Als am Sonntagabend endlich Gewissheit herrschte, war die Erleichterung von vielen Gesichtern und Glückwunschbotschaften abzulesen. Frankreich und Europa sind noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen. In den Pariser Elysée-Präsidentenpalast wird nicht die rechtsextreme und EU-feindliche Marine Le Pen einziehen, sondern ein Pro-Europäer, der versprochen hat, sein Land nötigen Reformen zu unterziehen.
Einfach wird das nicht. Der neue Präsident hat zwar gut 66 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Das ist mehr, als ihm die optimistischsten Umfragen der vergangenen Tage zugeschrieben hatten. Und das ist umso bemerkenswerter, als der ehemalige Wirtschaftsminister des scheidenden Staatschefs François Hollande es als politisch relativ unerfahrener Neuling binnen nur eines Jahres geschafft hat, das höchste Staatsamt im Sturm zu erobern.
Bei genauer Betrachtung hat Macron allerdings keine Mehrheit für sein Programm. Einer von vier Wahlberechtigten ging nicht an die Urne. Weitere 8,8 Prozent der Wahlzettel – also 4,2 Millionen – waren offiziell ungültig. Vor der Wahl äußerten zudem 57 Prozent derer, die ihr Kreuz bei seinem Namen machen wollten, dass dies kein Votum für Macron, sondern gegen Le Pen sei. Und sechs von zehn Wahlberechtigten wünschen nicht, dass Macron bei den Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni die notwendige Mehrheit erhält, um sein politisches Programm in vollem Umfang umzusetzen.
Ja, Macron hat Le Pen eine Niederlage beschert. Aber nur 31 Prozent seiner Wähler gaben an, dass sie von ihm eine Verbesserung ihrer persönlichen Situation erwarten. Von Le Pen nahmen das hingegen 67 Prozent ihrer Wähler an. „Das zeigt, dass Emmanuel Macron zwar eine Menge Stimmen gegen Le Pen auf sich vereinen kann,“ urteilt Christophe Bouillaud, Professor für Europa-Politik an der Universität von Grenoble. „Es beweist aber auch, dass das, was er politisch anzubieten hat, wirklich nur eine Minderheit überzeugt.“
Macron dürfte Protest entgegenschlagen
Nach Einschätzung von Laurent Bouvet, Politikprofessor an der Université de Versailles-Saint-Quentin-en-Yvelines, muss das nicht automatisch ein Nachteil sein. Anders als seine Vorgänger François Hollande von den Sozialisten und Nicolas Sarkozy von den Konservativen werde Macron weniger Anhänger enttäuschen und somit womöglich „seine Amtszeit erfolgreicher abschließen als die beiden Präsidenten, die große Zustimmung erhielten“.
Davor dürfte ihm allerdings einiger Protest entgegen schlagen. Zu Hause und auch auf europäischer Bühne. Le Pen kündigte bereits wenige Minuten nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses an, sie werde die stärkste Oppositionspartei Frankreichs anführen und den Kampf für die Interessen ihrer Anhänger im Parlament aufnehmen. Den bisherigen Front National will sie umbauen und wohl auch umbenennen.
„Unser Widerstand kann den Kampf gewinnen“, gab Jean-Luc Mélenchon am Sonntagabend den Ton für die nächsten Wochen bis zur Parlamentswahl vor. Der Präsidentschaftsbewerber der Links-Partei „aufsässiges Frankreich“ hatte in der ersten Wahlrunde gut 19 Prozent der Stimmen auf sich vereint und rief nun seine Anhänger dazu auf, für eine parlamentarische Mehrheit seiner Partei zu sorgen.
Politiker und Wähler des linken politischen Spektrums hatte bereits vorab angekündigt, ihren Widerstand gegen die geplante Arbeitsmarktreform nicht nur ins Parlament, sondern im Zweifelsfall mit aller Macht auf die Straße zu tragen. „Das wird nicht reibungslos über die Bühne gehen,“ warnt stellvertretend Gewerkschaftschef Philippe Martinez von der CGT.
Die hatte schon im Frühling 2016 Teile des öffentlichen Lebens lahm gelegt, als eine abgespeckte Version der Reform im Parlament diskutiert und mangels Mehrheit schließlich per Notverordnung Gesetz wurde. Der Müll blieb liegen, Zügen fuhren nicht, und zeitweise wurden Benzin und Diesel knapp, weil Kraftstofflager besetzt wurden.
Konservative ringen noch um Unterstützung für Macron
Macron will zwar die häufig als wettbewerbsschädlich kritisierte 35-Stunden-Woche formal beibehalten. Unternehmer sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, flexible Arbeitszeiten auf Betriebsebene mit ihren Beschäftigten auszuhandeln und damit Branchentarifverträge zu umgehen.
Außerdem will der neue Präsident Abfindungen im Fall von Kündigungen deckeln. Auf Kritik stößt auch seine Absicht, dass Arbeitslose künftig nur noch ein Job-Angebot ablehnen dürfen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.
Die konservativen Republikaner streiten derzeit noch partei-intern über eine mögliche Kooperation mit Macron. Nach der schmerzhaften Niederlage ihres eigenen Präsidentschaftsbewerbers François Fillon bereits in der ersten Runde der Wahlen vor zwei Wochen konzentrieren die Republikaner auf den Wahlkampf für die am 11. und 18. Juni anstehenden Parlamentswahlen.
Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte
Wichtig ist der Erfolg Macrons vor allem deswegen, weil sonst Marine Le Pen Staatschefin geworden wäre. Die Rechtspopulistin hatte im Wahlkampf für eine Abkehr Frankreichs von der Europäischen Union und vom Euro geworben. Ein EU-Austritt Frankreichs würde das komplette europäische Einigungsprojekt infrage stellen - vor allem vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits.
Frankreich ist nach Deutschland das bevölkerungsreichste EU-Land. Zudem wird es nach dem Brexit das einzige EU-Land mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Auch die Wirtschaftleistung ist enorm.
Macron will sich für tiefgreifende Reformen der Union einsetzen. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Zudem spricht er sich für europäische Mindeststandards in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung aus.
Macron sagt: „Ich bin ein Pro-Europäer.“ Er verteidige die europäische Idee und die europäische Politik, weil er glaube, „dass sie sehr wichtig für die französische Bevölkerung und für unser Land in Zeiten der Globalisierung sind.“
Auf absehbare Zeit gering. Vieles, was Macron fordert, wird in der EU schon seit langem diskutiert. Mangels Einigkeit gab es allerdings kaum Fortschritte. In Brüssel wird darauf gehofft, dass sich das nach dem für 2019 vorgesehenen EU-Austritt Großbritanniens ändern könnte. Macron warnt davor, sich zuviel Zeit zu lassen. Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der „Frexit“ (Austritt Frankreichs) oder ein weiteres Erstarken der Front National.
„Ich bin überzeugt, das Emmanuel Macron ein guter Partner für Deutschland sein wird.“ Mit diesen Worten hatte Frankreichs scheidender Präsident François Hollande in der vergangenen Woche auf den möglichen Wahlsieg seines früheren Wirtschaftsministers geblickt. Das dürfte jedoch nicht heißen, dass Macron immer ein leichter Partner sein wird.
Das ist schwer zu sagen. Macron selbst sagt, er sei „weder rechts noch links.“ Im Wahlkampf bekam der frühere Sozialist deswegen sowohl von Unionspolitikern als auch von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Unterstützung. Kanzlerin Merkel sagte jüngst mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Macrons: „Sein Erfolg wäre ein positives Signal für die politische Mitte, die wir ja auch hier in Deutschland stark halten wollen.“ Nachdem Merkel ihn im März im Kanzleramt empfangen hatte, sprach Macron von „großer Übereinstimmung“.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte schon einmal selbstbewusst fest: Macron als Präsident in Frankreich und „ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ würden die Reform der EU in Angriff nehmen. Für Schulz etwas misslich ist nur, dass er sich in der ersten Wahlrunde für Benoît Hamon von den französischen Sozialisten stark gemacht hatte. Der Kandidat der SPD-Schwesterpartei PS war dort mit einem deutlich linkeren Programm angetreten als Macron und klar gescheitert.
Abgesehen von der Reform der Euro-Zone vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Macron ist - wie US-Präsident Donald Trump - ein scharfer Kritiker des deutschen Exportüberschusses. Neulich sagte er: Deutschland müsse zu der Einsicht kommen, „dass seine wirtschaftliche Stärke in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar ist“. Deutschland profitiere vom Ungleichgewicht in der Eurozone und erziele sehr hohe Handelsüberschüsse. „Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden.“
Der deutsche Exportüberschuss könnte zum Beispiel abgebaut werden, indem die Bundesregierung die Überschüsse im Bundeshaushalt nutzt, um mehr zu investieren, etwa in den Straßenbau. Zudem fordern manche Ökonomen, dass die Löhne in Deutschland stärker steigen müssten, um die Binnennachfrage zu stärken. Die Kaufkraft ließe sich auch über Steuersenkungen erhöhen.
„Wenn wir uns nicht bewegen, zerstören wir die EU“
Macrons Reformbestrebungen stehen und fallen mit der Frage, ob seine erst vor einem Jahr gegründete Bewegung „En Marche!“ (Vorwärts) genügend eigene Mandate für eine Mehrheit gewinnt oder aber entsprechende Unterstützung von den etablierten Parteien erhält. Nur dann ginge sein Plan auf, der Bundesregierung in Berlin französischen Reformwillen zu beweisen und dann dort auf Augenhöhe über seine Forderungen für eine Reform der EU zu verhandeln.
Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron
Die Unternehmenssteuer soll von derzeit 33 auf 25 Prozent gesenkt werden. Die Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) soll umgewandelt werden in eine dauerhafte Entlastung für Arbeitnehmer mit niedrigen Löhnen.
An der 35-Stunden-Woche soll festgehalten werden. Allerdings könnte sie flexibler geregelt werden, indem Betriebe über die tatsächliche Arbeitszeit mit ihren Beschäftigten verhandeln.
Sie sollen von bestimmten Sozialabgaben befreit werden. Dadurch könnten Niedriglohnempfänger einen zusätzlichen Monatslohn pro Jahr in ihren Taschen haben.
Binnen fünf Jahren sollen 50 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern investiert werden. 15 Milliarden Euro davon sollen in bessere Aus- und Weiterbildung gesteckt werden, um die Einstellungschancen von Jobsuchenden zu verbessern. Ebenfalls 15 Milliarden Euro sind geplant, um erneuerbare Energien zu fördern. Weitere Milliarden sind für die Landwirtschaft, die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, für Infrastruktur und Gesundheitswesen geplant.
60 Milliarden Euro an Einsparungen sind bei den Staatsausgaben vorgesehen, die in Frankreich traditionell hoch sind. Zehn Milliarden Euro soll der erwartete Rückgang der Arbeitslosenquote von derzeit etwa zehn auf sieben Prozent bringen, indem die Ausgaben für Arbeitslosengeld sinken. Durch eine verbesserte Effizienz soll das Gesundheitswesen zehn Milliarden einsparen, weitere 25 Milliarden Euro die Modernisierung des Staatsapparates.
In Gegenden mit niedrigem Einkommen soll die Schülerzahl auf zwölf pro Klasse begrenzt werden. Lehrer sollen als Anreiz für eine Arbeit in solchen Regionen einen Bonus von 3000 Euro pro Jahr bekommen. Mobiltelefone in Schulen sollen für Kinder bis 15 Jahren verboten werden. Alle 18-Jährigen sollen einen Kulturpass im Wert von 500 Euro erhalten, den sie beispielsweise für Kino-, Theater- und Konzertbesuche ausgeben können.
„Wenn wir uns nicht bewegen, zerstören wir die EU,“ warnt er und hat dabei insbesondere Skeptiker jenseits des Rheins im Blick. Denn was er vorschlägt, setzt in Berlin erfahrungsgemäß stärkte Abwehrkräfte in Bewegung. Macron schwebt ein EU-Budget vor, um Investitionen auf europäischer Ebene anzukurbeln. Ein eigener Euro-Finanzminister könnte das Geld verteilen und damit Reformbemühungen in den Mitgliedsländern belohnen. Frankreich wäre ein Kandidat für solche Gegendienste.
Zwar hatte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in der Vergangenheit schon für den Posten eines Euro-Finanzministers geworben. Er hatte dabei allerdings eher jemanden im Sinn, der die Einhaltung der Haushaltsrichtlinien überwacht. Deshalb hofft der neue Präsident auf den Herbst.
„Macrons Kalkül ist, schnell zu liefern, um dann nach der Bundestagswahl in einer womöglich etwas anderen Konstellation der Bundesregierung Gehör zu erhalten,“ sagt Claire Demesmay, Frankreich-Expertin bei der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Denn allein mit Reformen in Frankreich werde er nicht so schnell für Wirtschaftswachstum und eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit sorgen können, um die heimische Opposition zu besänftigen.
Scheitert Macron, würde die Erleichterung des Wahlabends 2017 sich womöglich schnell ins Gegenteil verkehren. Politische Kommentatoren warnen schon heute, dass Marine Le Pen erneut Anlauf auf den Elysée-Palast nehmen wird – und sich in dem Fall nicht mehr ausbremsen ließe.