerweile wurde das Projekt eingestellt. In Kanada wurde der Versuch schon in den 70er Jahren gestartet, letztlich aber abgebrochen. Die Gründe: erhöhte Rezession und Inflation. Zuvor waren in der Provinz Manitoba bis zu 1300 arme Familien mit einem jährlichen Minimaleinkommen ausgestattet. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens stammt dabei nicht aus der Schweiz, sondern wird bereits seit 30 Jahren im Rahmen des Basic Income Earth Network (BIEN), einer belgischen Organisation, besprochen.

Und auch in der Schweiz ist es nicht der erste Versuch, das bedingungslose Grundeinkommen durchzusetzen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es bereits 400 Volksinitiativen – viele scheiterten noch vor der Abstimmung an Formalien oder am notwendigen "Ständemehr". Darunter versteht man die für die Verfassung notwendige Mehrheit der Kantone. Die Initiative aber, über die nun am Sonntag abgestimmt wird, hat zumindest schon mal auf Anhieb die 100.000 Unterschriften zusammenbekommen, die für eine Abstimmung nötig sind.

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