
Am Sonntag sind die Schweizer aufgerufen, über die sogenannte „Durchsetzungsinitiative“ der nationalkonservativen SVP abzustimmen. Wenn die Schweizer zustimmen, kann jeder Straffällige ohne Schweizer Staatsangehörigkeit abgeschoben werden – egal wie lange er schon in der Schweiz ist, und welcher Nationalität er angehört. Dabei geht es nicht nur um Mord, Totschlag oder Sozialhilfemissbrauch – in diesem Fall werden Ausländer nach dem Verbüßen der Haftstrafe seit der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative ohnehin des Landes verwiesen - sondern auch um sogenannte Bagatelldelikte. Will heißen: Bei Diebstahl, Hausfriedensbruch oder falschen Anschuldigungen soll künftig auch ausgewiesen werden, sofern der Betreffende in den vergangenen zehn Jahren bereits schon einmal rechtskräftig verurteilt wurde.
Wirtschaftliche Beziehungen der Schweiz zu Deutschland und der EU
Zwischen der Schweiz und der EU besteht ein reger Warenaustausch. Die Schweiz exportierte 2013 nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) Waren im Wert von rund 90 Milliarden Euro (54,9 Prozent der Ausfuhren) in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Importiert wurden aus den Mitgliedstaaten der EU Waren im Wert von rund 108 Milliarden Euro (74,4 Prozent der gesamten Einfuhren).
Die Schweiz ist viertwichtigster Handelspartner der EU nach USA, China und Russland. Exportiert werden Pharmazeutika, Industriemaschinen, Präzisionsinstrumente, Uhren.
Deutschland ist laut BMWI Zielland für rund ein Drittel der schweizerischen Exporte. Knapp ein Fünftel der schweizerischen Importe stammen aus Deutschland. Deutschland ist somit der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner der Schweiz.
Aber auch für Deutschland sind die Handelsbeziehungen zur Schweiz von „enormer“ Bedeutung, schreibt das BMWI auf seiner Webseite. Die Schweiz nimmt demnach in der Rangliste der wichtigsten deutschen Handelspartner den 8. Rang sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen ein.
2012 hatte die vergleichsweise kleine Schweiz (acht Millionen Einwohner) wertmäßig mehr deutsche Produkte eingeführt als beispielsweise Russland (142 Millionen Einwohner), Japan (127 Millionen Einwohner) oder Polen (38 Millionen Einwohner).
290.000 Deutsche leben und arbeiten laut BMWI in der Schweiz. Deutsche bilden damit nur noch knapp nach Italienern (15,9 Prozent) die zweitstärkste Ausländergruppe (15,2 Prozent).
Nach der „Volksinitiative gegen die Masseneinwanderung“ ist es bereits die zweite Initiative der SVP, die vermutlich gegen bestehendes Völkerrecht verstößt. Dennoch müsste sie in die Schweizer Verfassung aufgenommen werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Initiative angenommen, aber nicht oder nur teilweise angewendet wird: „Wir haben in letzter Zeit über einige Initiativen, wie etwa eine Initiative über die unbefristete Verwahrung von Personen, die wegen bestimmter Straftaten gegen die sexuelle Integrität von Kindern verurteilt wurden, abgestimmt, die wegen ihrer Unvereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nur teilweise umgesetzt wurden“, sagt Astrid Epiney, Professorin für Staats- und Völkerrecht an der Universität Fribourg und gleichzeitig deren Rektorin. Das Parlament kann letztlich darüber entscheiden, in welcher Form eine vom Volk angenommene Initiative zum Gesetz wird. Eine Initiative muss nämlich nur soweit umgesetzt werden, wie sie mit dem geltenden Recht vereinbar ist. Damit ist ein Handlungsspielraum gegeben, das künftige Gesetz an internationalen Verträgen auszurichten. Im konkreten Fall könnte dies etwa durch eine Härtefallklausel geschehen.





Aber warum lässt man eine Volksabstimmungsinitiative, deren Ziel gegen internationale Verträge verstößt, überhaupt zu? „Momentan ist in der Schweiz die Ansicht stark verbreitet, dass man eine Initiative lieber zur Abstimmung zulässt, als dass man sie für ungültig erklärt, etwa weil sie dem zwingenden Völkerrecht, der Einheit der Materie oder dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widerspricht,“ sagt der Zürcher Politikwissenschaftler und Demokratieforscher Uwe Serdült. Und diese Entscheidung wiederrum fällt in der Schweiz kein Gericht, sondern das Parlament. Die Parlamentarier fürchteten sich möglicherweise vor dem Volkszorn, wenn sie die Initiative abgesagt hätten. Ähnlich sieht das auch die Staats- und Völkerrechtlerin Epiney, denn in der Schweiz gibt es kein Verfassungsgericht oder eine andere Institution, die die Verfassung schützt: „Die Politik muss eine Initiative auch dann zulassen, wenn sie gegen Grundrechte oder internationale Verträge verstößt, es sei denn es gehe um sogenanntes zwingendes Völkerrecht“, sagt Epiney. „Wir sind mittlerweile aber an einem Punkt angelangt, an dem man sich fragen kann, ob die sich häufenden Probleme bei der Umsetzung gewisser Initiativen nicht zu einem Legitimationsproblem führen.“