Die Niederländer müssten eigentlich hochzufrieden sein mit ihrer politischen Führung. Das Land steht schließlich nach makroökonomischen Daten sehr gut da. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei rund 40.000 Euro, also deutlich höher noch als das deutsche (rund 37.400).
Die Arbeitslosenquote lag im Dezember bei 5,4 Prozent, also kaum höher als in Deutschland und weit unter dem EU-Schnitt von 9,6 Prozent. Die Staatsschulden betrugen im dritten Quartal 2016 61,9 Prozent des nominalen BIP – verglichen mit weit über 100 Prozent beim Nachbarn Belgien. Auch das Haushaltsdefizit war 2016 mit nicht mal einem Prozent passabel.
Nach der politischen Wahllogik der vergangenen Jahrzehnte müsste man also davon ausgehen, dass die regierenden Parteien sich voller Zuversicht dem niederländischen Wahlvolk stellen können. Doch dem ist bekanntlich nicht so. Die Niederlande, in ihrer Sozialstruktur und kulturellen Prägung Deutschland so ähnlich wie kein anderes Land außer Österreich, sind vor den Parlamentswahlen am 15. März von brodelnder politischer Unzufriedenheit geprägt.
In den Niederlanden wird besonders deutlich, was wohl auch für andere Länder Westeuropas gilt: Wahlentscheidungen und die politische Stimmung orientieren sich nicht mehr an der akuten volkswirtschaftlichen Lage. Wie eine aktuelle Studie des DIW zeigt, ist den Deutschen die innere Sicherheit wichtiger als das Wirtschaftswachstum. Es zeichnet sich – vermutlich nicht nur in den Niederlanden - eine grundlegende Wandlung der politischen Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft und damit einhergehend ein gewandeltes Parteiensystem ab.
In vielen Umfragen, die in den Niederlanden allerdings als besonders unzuverlässig gelten, liegt die PVV (Partei für die Freiheit) mit Geert Wilders an erster Stelle. Sie könnte rund 20 Prozent der Stimmen erreichen. Mit seiner radikalen Rhetorik ist Wilders die Personifizierung der Unzufriedenheit. Er hat aufgekündigt, was jahrzehntelang Gesellschaft und Politik in den Niederlanden prägten: den postnationalen, proeuropäischen und migrationsfreundlichen Konsens. Sein Wahlprogramm „Die Niederlande wieder unser“ passt auf eine A4-Seite und besteht nur aus 11 Forderungen, die sich auf zwei destillieren lassen: „Entislamisierung“ und Austritt aus der EU. Wilders ist dabei deutlich radikaler als die AfD: Der Islam soll demonstrativ verboten und Moscheen geschlossen werden, Zuwanderung, zumindest aus islamischen Ländern, soll bis auf weiteres komplett gestoppt werden. Dazu kommen soziale Forderungen, die dem verbreiteten Empfinden entgegenkommen, dass die Grundlagen des gegenwärtigen Wohlstandes und der Solidarität durch Einwanderung und Globalisierung gefährdet sind: Rente ab 65!, Mehr Personal in der Pflege!, Niedrigere Mieten und Steuern!.
Das ist Geert Wilders
Der niederländische Politiker Geert Wilders wurde am 6. September 1963 in Venlo geboren und ist seit 1992 mit einer Ungarin verheiratet. Neben einer Tätigkeit bei einer Versicherungsgesellschaft studierte Wilders Rechtswissenschaften an der niederländischen Open Universiteit. Geert Wilders lebte eine längere Zeit in Israel. Wegen Volksverhetzung - Wilders nannte Muslime pauschal "gefährlich" - stand Wilders Anfang 2010 vor Gericht. Die Richter sprachen ihn frei, bei seiner Äußerung handele es sich um "freie Meinungsäußerung".
Euroskepsis und Fremdenhass ist das, was die „Partei für die Freiheit“ (PVV) ausmacht. In den Augen ihres Gründers Geert Wilders ist der Islam eine faschistische Ideologie. Ein Einwanderungsstopp ist seiner Ansicht nach die einzig logische Konsequenz. Wilders spricht sich zudem gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union aus und findet, dass die EU sich in einem "schrecklichen Zustand" befindet.
Anfang 2006 gründete Wilders die "Partij voor de Vrijheid", mit der er bei den niederländischen Parlamentswahlen am 22. November 2006 antrat und aus dem Nichts neun Sitze im Parlament erhielt. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wählte ihn daraufhin 2007 zum Politiker des Jahres. 2010 holte seine Partei bei den Wahlen über 15 Prozent der Stimmen. Wilders wurde zum Zünglein an der Waage und duldete die Minderheitsregierung von Mark Rutte.
Geert Wilders ist radikaler Gegner des Islams. Er fordert eine Steuer für das Tragen von Kopftüchern und Vergleich den Koran bereits mit Hitlers „Mein Kampf“. Für seine Äußerung, Muslime seien grundsätzlich potentiell gefährlich, musste er sich vor Gericht verantworten.
Wilders ist der personifizierte Gegensatz zu dem bieder erscheinenden Ministerpräsidenten Mark Rutte an der Spitze der Rechtsliberalen VVD. Verglichen mit dem radikalen „Nein“ von Wilders wirken die politischen Programme der anderen Parteien kaum unterscheidbar als ein generelles „Weiter so“. „Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Parteien wie dem CDA und der VVCD auf der rechten oder Groenlinks, D66 und PvdA auf der linken Seite sind nicht übertrieben groß“, schreibt der Politologe Koen Vossen.
Besonders steil ist der Bedeutungsverlust der mit der VVD koalierenden Sozialdemokraten (Partei der Arbeit, PvdA). Während die PvdA 2012 noch 24,8 Prozent der Stimmen gewann, sind ihre Umfrageergebnisse mittlerweile einstellig.