Währungsexperte Barry Eichengreen „Der Euro ist zum Erfolg verdammt“

Barry Eichengreen ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler an der University of California. Er ist Experte für Makroökonomie und Finanzgeschichte. Zuletzt erschienen seine Bücher „The Populist Temptation: Economic Grievance and and Political Reaction in the Modern Era“ (2018) und „How Global Currencies Work“ (2017).

Bedroht der Populismus die Währungsunion? Im Interview bringt der Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen einen Schuldenschnitt für Italien ins Spiel und erklärt, warum er dem Euro den Aufstieg zur Weltwährung zutraut.

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Herr Eichengreen, die Europäische Zentralbank (EZB) flutet die Märkte mit Liquidität, Italien steht wirtschaftlich auf der Kippe, bei Wahlen schneiden Euro-skeptische Parteien gut ab. Glauben Sie angesichts dieser Gemengelage an die Zukunft des Euro?
Ja. Der Euro ist zum Erfolg verdammt.

Das klingt nach einem großen Drama.
Zerbricht die Währungsunion, wären die Folgen selbst für populistische Politiker zu weitreichend. Denken Sie an Alexis Tsipras. Der Mann wurde in Griechenland mit dem Versprechen zum Ministerpräsidenten gewählt, den Euro loszuwerden. Einmal an der Macht, merkte er schnell, dass die Kosten für sein Land zu hoch wären. Ähnlich sieht es in Italien aus. Matteo Salvini deutete im Wahlkampf an, Italien aus dem Euro führen zu wollen. Seit er Innenminister ist, hat er in der Euro-Frage seinen Ton gemäßigt und konzentriert seinen Widerstand auf die europäische Fiskalpolitik.

Einsicht allein löst aber weder die strukturellen Probleme der Euro-Zone, noch verhindert sie populistische Attacken. Was muss passieren?
Erstens, und hier bin ich anderer Auffassung als die herrschende Lehre in Deutschland, sollte der Fiskalpakt gelockert und die Haushaltspolitik nicht länger zentral kontrolliert werden. Lasst Rom über den italienischen Haushalt bestimmen und Madrid über den spanischen! Unter den Konsequenzen schlechter Politik haben die eigenen Bürger zu leiden. Die EU kann dann nicht mehr als Sündenbock herhalten.

Redakteur Stefan Reccius traf Eichengreen in Frankfurt. Der Rat des Amerikaners an die Deutschen: „Sorgt euch nicht permanent um die Vergemeinschaftung von Schulden. Die Franzosen wollen sie nicht, die Niederländer nicht, sie wird nicht kommen.“

Mit Verlaub: Kann Italien seine Schulden nicht mehr bedienen, gerät die Euro-Zone ins Wanken. Die Griechenlandkrise wäre dann im Rückblick allenfalls ein Minibeben gewesen.
Die italienische Fiskalpolitik kann auf zwei Wegen wirken. Zum einen über die Nachfrage. Verschuldet sich Italien noch stärker, wird das Land einerseits mehr aus Deutschland importieren, andererseits die Zinsen für die Euro-Zone nach oben treiben. Die zweite Ansteckungsquelle ist das Bankensystem. Die Lösung sind strengere Regeln, die deutsche Banken davon abhalten, massenhaft italienische Staatsanleihen zu halten. Deutschland hat von schlechter Fiskalpolitik in Italien keinen materiellen Schaden. Eine rigide Fiskalpolitik bestärkt hingegen die Populisten.

Die Schuldenkrise zu lösen ist nicht die wichtigste Aufgabe in der Euro-Zone?
Ich halte den italienischen Schuldenstand durchaus für besorgniserregend. Italien braucht dringend mehr Wachstum. Zwar weiß niemand genau, welches magische Elixier Wachstum erzeugt. Es besteht aber Konsens, dass Italien dringend sein Bildungssystem reparieren und die Altersvorsorge reformieren muss.

Lieber will die italienische Regierung ihre Bürger mit einem bedingungslosen Grundeinkommen beglücken.
Geht es in Italien wirtschaftlich nicht voran, ist am Ende ein Plan B nötig: die Restrukturierung der Staatsschulden.

Gegen einen Schuldenschnitt dürfte es aber nicht nur in Deutschland massiven Widerstand geben.
Wenn sich die Deutschen um eine Restrukturierung der italienischen Staatsschulden sorgen, ist die passende Antwort an die Finanzinstitute: Kauft keine italienischen Schuldscheine, dann gibt es keinen Grund zu Beschwerden.

Ökonomen diskutieren noch eine andere Idee zur Stabilisierung der Währungsunion: eine Auszeit vom Euro. Ein Mitgliedstaat kehrt zur nationalen Währung zurück, wertet ab und tritt gestärkt wieder ein. Ein realistisches Szenario?
Nein. Unter dem Goldstandard mag das funktioniert haben. Aber damals waren die Volkswirtschaften nicht so eng verflochten. Außerdem konnten die Länder ihre eigene Währung leicht abwerten. Dagegen dauerte es allein zwei Jahre, bis alle Banksysteme von der D-Mark auf den Euro umprogrammiert waren.

Sie meinen, es ist technisch unmöglich?
Ja. Hinzu kommt, dass die Staaten damals glaubhaft zusichern konnten, nach der Krise in den Goldstandard zurückzukehren. Falls Italien den Euro verlässt – wer würde erwarten, dass das Land zurückkehrt? Und wann? In einem Jahr? In einem Jahrzehnt? Der negative Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Euro-Zone wäre massiv.

Man könnte argumentieren, dass es erst die Mitgliedschaft von Krisenländern wie Griechenland ist, die der Glaubwürdigkeit der Währungsunion schadet.
Ich sehe es andersrum. Die Währungsunion hält, weil jeder glaubt, dass sie hält. Bei einer Auszeit unbekannter Dauer wäre es damit vorbei.

Wie steht es um eine Insolvenzordnung für Staaten, wie sie etwa die europäischen Finanzminister fordern?
Das ist nur ein anderer Name für Schulden-Restrukturierung. Beim Internationalen Währungsfonds gibt es seit Jahren eine Debatte, ob wir eine formale Insolvenzordnung für Staaten benötigen oder spezielle Klauseln in den Vertragsbedingungen von Staatsanleihen. Ich bin für solche collective action clauses.

Worin liegen deren Vorteile?
Sie verschaffen Gläubigern die Möglichkeit, per Mehrheitsentscheid einen Schuldenschnitt durchzusetzen. Außerdem können Gläubiger Komitees einberufen, um mit der Regierung über die Restrukturierung ihrer Schulden zu verhandeln, ohne dass der Europäische Gerichtshof oder der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingeschaltet werden müssen. Der Fall Argentinien Anfang des Jahrhunderts hat gezeigt, dass ein solches Modell funktioniert.

Es gibt Bestrebungen, den ESM in einen Europäischen Währungsfonds nach Vorbild des Internationalen Währungsfonds zu verwandeln. An eigenen Ideen mangelt es offenbar nicht.
Ideen sind gut, aber man sollte ihnen den richtigen Namen geben. Die Verantwortung des ESM ist monetärer Art, nicht finanzieller, weil er unter bestimmten Bedingungen Notkredite an Eurostaaten bewilligt. Der IWF hingegen hat etliche Funktionen mehr, bis hin zur Förderung der Gleichheit der Geschlechter und dem Umweltschutz.

Sollte man die Idee verwerfen?
Wenn es um die tatsächliche Weiterentwicklung zu einem Fonds geht, würde ich das womöglich unterstützen. Europa muss sich dann genau überlegen, was der Aufgabenbereich sein soll, und einen passenden Namen finden – ohne das Wort monetär.

Wie steht es um die Ambitionen jener, die den Euro als Weltwährung neben dem Dollar etablieren wollen?
Vor Kurzem habe ich in Zürich auf einer Veranstaltung mit dem Chef einer der größten europäischen Banken diskutiert, ob der Dollar oder der chinesische Renminbi künftig das internationale Finanzsystem dominieren werden. Ich fragte: „Und was ist mit dem Euro?“ Der Banker antwortete: „Der Euro ist zu zerbrechlich, seine Zukunft ungewiss.“

Was haben Sie ihm entgegnet?
Der Euro ist die führende Währung eines ökonomischen Blocks, fast so groß wie der amerikanische Markt. Sein Wert ist stabil, Europa hat tiefe und liquide Finanzmärkte und wird demokratisch regiert. Als eine der künftig führenden Weltwährungen halte ich den Euro für plausibler als den Renminbi.

Wäre eine starke Währung im deutschen Sinne? Der Euro würde aufwerten, Exporte würden teurer.
Deutschland hat in 20 Jahren Währungsunion davon profitiert, dass der Euro schwächer war, als es die Deutsche Mark gewesen wäre. Mit günstigen Exporten dank unterbewerteter Währung die Einkommen immer weiter steigern – das kann nicht ewig funktionieren. China bewegt sich gerade weg von diesem Modell. Deutschland muss das auch tun.

Wie?
Die deutsche Volkswirtschaft muss innovativer werden, muss in smarte Fabriken und Industrie 4.0 investieren. Außerdem ist ein höherer Konsum nötig. Da können wir Amerikaner den Deutschen gern Nachhilfe geben.

Darauf setzt auch die Europäische Zentralbank. Ist die EZB mit ihrer Nullzinspolitik zu weit gegangen?
Die Wirtschaft in der Eurozone wächst seit langer Zeit unter ihrem Potenzial, die Inflation liegt seit Langem unter dem EZB-Zielwert von nahe zwei Prozent. Ich tue mich schwer damit, wie eine Zinserhöhung in dieser Phase mit dem EZB-Mandat der Preisstabilität in Einklang zu bringen wäre.

Die EZB ist im Zinszyklus weit hinter ihr amerikanisches Pendant, die Federal Reserve, zurückgefallen ...
... aber Inflation und Wachstum in der Eurozone sind ebenfalls hinter den USA. Zwei Prozent Inflation und höhere Zinsen werden kommen, aber es ist angemessen, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten.

Was erwarten Sie von der künftigen EZB-Politik, sollte ein Deutscher Mario Draghi nachfolgen?
Ich denke, die Nationalität des EZB-Präsidenten spielt keine Rolle, seine Politik zählt. Oder sollte ich sagen, ihre Politik?

Was erwarten Sie, sollte Jens Weidmann an die EZB-Spitze rücken?
(überlegt etliche Sekunden) Ich war mit einigen seiner Ansichten zur Geldpolitik nicht einverstanden, stelle aber auch fest, dass sich seine Ansichten über die Zeit weiterentwickeln.

In der Hinsicht, dass ...?
(überlegt abermals etliche Sekunden) ... dass er sich intellektuell flexibler zeigt. Ein EZB-Präsident muss das auch sein. Schließlich ist es sein Job, Abgesandte aus den unterschiedlichsten Mitgliedsländern davon zu überzeugen, dass ein bestimmtes Argument stimmig ist.

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