
Rund 37 000 Menschen vertritt Christoph Degenhart mit seinen Klagen gegen den Euro-Rettungsschirm - mehr als je zuvor in einer Verfassungsbeschwerde. Doch vor der Entscheidung am Mittwoch äußert sich der Leipziger Jura-Professor eher skeptisch: "Was auch immer das Bundesverfassungsgericht entscheidet - die Europäische Zentralbank könnte das Urteil konterkarieren, indem sie unbegrenzt frisches Geld druckt."
Die Gewichte haben sich etwas verlagert, seit EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag bekanntgab, dass die Zentralbank unter bestimmten Bedingungen unbegrenzt Anleihen von Krisenländern kaufen will. "Die aktuellen Entwicklungen bei der EZB bestätigten unsere schlimmsten Befürchtungen", meint Degenhart. "Die Reihe der Rechtsbrüche setzt sich fort. Das Gericht ist die letzte Instanz, die überhaupt noch eine effektive Kontrolle gewährleisten könnte."
Manche Antragsteller kommen immer wieder
Schon seit längerem ist Karlsruhe eine Art Wallfahrtsort für alle, die den Zug der europäischen Integration noch irgendwie aufhalten wollen. Dies mag auch daran liegen, dass die im Bundestag vertretenen Parteien - mit Ausnahme der Linken - in Europa-Fragen größtenteils einig sind. So kann der Eindruck entstehen kann, es gäbe für den Bürger "nichts mehr zu wählen", wie es der ehemalige Greenpeace-Chef Thilo Bode vor kurzem in der "FAZ" formulierte.
Manche Antragsteller kommen immer wieder - etwa Karl Albrecht Schachtschneider, der schon 1992 gegen den EU-Vertrag von Maastricht klagte, 2008 gegen den Vertrag von Lissabon vorging und 2010 die Griechenland-Hilfen verhindern wollte.
Die Europa-Urteile des Bundesverfassungsgerichts
1993: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass der EU-Vertrag von Maastricht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion verstoße nicht gegen das Demokratieprinzip. Zugleich legt der Zweite Senat Grenzen fest: Solange die demokratische Legitimation der Europäischen Union über eine Rückkopplung an die nationalen Parlamente erfolgt, müssen dem Bundestag Aufgaben und Befugnisse "von substantiellem Gewicht" verbleiben. Auf diesem Gedanken basiert ein großer Teil der späteren Entscheidungen zur Europäischen Union (Urteil vom 12. Oktober 1993 - 2 BvR 2134/92 u.a.)
1998: Der Zweite Senat verwirft zwei Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des Euro als offensichtlich unbegründet (Beschluss vom 31. März 1998 - 2 BvR 1877/97 u.a.).
2009: Die Richter des Zweiten Senats unter dem heutigen Präsidenten Andreas Voßkuhle erklären das Zustimmungsgesetz zum EU-Vertrag von Lissabon für verfassungsgemäß. Zugleich setzen sie aber der weiteren Integration Grenzen: Ein Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat wäre unter dem Grundgesetz nicht möglich (Urteil vom 30. Juni 2009 - 2 BvE 2/08 u.a.).
2011: Karlsruhe billigt die ersten Rettungspakete für Griechenland und den vorläufigen Rettungsschirm EFSF. Zugleich setzen die Richter Grenzen für künftige Hilfen: Der Bundestag dürfe keinen Mechanismen zustimmen, die zu nicht überschaubaren Belastungen führen können. Jede Maßnahme größeren Umfangs muss vom Bundestag bewilligt werden. Die Abgeordneten müssen die Kontrolle über fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen behalten (Az. 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10).
2012: Das Sondergremium des Bundestags für dringende Entscheidungen über Hilfsmaßnahmen des Euro-Rettungsschirms EFSF ist im Wesentlichen verfassungswidrig, entscheiden die Bundesrichter. Die Übertragung von Kompetenzen auf eine Runde aus neun Mitgliedern des Haushaltsausschusses verletze die Rechte der anderen Abgeordneten. Nur in Ausnahmefällen sei aus Gründen der besonderen Vertraulichkeit eine Entscheidung durch das Sondergremium gerechtfertigt (Az. 2 BvE 8/11).
2012: Das Gericht stärkt erneut die Rechte des Bundestages. Nach dem Grundgesetz müssen in Angelegenheiten der Europäischen Union Bundestag und Bundesrat "umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt" unterrichtet werden. Das gelte schon, bevor die Regierung nach außen wirksame Erklärungen abgebe, entscheiden die Richter. Hieran habe sich die Regierung bei den Verhandlungen über den Rettungsschirm nicht gehalten (Az. 2 BvE 4/11).
Im Ergebnis hatten diese Klagen keinen Erfolg. Doch das "Ja" aus Karlsruhe war bei näherer Betrachtung meist ein "Ja, aber". Die juristische Grundkonstruktion ist dabei gar nicht so kompliziert: Solange die demokratische Legitimation der EU in erster Linie über die nationalen Parlamente geschieht, müssen dem Parlament - also dem Bundestag - substanzielle Befugnisse bleiben. Das Grundgesetz schützt den Bürger davor, dass sein Wahlrecht gewissermaßen bedeutungslos wird, weil der Bundestag nichts Wesentliches mehr zu entscheiden hätte.