Nein, das war mal wieder keine gute Woche für den Euro. Beim G8-Gipfel in Camp David packte der neue französische Staatspräsident François Hollande als Begrüßungsgeschenk die alte Forderung nach Euro-Bonds aus – ein Affront gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die dieses heikle Thema erledigt wähnte. In Spanien musste die Regierung einräumen, dass das Haushaltsdefizit 2011 mit 8,9 Prozent noch größer als erwartet ausgefallen ist.
An der Terminbörse in Chicago nahmen die Wetten von Hedgefonds auf einen fallenden Euro zu; die Differenz zu Spekulationen auf steigende Euro-Kurse war so hoch wie noch nie seit Einführung der Gemeinschaftswährung. Und dann begannen in Deutschland auch noch die Thilo-Sarrazin-Festspiele.
"Europa braucht den Euro nicht"
Das Ex-Bundesbank-Vorstandsmitglied tingelte durch Talkshows und Redaktionen, um für sein neues Buch „Europa braucht den Euro nicht“ zu werben – und er entfachte im politischen Establishment eine selten gesehene parteiübergreifende Protestwelle. Als Sarrazin als Gast bei Sprechmeister Günther Jauch stotternd seine Anti-Euro-Fakten präsentierte, befand sein Widerpart in der Sendung, SPD-Kanzlerkandidatsanwärter Peer Steinbrück, nur: „Bullshit.“
Am Ende sah Steinbrück zusammen mit dem Euro gar die „europäische Zivilisation“ gefährdet. Neu-Währungsexperte Jürgen Trittin von den Grünen warf Sarrazin „D-Mark-Chauvinismus“ vor. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble las bei dem 67-Jährigen „himmelschreienden Blödsinn“.
Glossar
Die Wirtschafts- und Währungsunion wurde 1990 in einem Drei-Stufen-Plan eingeläutet. 17 von 27 EU-Staaten haben seither den Euro eingeführt. Von den übrigen zehn sind sieben verpflichtet, den Euro zu übernehmen, wenn sie die Konvergenzkriterien erreichen. Nur Dänemark, Schweden und Großbritannien machen nicht mit.
Zu D-Mark-Zeiten war die Inflationsrate in Deutschland höher und volatiler als unter dem Euro-Regime. Das gute Euro-Ergebnis ist aber auch dem Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung geschuldet.
Der von der EZB festgelegte Leitzins in Euro-Land liegt bei nur noch 1,0 Prozent. Ökonomen betrachten dieses Niveau für Deutschland als zu niedrig – und als Inflationsrisiko.
Das im Dezember 2009 in Kraft getretene Abkommen hat der EU zusätzliche Kompetenzen in den Bereichen Außenpolitik, Justiz und Inneres übertragen. Es regelt zudem erstmals das Procedere eines EU-Austritts einzelner Staaten.
Studien zeigen, dass die Wirtschaft auch dann wächst, wenn der Staat spart – vorausgesetzt, die Regierung setzt den Rotstift bei den Ausgaben an statt die Steuern zu erhöhen. Dagegen steigern kreditfinanzierte Staatsausgaben die Schulden und bremsen das Wachstum.
Zu D-Mark-Zeiten war Deutschland hinter den USA Vize-Weltmeister beim Export. Unter dem Euro-Regime brachte es Deutschland von 2003 bis 2008 zum globalen Ausfuhr-Primus. Mittlerweile heißt der Exportweltmeister China. Deutschland ist auf den dritten Rang zurückgefallen.
Panik beim Thema Euro
Man muss Thilo Sarrazin nicht mögen. Aber der Provokateur hat dafür gesorgt, dass die Euro-Debatte in Deutschland erstmals einen grundsätzlichen Charakter bekommt. Die hysterischen Reaktionen auf das Buch des – zugegeben demagogiebegabten – Selbstvermarkters zeigt, welche Panik mittlerweile in der politischen Klasse beim Thema Euro herrscht. Mit einem Mal geht es nicht mehr nur um Rettungspakete und Kostenrechnungen, wie teuer uns der Austritt des Entwicklungslandes Griechenland aus der Währungsunion käme.
Jetzt lautet die Frage: Kann und will sich Deutschland trotz der unbestreitbaren Vorteile des Euro die Gemeinschaftswährung auf Dauer leisten, wenn es im Gegenzug – der europäischen Idee zuliebe – für die Schuldenpolitik und den Reformunwillen anderer EU-Staaten geradestehen muss? Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap halten nur noch 47 Prozent der Bundesbürger die Euro-Einführung im Jahr 1999 für richtig – 49 Prozent sehen darin mittlerweile einen Fehler.
Brauchen wir den Euro wirklich? Lesen Sie auf den folgenden Seiten, welche von seinen Befürwortern angeführten Argumente sich noch halten lassen.
These 1: Der Euro schützt uns vor Wechselkursschwankungen und kurbelt so die Exporte an
Geht es um den Euro, zeigen sich Deutschlands Unternehmenslenker einig wie selten. Die gemeinsame Währung, so der Tenor in den Vorstandsetagen, sei ein Segen für Deutschland und beschere dem Land großen Wohlstand. Vor allem die exportorientierten Konzerne sind eifrige Fürsprecher der Gemeinschaftswährung (siehe Seite 25). Viele erinnern sich noch an die Zeiten, als die D-Mark aufwertete und Erzeugnisse aus deutscher Herstellung verteuerte – während sich die Konkurrenz etwa aus Italien durch Abwertungen immer wieder Preisvorteile verschaffte. Durch den Euro sind diese Zeiten vorbei, die italienische Konkurrenz ist abgehängt. Aber würde die Rückkehr zur D-Mark die Exporte wirklich gefährden und Deutschland in die Krise stürzen?
Tatsache ist: Der Außenhandel zwischen den Ländern der Währungsunion hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten kräftig zugenommen. Belief sich der Warenaustausch zwischen den Euro-Ländern von 1988 bis 1998 noch auf zwölf Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts (BIP), so lag er in den zehn Jahren nach der Euro-Einführung 1999 im Schnitt schon bei mehr als 15 Prozent.
Allerdings: Den größten Schub erhielt der Handel nicht durch den Euro, sondern durch den Binnenmarkt. Er befreite den Warenverkehr ab 1993 von Zöllen und anderen Handelshemmnissen. So legte der Anteil des intraeuropäischen Handels am BIP von 1993 bis 1999 um zehn Prozentpunkte zu. Nach der Euro-Einführung bis zur Finanzkrise stieg er nur noch um rund zwei Prozentpunkte (siehe Grafik).
Rückkehr zur D-Mark
Fiele die Währungsunion auseinander und kehrte Deutschland zur D-Mark zurück, würde diese wohl kräftig aufwerten. Doch nichts spricht dafür, dass die deutschen Exporte deshalb kollabierten. Empirische Studien zeigen, dass eine reale effektive Aufwertung der Währung um ein Prozent die deutschen Exporte lediglich um 0,5 Prozent verringert. Dank der hohen Produktqualität und Kundenorientierung können deutsche Unternehmen ihre Waren auch mit einer starken Währung losschlagen.
Wichtiger als Währungsfragen ist für die Exporteure, ob die Konjunktur im Ausland rund läuft. Kehrte Europa zu nationalen Währungen zurück, würden die Währungen der Krisenländer kräftig abwerten. Das regte ihre Exporte und damit die Konjunktur an. Untersuchungen zeigen, dass die deutschen Exporte um mehr als zwei Prozent zulegen, wenn sich das BIP der Handelspartner um ein Prozent erhöht.
Beispiel Asien
Ein Beispiel dafür ist Asien. Die deutschen Exporte in die Boomregion haben – trotz Wechselkursschwankungen – seit 1999 um 360 Prozent zugenommen. Die Ausfuhren in die Länder der Euro-Zone legten im gleichen Zeitraum nur um rund 100 Prozent zu, der Anteil Euro-Lands an den deutschen Exporten sank von 46 auf knapp 40 Prozent.
Auch wenn es Deutschlands Unternehmenslenker nur ungern hören: Das Wohl und Wehe der heimischen Exportwirtschaft hängt nicht am Euro.
Fazit: These stimmt nur zum Teil
These 2: Durch den Euro entfallen die Wechselkursrisiken und Umtauschkosten innerhalb Europas. Die Preistransparenz steigt
Eine der optimistischsten Voraussagen über den Euro stammt aus dem Jahr 1992. Eine Gruppe von europäischen Ökonomen schätzte damals, dass das Bruttoinlandsprodukt in der Währungsunion dank des Euro um zusätzlich 0,5 bis 1,0 Prozent wachsen werde. Ob an dieser Zahl etwas dran ist, ist aus heutiger Sicht schwer nachzuprüfen. Doch Fakt ist, dass die Gemeinschaftswährung die Unternehmen und Verbraucher zunächst einmal finanziell entlastet (zumindest so lange, wie man die Lasten für die Steuerzahler durch teure Rettungsaktionen für Krisenstaaten nicht gegenrechnet).
Experten schätzen, dass die europäischen Unternehmen in der Währungsunion jährlich 20 bis 25 Milliarden Euro sparen. Sie müssen kaum noch fremdländische Währung kaufen, denn auch Geschäfte mit Partnern außerhalb der Währungsunion werden häufig in Euro abgeschlossen. Schätzungen zufolge wickelt die deutsche Exportwirtschaft mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Ausfuhren in Euro ab. Die Betriebe sparen so die Gebühren und den bürokratischen Aufwand für Fremdwährungskonten. Auch die Kosten für Absicherungsgeschäfte gegen schwankende Wechselkurse fallen innerhalb der Euro-Zone weg.
Termingeschäfte für teures Geld
Früher mussten die Unternehmen für teures Geld mit den Banken Termingeschäfte abschließen, bei denen sie zu einem festgelegten Kurs zum vereinbarten Zeitpunkt die Fremdwährung kauften oder verkauften. So konnten sie sich gegen Wechselkursabstürze wie etwa der italienischen Lira absichern.
Auch aus Sicht der Verbraucher ist die Einheitswährung in vielerlei Hinsicht ein Gewinn. Nach einem Bonmot aus den Neunzigerjahren kam ein Reisender, der mit 1000 D-Mark durch die EU fuhr und in jedem Land sein Geld gegen die dortige Währung tauschte, nur mit 500 DM zurück – wegen der zum Teil unverschämten Umtauschgebühren ausländischer Banken und Wechselstuben.
Billige Überweisungen
Zudem sind Überweisungen deutlich billiger geworden. Die durchschnittliche Bankgebühr für eine Auslandsüberweisung von 100 Euro lag vor der Währungsunion bei 26 Euro. Heute sind alle Zahlungen innerhalb der Währungsunion kostenfrei.
Der Euro schafft zudem Preistransparenz für die Verbraucher. Sie müssen nicht mehr umrechnen und können so leichter den günstigsten Anbieter für Produkte und Dienstleistungen ermitteln. Das erhöht den Wettbewerbsdruck und erschwert es Anbietern, unbegründete Preisaufschläge durchzusetzen.
Fazit: These stimmt voll und ganz
These 3: Der Euro verstärkt die Integration und Konvergenz in Europa
Die europäische Integration stilisieren viele Politiker zu einer Frage von Krieg und Frieden hoch. Den Euro betrachten sie als Katalysator, der die Konvergenz fördere und dafür sorge, dass der bunte Haufen von Ländern wirtschaftlich zusammenwächst. Kanzlerin Angela Merkel („Scheitert der Euro, scheitert Europa“) hat die gemeinsame Währung gar zur Kernfrage für den Erfolg des europäischen Projekts erklärt.
Doch ist es mit der beschworenen Integration und Konvergenz nicht allzu weit her. In einer aktuellen Studie haben die Göttinger Ökonomen Renate Ohr und Jörg König einen EU-Integrationsindex entwickelt, der den Grad des Zusammenwachsens der EU-Länder seit 1999 misst. Der Gesamtindex für jedes Land besteht aus 25 Teilindizes, die die Integration in vier Kernbereichen messen. Je höher der Gesamtindex, desto stärker ist ein Land in die EU integriert. Es zeigt sich, dass die Integration zwar zugenommen hat.
Deutschland auf dem fünften Platz
Doch die Spannbreite zwischen dem am wenigsten integrierten Staat Griechenland und dem am stärksten integrierten Land Belgien hat sich kaum verändert. Klammert man die Nicht-Euro-Länder Dänemark und Großbritannien aus, zeigt sich, dass ausgerechnet die Krisenländer Spanien, Italien, Portugal und Griechenland am wenigsten mit der EU verflochten sind. Deutschland liegt auf Platz fünf.
Wichtige Kenngrößen wie Pro-Kopf-Einkommen, Löhne, Preisniveau und Steuersätze haben sich gar auseinanderentwickelt. Mit Ausnahme von Irland, Belgien, Italien und Deutschland weisen alle Länder aktuell einen niedrigeren Teilindex für die Homogenität auf als 1999. Die Autoren schließen daraus, dass „Marktverflechtungen und auch der Euro nicht automatisch zu Konvergenz führen, sondern auch mit Divergenz einhergehen können (oder vielleicht sogar hervorrufen)“.
Weit entfernt von Homogenität
Auch die Kapitalmärkte laufen auseinander. Nicht nur, dass die nationalen Notenbanken mittlerweile unterschiedliche Regeln für die Sicherheiten bei der Refinanzierung der Geschäftsbanken anwenden und Staatsanleihen der Krisenländer nur noch im Süden Abnehmer finden. Analysten des Bankhauses M.M.Warburg haben herausgefunden, dass auch der Gleichlauf der Aktien- und Rentenmärkte seit 2009 dramatisch zurückgegangen ist.
Inzwischen liegt die Korrelation nur noch bei knapp 0,4 (ein Wert von 1 entspricht völligem Gleichlauf). Bei Einführung des Euro-Bargelds 2002 war der Wert mehr als doppelt so hoch. Von einem homogenen Wirtschaftsraum – der zentralen Voraussetzung für das Überleben des Euro – ist Europa weit entfernt.
Fazit: These stimmt kaum
These 4: Der Euro forciert die Bildung einer politischen Union
Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ging die Gemeinschaftswährung realistisch an. Als er 1989 einen Bericht zum Projekt Euro vorlegte, hieß es darin auf Seite 13: „Selbst nach Erreichen der Wirtschafts- und Währungsunion wird die Gemeinschaft aus einzelnen Nationen bestehen mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kennzeichen.“ Obwohl Delors den Euro als Meilenstein der europäischen Integration sah, war ihm klar, dass er nicht automatisch eine Vielzahl von gemeinsamen Politiken nach sich ziehen würde.
Und der Mann hatte recht. Die politische Union bleibt auch im 14. Jahr des Euro ein Ideal. Mit ihrer im Ausland oft als zögerlich und unkoordiniert empfundenen Reaktion auf die Schuldenkrise hat die Euro-Zone international sogar Ansehen verspielt. Beim jüngsten Nato-Gipfel in Chicago fühlte sich US-Präsident Barack Obama bemüßigt, die Europäer daran zu erinnern, „dass das Euro-Projekt mehr bedeutet als eine Währung“.
Warum blieb trotz Einheitswährung der große Schub für eine politische Union aus? Ein wichtiger Grund liegt in den unterschiedlichen Präferenzen der Bürger. 2005 brachten Franzosen und Niederländer die geplante europäische Verfassung zu Fall. Die abgespeckte Variante, der Vertrag von Lissabon, verlagerte zusätzliche Aufgaben nach Brüssel, aber der Fortschritt in diesen Bereichen blieb zäh, weil die Mitgliedstaaten nach wie vor eigene Interessen verfolgen.
Unterschiedliche strategische Ziele
Sicher: Es gibt nun mit Catherine Ashton als Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik so etwas wie eine EU-Außenministerin. Dennoch tat sich Europa 2011 schwer, einheitlich auf die Umbrüche in Nordafrika zu reagieren – zu unterschiedlich waren die strategischen Ziele der Mitgliedstaaten.
Beim Thema Binnenmarkt, ohne den die Währungsunion nicht funktionieren kann, ist der Eifer schon seit Jahren erlahmt. „Deutlich vor Beginn der Krise 2008 wurde eine gewisse Integrationsmüdigkeit sichtbar“, monierte der frühere EU-Binnenmarktkommissar und heutige italienische Ministerpräsident Mario Monti in einem Bericht für die EU-Kommission 2010.
Nationale Reflexe
Die Finanzkrise hat in allen Mitgliedstaaten die nationalen Reflexe noch verstärkt. Bankenrettungen wurden national organisiert. Zur logischen Konsequenz der Finanzkrise, die Finanzmarktaufsicht europäisch zu koordinieren, rangen sich die Euro-Länder nur sehr schwer durch; lange Zeit versuchten nationale Aufsichtsbehörden sogar, eine Harmonisierung zu torpedieren.
Die Krise hat immerhin dazu geführt, dass die EU-Staaten etwas näher zusammenrücken. 2010 einigten sie sich auf das „europäische Semester“, einen Mechanismus, bei dem sie ihre Wirtschaftspolitik stärker abstimmen und frühzeitig ihre Haushaltsplanung für das kommende Jahr vorlegen müssen.
Fazit: These stimmt nur zum Teil
These 5: Europa braucht den Euro, um im Konzert der großen Währungsblöcke zu bestehen
So angeschlagen der Euro wirkt – die meisten Staaten der Welt betrachten Europas Zahlungsmittel als zweite Leitwährung: Ein Viertel der weltweit gebunkerten Währungsreserven lautet auf Euro; im Jahr 2000 waren es nur 18 Prozent. Der Dollar bringt es zwar auf 60 Prozent, doch die relative Übermacht der Dollar-Einlagen sinkt seit nunmehr zehn Jahren. Die Bedeutung des Euro blieb trotz Finanzkrise überraschend stabil, wenngleich es unter dem Eindruck der eskalierenden Schuldenkrise seit dem vierten Quartal 2011 eine Delle nach unten gibt.
Bleibt der Euro als Transaktions- und Reservewährung global relevant, beruhigt dies nicht nur internationale Investoren und Anleger, sondern stabilisiert auch die Handelsbilanzen im Euro-Land. Denn in den boomenden Schwellenländern, die für die Konjunktur in Europa eine Schlüsselrolle einnehmen, geht der Trend hin zur Kopplung der Landeswährung an einen Währungskorb.
Schwere Zeiten für Nationalwährungen
Im Korb der russischen Zentralbank etwa liegt der Euro-Anteil bei rund 40 Prozent. Für europäische Exporteure dämpft dies die Wechselkursvolatilität. Mittelfristig dürfte mit dem chinesischen Yuan eine dritte globale Leitwährung entstehen, die sich in den Währungskörben der Schwellenländer breit macht. Nationale europäische Währungen dürften es dann schwer haben.
Wer im Konzert der Wirtschaftsblöcke mitspielen möchte, braucht ein gemeinsames Korsett. Allerdings: Als Ankerwährung für Schwellenländer und als Katalysator für die weltpolitische Bedeutung Europas funktioniert der Euro nur, solange er auf Dauer eine stabile Währung ist. Das aber ist – nicht zuletzt durch die ultralockere Geldpolitik der EZB – infrage gestellt.
Weniger Wirtschaft, mehr politische Nähe?
Die Niedrigzinspolitik heizt den Kapitalstrom in Schwellenländer an, deren Währungen unter Aufwertungsdruck geraten. Wegen der Wechselkursbindung intervenieren die Zentralbanken der Schwellenländer und verkaufen die eigene Währung. Das zusätzlich in die Wirtschaft fließende Geld pumpt Spekulationsblasen auf und treibt die Güterpreise in die Höhe. Statt Stabilität importieren die Schwellenländer Inflation aus Europa.
Manche Euro-Kritiker sagen gar: Gäbe Europa den Euro auf, könnte die politische Bedeutung Europas steigen. Denn dann müssten die Regierungen auf wichtigen Politikfeldern eng zusammenrücken. Eine auf diese Weise institutionell gestärkte und mit einer Stimme sprechende EU könnte womöglich ihr Gewicht in der Welt besser zur Geltung bringen als eine in Währungsfragen zerstrittene Staatengruppe.
Fazit: These stimmt überwiegend
These 6: Der Euro sorgt für stabile Preise
„Wir haben in den vergangenen 13 Jahren Preisstabilität geliefert – und zwar tadellos!“, schleuderte Jean-Claude Trichet, der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), im September seinen Kritikern zum Abschied entgegen. Selbst die Leistung der Bundesbank habe die EZB übertroffen. Und tatsächlich: Deutschland verzeichnete seit dem Euro-Beitritt eine durchschnittliche Inflationsrate von 1,55 Prozent.
Zu D-Mark-Zeiten, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, waren es immerhin knapp vier Prozent. Noch mehr profitierten andere Mitgliedsländer, allen voran die Griechen: Zwischen 1979 und 1988 lag die durchschnittliche Inflationsrate dort bei abenteuerlichen 20 Prozent. Von 1999 bis 2008 fiel sie auf 3,2 Prozent, und aktuell sind die Hellenen bei 1,5 Prozent angekommen. Auch in Portugal, Italien und Frankreich gingen die Teuerungsraten dramatisch zurück. Aktuell liegt die Inflationsrate in der Währungsunion bei 2,6 Prozent.
Doch liegt das allein am Euro? Misstrauen dürfte schon die Tatsache erwecken, dass die Inflationsrate auch im Euro-losen Schweden von acht Prozent (1979 bis 1988) auf 1,2 Prozent (1999 bis 2008) fiel. „Der Euro hat Preisstabilität gebracht, doch man kann die Situation der vergangenen zehn Jahre nicht mit den vorangegangenen Jahrzehnten vergleichen“, sagt ein ehemaliger hochrangiger Notenbanker.
Die EZB
Damals kämpften die Industrieländer mit zwei Ölpreiskrisen. Mit hohen Lohnabschlüssen setzten die Gewerkschaften eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, gegen die die Bundesbank ankämpfen musste. Dagegen hatte die EZB bisher leichtes Spiel – dank der Globalisierung. Durch den weltweiten Wettbewerb fiel es Unternehmen schwerer, höhere Preise durchzusetzen.
Auch steigendes Vertrauen in die Unabhängigkeit der Zentralbank stabilisierte zunächst die Preise. Die EZB wurde nach dem Vorbild der Bundesbank gegründet und galt damit als deutlich prinzipientreuer als etwa die Banca d’Italia. „Doch die EZB ist dabei, dieses Vertrauen zu verspielen“, warnt der hohe Ex-Notenbanker. Das liegt vor allem an den Käufen von Schrottanleihen pleitebedrohter Euro-Staaten, die zuletzt mit 212 Milliarden Euro die Bilanzen des Euro-Systems aufblähten. Die EZB hat damit gegen das Verbot der Staatsfinanzierung verstoßen und ihre Reputation beschädigt.
Gefahr durch niedrige Leitzinsen
Das gilt auch für die Inflationsbekämpfung: Seit der Lehman-Pleite 2008 vergibt die EZB unbegrenzt Kredite an Banken. Die monetäre Basis – die Summe aus Bargeld und Einlagen der Banken bei der EZB – verdoppelte sich. Dass die Inflation bisher niedrig blieb (obgleich seit vielen Monaten über der EZB-Zielmarke von knapp zwei Prozent), liegt nur daran, dass das Geld bisher nicht in der Realwirtschaft angekommen ist.
Zusätzliche Gefahr geht von den niedrigen Leitzinsen aus. Der aktuelle Wert von 1,0 Prozent ist laut Einschätzung von Volkswirten viel zu niedrig für Deutschland. Analysten erwarten, dass die EZB aus Rücksicht auf die Peripherieländer den Zins bald weiter drückt. Das Inflationstor ist damit weit offen.
Fazit: These stimmt nur zum Teil
These 7: Der Euro erzwingt politische Strukturreformen
Nach einem Jahrzehnt Währungsunion fiel die Bilanz der EU-Kommission ernüchternd aus. „Die Erfahrung der ersten zehn Jahre zeigt, dass der Ruf nach makroökonomischer Disziplin nicht automatisch Fortschritt bei Strukturreformen und Marktintegration herstellt“, hieß es 2008 in einem ersten Fazit. Die Reformen am Arbeitsmarkt bezeichnete der Bericht als „Stückwerk“. Intern war der Unmut in der Kommission groß, dass Länder wie Spanien, Griechenland und Italien die niedrigeren Zinsen, die der Euro ihnen brachte, einstrichen, ohne gleichzeitig ihre Wirtschaft auf Vordermann zu bringen.
Das Problem: Es fehlen die Instrumente, um Strukturreformen in den Euro-Ländern durchzusetzen. Die EU-Kommission wollte mit der Lissabon-Strategie für mehr Wettbewerbsfähigkeit den Druck erhöhen und schlug 2004 vor, Länder, die Reformen verschleppen, öffentlich zu benennen. „Doch mehrere Regierungschefs sagten, dass sie sich nicht von der Kommission öffentlich bloßstellen lassen wollen“, erinnert sich der italienische Regierungschef Mario Monti, damals Wettbewerbskommissar.
Reformdruck gewachsen
Lange Zeit überdeckte starkes Wachstum die Notwendigkeit für Reformen. Spanien und Irland boomten, ihre Staatsschulden bewegten sich auf niedrigen Niveaus. „Alle waren glücklich, und selbst die Tatsache, dass Länder wie Portugal und Italien nur langsam wuchsen, geriet in Vergessenheit“, sagt Zsolt Darvas, Ökonom vom Brüsseler Thinktank Bruegel.
Mit der Schuldenkrise ist der Reformdruck nun gewachsen – und der Streit darüber auch. So forderte Monti kürzlich Spanien auf, seine Probleme energischer anzugehen, weil er fürchtet, dass sein Land in Mitleidenschaft gezogen wird.
Ausweg Euro-Bonds?
Darvas und sein Kollege Jean Pisani-Ferry haben in einer aktuellen Studie erheblichen Reformnachholbedarf vor allem im Süden Europas ausgemacht. Aber auch Frankreich attestieren sie Defizite, etwa einen ineffizienten Arbeitsmarkt. Belgien weist einen zu stark regulierten Einzelhandel auf, Deutschland zu viele Regeln bei freien Berufen.
„Die Euro-Zone hat gar keine andere Wahl als Reformen“, sagt Darvas. Doch schon diskutiert die EU über Euro-Bonds, wie sie Monti und Frankreichs neuer Präsident François Hollande fordern. Je nach Ausgestaltung würde eine solche Gemeinschaftsfinanzierung der Staatshaushalte den Reformdruck erheblich senken.
Fazit: These stimmt kaum
These 8: Es gibt zum Euro keine Alternative. Sein Scheitern würde eine Weltwirtschaftskrise auslösen
Glaubt man den meisten Ökonomen und Politikern, wäre das Auseinanderbrechen des Euro der GAU. Entsprechend apokalyptisch ist das Szenario, das sie für diesen Fall an die Wand malen: In den Euro-Krisenländern setzt ein Run auf die Banken ein, weil die Bürger versuchen, ihr Geld vor dem Umtausch in Drachme, Lira und Escudo zu retten.
Das Bankensystem bricht zusammen, die Finanzmärkte kollabieren, Handel und Wachstum kommen zum Erliegen, eine Klagewelle rollt über den Kontinent. Zudem machen Grenz- und Kapitalverkehrskontrollen die in Jahrzehnten erzielten Fortschritte der europäischen Integration binnen weniger Wochen zunichte. „Europas Wirtschaft würde in eine schwere Rezession stürzen und die Weltwirtschaft mit in den Abgrund reißen“, unkt Mark Cliffe, Chefökonom der niederländischen Bank ING. Seinen Berechnungen zufolge würde das Bruttoinlandsprodukt Europas beim Platzen des Euro bis 2014 um insgesamt 10 bis 13 Prozent schrumpfen – weitaus stärker als nach der Lehman-Pleite 2008.
Kein Spaziergang
Tatsächlich wäre der Abschied vom Euro kein Spaziergang und wirtschaftshistorisch allemal eine Zäsur. Doch er ist machbar. Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Probleme in den Krisenländern grübeln immer mehr Ökonomen darüber, wie ein Ausstieg aus dem Euro erfolgen könnte, ohne die Wirtschaft ins Chaos zu stürzen.
Noch konzentrieren sich ihre Überlegungen auf den Euro-Exit Griechenlands. So schlägt Thomas Mayer, Chefökonom der Deutschen Bank, vor, staatliche Schuldscheine als Parallelwährung in Griechenland einzuführen. Doch die Probleme der Währungsunion sind mit einem Euro-Austritt der Griechen allein nicht mehr zu lösen. Zu groß sind die wirtschaftlichen Verwerfungen auch in Spanien, Portugal und Italien, als dass sie sich unter dem Dach einer gemeinsamen Währung mit gemeinsamer Geldpolitik lösen ließen.
Nordo und Südo?
Einige Ökonomen fordern deshalb, den Währungsraum in eine Nord- und Südunion mit jeweils eigenen Währungen zu teilen. Eine eng definierte Nordunion aus Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich und Luxemburg erfüllt weitgehend die Kriterien eines optimalen Währungsraums. Doch für die Länder der südlichen Peripherie gilt das nicht. Ihre Wirtschaftsstrukturen sind zu heterogen, der Handel untereinander zu gering, die Arbeitskräfte zu wenig mobil, als dass ein „Südo“ Bestand haben könnte.
Ein zusätzliches Problem stellt Frankreich dar. Mit seiner Neigung zu Planwirtschaft und Inflation wäre das Land besser in einer Südunion aufgehoben, aus politischen Gründen müsste man es aber wohl in die Nordunion aufnehmen – die dann kein optimaler Währungsraum mehr wäre.
Die Alternative und das Gesamtfazit
Die Alternative zum Euro lautet daher: Die Länder kehren zu nationalen Währungen zurück. Logistisch ist das ohne Weiteres möglich. Die umlaufenden Euro-Scheine und Münzen könnten abgestempelt und vorübergehend als nationale Währungen verwendet werden, bis genug neue Scheine und Münzen gedruckt sind. Entscheidend ist, dass die Pläne zur Währungsumstellung bis zuletzt geheim bleiben, sonst drohen Turbulenzen an den Finanzmärkten.
Um das Risiko der Kapitalflucht und jahrelanger Rechtsstreitigkeiten gering zu halten, könnte die Rückkehr zu eigenen Währungen mit der Bildung eines Währungskorbs nach dem Vorbild der European Currency Unit (Ecu) verbunden werden. Ebenso wie die damalige Ecu im Europäischen Währungssystem wäre die neue Ecu ein Währungskorb aus den gewichteten nationalen Währungen der EU-Länder.
Keine Entwertung
Alle bestehenden Verträge und Euro-Guthaben würden in Ecu umgerechnet. Kein Bürger und Gläubiger müsste fürchten, dass seine Euro-Forderungen auf Weichwährungen umgestellt und damit faktisch entwertet würden. Neue Geschäfte würden dagegen ab sofort in nationalen Währungen abgeschlossen, auch aus der Lohntüte gäbe es dann wieder D-Mark, Gulden oder Franc. Der Einfachheit halber böte sich ein Umstellungskurs von 1:1 zum Euro an.
Der Wert des Ecu gegenüber den nationalen Währungen würde sich entsprechend den gewichteten bilateralen Wechselkursen der Korb-Währungen entwickeln. Das hätte zur Folge, dass die auf Ecu umgestellten Guthaben der Griechen (gerechnet in Drachme) an Wert zulegten. Dagegen würden die Ecu-Guthaben der Deutschen wegen der starken Mark an Wert verlieren. Doch wäre der Wertverlust deutlich geringer als bei einer Rückkehr zu nationalen Währungen ohne Ecu. Denn der hohe Anteil der Mark im Währungskorb bremst dessen Wertverlust.
Keine Frage: Wenn es so kommt, tritt Europa einen Schritt zurück. Doch die ökonomischen Vorteile wären enorm. Die Länder könnten wieder auf- und abwerten, ihre Wechselkurse die wirtschaftlichen Unterschiede ausgleichen – und die Ecu bildete die Klammer für ein neues Währungsgefüge.
Fazit: These stimmt gar nicht
Gesamtfazit:
Der Euro hat ökonomische und politische Vorteile. Sein Ende wäre eine Blamage, die zunächst weltweit Zweifel an der politischen Handlungsfähigkeit Europas wecken dürfte. Allerdings wären viele positive Entwicklungen auch ohne Euro eingetreten – umgekehrt wurden viele Hoffnungen, die man an den Euro knüpfte, enttäuscht. Zudem deutet alles darauf hin, dass Euro-Land zu einer Transferunion verkommt, in der sich reformresistente Schuldenstaaten durchfüttern lassen. Die Währungsunion birgt für Deutschland somit hohe Risiken. Wahr ist: Es gibt keine Alternative zu Europa und zur Europäischen Union. Zum Euro schon.