Walter Krämer "Die Euro-Krankheit bricht bald umso heftiger aus"

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"Wir zahlen Exporterfolge aus eigener Tasche"

Also können sich die Deutschen doch nicht beschweren.

Auf den ersten Blick stimmt das. Aber nicht auf den zweiten. Denn innerhalb Deutschland findet eine riesige Umverteilung statt, die leider in den Medien nie thematisiert wird: Weg von den Sparern, hin zu den Konzernen und deren Arbeitnehmern, die von den Exporten profitieren.

Das müssen Sie erklären.

Unsere ewigen Exportüberschüsse bedeuten, dass ein riesiger Berg von Forderungen gegenüber dem Ausland aufgehäuft wird. Wir verleihen Geld, damit das Ausland unsere Waren kauft. Derzeit belaufen sich diese Auslandsforderungen auf etwa 6 Billionen Euro. Aber was, wenn diese Forderungen nicht bedient werden können? Dann hätten wir die Exporte sozusagen verschenkt. Genau das passiert gerade. Die deutschen Sparer und Rentner leihen den Griechen das Geld, für das sie deutsche Autos kaufen, kriegen es aber großteils nie zurück. Der Daimler-Konzern dagegen bekommt seine Mercedesse bezahlt. Deswegen fordern auch alle großen deutschen Konzerne, den Euro unbedingt zu erhalten. Aber die Sparer werden zu Gunsten der Exportindustrie geschröpft, ohne dass sie es merken. Der Gelackmeierte ist der heute Vierzigjährige, der spart, um sich in 30 Jahren zur Ruhe zu setzen. Dann wird er merken, dass er das, was er glaubte zu haben, nicht hat.

"EZB hat völliges Neuland betreten"
"Eher symbolische Maßnahmen""Für sich betrachtet sind die Zinssenkungen und der negative Einlagezins eher symbolische Maßnahmen: Sie werden weder die Kreditvergabe in den Krisenländern maßgeblich verbessern noch das Deflationsrisiko deutlich mindern", kommentierte DIW-Chef Marcel Fratzscher die EZB-Entscheidung. "Ich interpretiere sie aber als Startsignal und Anfang einer neuen EZB-Strategie einer stärkeren geldpolitischen Expansion. Als erste Schritte in einer Reihe von weiteren Maßnahmen in den kommenden Monaten sind sie bedeutungsvoll. Die EZB-Maßnahmen bergen große Risiken: Sie könnten die Blasenbildung und das riskante Verhalten von Banken noch verstärken. Allerdings wäre es noch riskanter und eine deutlich schlechtere Option, wenn die EZB nichts täte." Quelle: dpa
"Genau das falsche Rezept""Der Schritt der EZB markiert eine neue Eskalationsstufe. Damit wird das Niedrigzinsniveau weiter verfestigt, zulasten der Vorsorgesparer in Deutschland. Ihre Sparanstrengungen werden durch die EZB untergraben", kritisiert Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). "Deshalb sind wir in Sorge. Ökonomisch ist die Maßnahme genau das falsche Rezept. Denn die niedrigen Zinsen lösen kaum noch Wachstumsimpulse aus. Viel wichtiger wäre die Fortsetzung der Strukturreformen zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Politik des billigen Geldes wird zum Irrweg." Quelle: AP
"Zinspulver fast verschossen""Geldgeneral Draghi hat sein Zinspulver nun (fast) verschossen. Aktionäre und Immobilienbesitzer dürfen jubeln, Kontensparer und Versicherungssparer dürfen kapitulieren", sagt Ingo Theismann von der Vermögensverwaltung Consulting Team. "Erstmals müssen Banken Strafzinsen für ihre Einlagen zahlen, damit sollen über höhere Kreditvergaben Konjunktur und Inflation herbeigezaubert werden. Doch was sagte dazu bereits Ex-Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller vor 47 Jahren: 'Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selber.' Wir können nur hoffen, dass diese riskante Wette der EZB auch aufgeht."
"Erhebliche Risiken""Ich sehe erhebliche Risiken durch die Niedrigzinspolitik und die vergleichsweise üppige Geldversorgung durch die EZB", sorgt sich Michael Fuchs, stellvertretender Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag. "Der Druck der Märkte auf Reformen und Einsparungen gerade in den EU-Krisenländern schwindet. Darüber hinaus gefährden Niedrigzinsen in der gesamten EU die Bereitschaft zum Sparen und zur Altersvorsorge in der Bevölkerung." Quelle: dapd
„Der Handlungsspielraum der EZB ist mehr homöopathisch“Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält die Wirkung weiterer Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) für sehr begrenzt. „Der Handlungsspielraum der EZB ist mehr homöopathisch“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung dem Südwestrundfunk. Ein Leitzins, der noch näher bei null liege, und ein Strafzins für Geschäftsbanken, die überschüssiges Geld bei der EZB parken wollten, stellten als Konjunkturimpulse keine schweren „Geschütze“ dar. Um die Wirtschaft im Euroraum zu beleben, sollten die Politiker darüber nachdenken, wie man die Investitionsanreize stärken kann, sagte Bofinger: „Dass also mehr Kreditmittel auf den Märkten von Investoren aufgenommen werden, und dann steigen auch die Zinsen wieder.“ Eine Hauptkritik aus Deutschland an der Politik des billigen Geldes ist, dass das niedrige Zinsniveau die Sparer belaste. Quelle: dapd
"Völliges Neuland""Die EZB hat völliges Neuland betreten, in ihrer Mission, die Wirtschaft in der Euro-Zone zu unterstützen", konstatiert Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Diba. "Wird das die Wirtschaft anschieben? Wahrscheinlich nicht, aber es zeigt zumindest die Entschlossenheit der EZB und ihre Handlungsmöglichkeiten." Quelle: PR
"Ein ganz gefährlicher Weg, den die EZB da einschlägt."Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon (im Bild links neben dem Co-Chef der Deutschen Bank Jürgen Fitschen) wettert gegen die EZB-Ankündigungen, die Geldschleusen weiter zu öffnen. „Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den Krisenländern werden durch die erneute Zinssenkung die Sparer in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört“, sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Georg Fahrenschon. Die Maßnahmen machten die Finanzmärkte auch nicht stabiler - „im Gegenteil, das überreichliche Geld quillt schon jetzt aus allen Ritzen und sucht sich immer riskantere Anlagemöglichkeiten“. Schon am Morgen vor der EZB-Entscheidung äußerte Fahrenschon im ARD-Morgenmagazin seine Sorgen darüber aus, dass viele Menschen, die mit Versicherungen für ihr Alter vorgesorgt hätten, jetzt ungefragt zur Kasse gebeten würden: „Das ist ein ganz gefährlicher Weg, den die EZB da einschlägt.“ Allein in Deutschland würden Sparer, die fürs Alter vorsorgen, 15 Milliarden Euro verlieren: „Das sind vom Baby bis zum Großvater 200 Euro pro Kopf. Und das ungefragt. Und das Geld fehlt. Es ist weg.“ Quelle: dpa

Der Ökonom Lars Feld und viele andere erwarten, dass das billige Geld vor allem die Jagd nach schneller Rendite anheizt und die Gefahr von Spekulationsblasen steigt.

Ob die aktuellen Börsenkurse gerechtfertigt sind, weiß der liebe Gott. Ich halte sie für übertrieben.

Wachstum anzukurbeln ist nach traditionellem deutschem Verständnis ohnehin nicht die Aufgabe einer Notenbank.

Vertragsgemäß ist die erste Aufgabe der EZB, die Preisstabilität zu bewahren. Nebenbei soll sie auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung fördern - im Gegensatz zur alten Bundesbank. Aus dieser Nebenaufgabe ist nun aber eine Hauptaufgabe geworden. Und diese Orientierung an kurzfristigen wirtschaftspolitischen Zielen untergräbt langfristig das Vertrauen. Wenn die Leute merken, dass sie beklaut werden, ist das ganze Projekt gefährdet. Ein Geldsystem lebt davon, dass die Menschen dem System vertrauen.

Sie glauben nicht, dass Mario Draghi so unabhängig ist, wie ein Zentralbanker sein sollte?

Nein. Wenn jemand, wie Draghi, bei einer amerikanischen Großbank Karriere gemacht hat, vertritt er deren Interessen weiter, ob er will oder nicht. Die Finanzinstitute an der Wall Street und in der Londoner City sorgen dafür, dass ihr alter Spezi Draghi sie nicht untergehen lässt.

Aber wer außerhalb der Finanzindustrie ist für die Führungspositionen einer Zentralbank überhaupt qualifiziert?

Warum nicht Wissenschaftler nehmen? Das hat in der Bundesbank gut funktioniert.

In der öffentlichen Wahrnehmung der Deutschen ist die Euro-Krise in den Hintergrund gerückt. Unsere Volkswirtschaft erscheint wie eine Insel der Glückseligkeit.

Unter den Blinden ist der Einäugige eben König. Unsere Wachstumsraten sind verglichen mit den USA mickrig. Und wir zahlen unsere Exporterfolge, wie gesagt, aus der eigenen Tasche. Dafür bekommen wir die Rechnung erst später präsentiert und merken es noch nicht.

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