Die Laudatio hatte den Charakter einer Grabrede. Als der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) vorige Woche dem portugiesischen Außenminister Rui Machete stellvertretend mit der "Goldenen Victoria" für ein "überzeugendes Beispiel für den erfolgreich gemeisterten Weg aus der Finanzkrise" ehrte und EU-Kommissar Günther Oettinger die Lobrede hielt, da waren die Tage der konservativen Regierung in Lissabon bereits gezählt. AmDienstagabend stimmte die Mehrheit der Parlamentarier für ihre Ablösung.
Dem viel gepriesenen Musterschüler unter den europäischen Krisenstaaten steht damit eine ungewisse Zukunft bevor. Manche fürchten sogar ein "zweites Griechenland". 123 Abgeordnete der Sozialisten, Kommunisten, des marxistisch orientierten Linksblocks und der Grünen sprachen der Regierung unter Führung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho wie angekündigt das Misstrauen aus. "Portugal braucht eine andere Regierung", begründete Sozialistenführer António Costa das Votum.
Diesen Wunsch hätten die Bürger nach vier Jahren strenger Sparpolitik bei der Parlamentswahl am 4. Oktober deutlich zum Ausdruck gebracht. "Das müssen wir respektieren und umsetzen. Das Programm, das die Regierung uns vorgestellt hat, spiegelt diesen Willen zum Wechsel nicht wider", sagte Costa. Sie wolle vielmehr weiterhin im Widerspruch zur Verfassung den Sozialstaat aufs Spiel setzen. Tatsächlich hatte die konservative Koalition bei der Wahl die meisten Stimmen erhalten. Sie hatte aber mit 38 Prozent die absolute Mehrheit verfehlt und damit die Quittung für ihr Reformprogramm der vergangenen vier Jahre erhalten.
Großer Gewinner war der Linksblock, der seinen Stimmenanteil auf zehn Prozent verdoppelte. Die Sozialisten kamen auf 32 Prozent. Das Zweckbündnis der vier linksgerichteten Parteien, die bisher nie zusammengearbeitet haben und zum Teil höchst unterschiedliche politische Ziele verfolgen, stellt 122 der 230 Parlamentsabgeordneten. Sie wollen nun selbst an die Macht und zahlreiche Reformen wieder zurückdrehen. In seiner Rede im Parlament sprach Costa selbst die wunden Punkte an, die in Brüssel und den Hauptstädten so mancher EU-Partner die Sorge vor chaotischen Verhältnissen unter einer Linksregierung in Lissabon schüren.
Mitgliedschaft in der Euro-Zone ein Zankapfel
"Es ist möglich, das Einkommen der Familien zu steigern, ohne dass wir die Meinung über die Nato-Mitgliedschaft teilen. Es ist möglich, die Mittelklasse aus dem steuerlichen Würgegriff zu befreien, auch wenn wir unterschiedliche Ansichten über die Verstaatlichung des Energiesektors haben. Es ist möglich, den Sozialstaat zu verteidigen, obwohl wir divergierende Meinungen über die Mitgliedschaft in der Euro-Zone haben. Es ist möglich, Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne zu bekämpfen, auch wenn wir verschieden über die EU denken. Und es ist möglich, dass wir viel gemeinsam machen, indem wir Respekt für die unterschiedlichen Programme zeigen, die jede einzelne Partei hat."
So benehmen Sie sich in Portugal richtig
Titel haben hohen Rang. Ein Ingenieur will mit „Herr Ingenieur“ angesprochen werden. Das Gleiche gilt für den Doktor. Solche Grade stehen natürlich auch auf Visitenkarten. Geduzt wird übrigens erst, wenn Bruderschaft getrunken wurde. Bis dahin bleibt es beim „Sie“.
Anders als in Spanien werden in Portugal keine Wangenküsschen gegeben. Der Handschlag reicht.
Seien Sie nicht verwundert, wenn Ihr Geschäftspartner Sie beim dritten Besuch nach Hause einlädt. Die Portugiesen sind stolz auf ihr Heim und teilen diese Privatsphäre gerne mit Geschäftsfreunden. Die Einladung anzunehmen ist Pflicht.
Lange Geschäftsessen sind nicht üblich. Auch wird früher und schneller zu Mittag gegessen als in Spanien: 13.30 Uhr ist die übliche Zeit.
Im Restaurant sollte der Mann nie das Jackett ausziehen, ohne vorher die anderen zu fragen – auch nicht im Sommer!
Mit pinken oder gelben Hemden wie in Spanien machen Sie sich in Portugal lächerlich. Die dominanten Farben bei Anzügen sind Grau, Blau und Schwarz, bei Hemden Hellblau und Weiß. Für Frauen gilt dasselbe. Im Business trägt sie entweder Kostüme oder Hosenanzüge.
Denken Sie nie, Portugal sei wie Spanien! Im Gespräch sollten Sie klarmachen, dass Sie verstanden haben, dass die portugiesische Kultur eine völlig andere ist, sonst sind die Portugiesen beleidigt.
Portugiesen sind sehr selbstkritisch, mögen aber nicht, wenn Ausländer sie kritisieren. Deswegen: Vorsicht mit negativen Äußerungen über Land und Leute!
Auch wenn Sie Spanisch können: Reden Sie mit Portugiesen Englisch. Nicht wenige hegen Argwohn gegen den wirtschaftlich stärkeren Nachbarn.
Reden Sie nie laut! Das gilt als sehr unhöflich und wenig diskret.
Vor allem wegen der feindlichen Einstellung von Kommunisten und Linksblock zu Euro und Nato-Mitgliedschaft hatte Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva sich ursprünglich geweigert, den bei der Parlamentswahl zweitplatzierten Sozialisten den Auftrag zur Regierungsbildung unter Einschluss der beiden anderen Parteien zu erteilen. "In den 40 Jahren der Demokratie hatte Portugal niemals eine Regierung, die von anti-europäischen politischen Kräften abhing, sagte Cavaco Silva vor wenigen Tagen in einer Fernsehansprache.
"Außerhalb der Europäischen Union und des Euro wäre die Zukunft Portugals katastrophal", fügte er fast flehentlich hinzu. Außerdem war er mit Regierungschef und Parteifreund Passos Coelho einer Meinung, dass eine Kehrtwende in der Reformpolitik fatale Auswirkungen haben könnte.
„Es ist meine Pflicht, alles in meiner Macht stehende zu tun, um sicherzustellen, dass keine falschen Signale an die Finanzinstitutionen, Investoren und Märkte geschickt werden," sagte Cavaco Silva. "Dies könnte das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit zunichte machen, die das Land mit großer Mühe zurückgewonnen hat.“
"Ohne Stabilität ist Portugal großen Risiken ausgesetzt"
Dass solche Bedenken nicht ganz aus der Luft gegriffen waren, zeigen die Entwicklungen an der Börse und dem Bondmarkt. Portugals Aktien gaben seit Donnerstag um sieben Prozent nach, die Zinsen für portugiesische Staatsanleihen stiegen. Seit das Land voriges Jahr den Schutzschirm plangemäß verlassen hat, muss es sich wieder selbst an den Märkten finanzieren. "Ein Rückfall ist nicht ausgeschlossen," sagt der Ökonom João César das Neves.
2011 sei nur der Kollaps des Landes verhindert worden. "Die Krankheit ist nach wie vor vorhanden." Nach Wochen des Schweigens schrieben mehr als 100 der politisch normalerweise sehr zurückhaltenden portugiesischen Unternehmer in einem Brief an den Staatschef vor wenigen Tagen, sie würden Investitionen und Pläne zur Schaffung neuer Arbeitsplätze unter einer Linksregierung zurückfahren.
Umfragen zu Folge favorisieren auch nur 26,6 Prozent der Portugiesen eine Linksregierung. Ein bisschen weniger Sparpolitik als Ergebnis der Wahl hätte den meisten schon genügt. Nach dem gestrigen Misstrauensvotum hat der Staatschef aber vermutlich keine andere Wahl, als den Weg frei zu machen. Seine Entscheidung steht zwar noch aus. Regierungschef Passos Coelho hat jedoch bereits angekündigt, als Oppositionschef für die Interessen des Landes arbeiten zu wollen. Nach aktuellen Stand würden Kommunisten, Linksblock und Grüne keine Regierungskoalition mit den Sozialisten formieren, sondern deren Minderheitsregierung tolerieren.
Feuerprobe: Ausarbeitung des Haushalts 2016
Wie stabil oder riskant eine solche Führung sein könnte, darüber scheiden sich die Geister. Sozialistenführer Costa sichert die Einhaltung aller internationalen Abkommen inklusive der Verpflichtung auf die Reduzierung des Haushaltsdefizits auf weniger als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu. Zudem zeigt er sich - wenig überraschend - davon überzeugt, dass das Viererbündnis eine volle Legislaturperiode halten wird.
Skeptiker erinnern daran, dass die Minderheitsregierung des damaligen sozialistischen Regierungschefs José Sócrates im März 2011 scheiterte, nachdem alle Oppositionsparteien - also auch Kommunisten und Linksblock - ihm die Zustimmung zu einem vierten Sparpaket verweigert hatten. Kurz darauf flüchtete sich Portugal unter den 78 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). "Ohne Stabilität ist Portugal großen Risiken ausgesetzt. Deshalb steht jede Entscheidung der Regierung unter der Prämisse der Stabilität", warnt Luís Amado, ehemals Außenminister unter Sócrates.
Zur Feuerprobe könnte bereits die Ausarbeitung des Haushalts für 2016 werden. In den einzelnen Abkommen, die Costa in den vergangenen Wochen mit seinen Unterstützern aushandelte, sichert er ihnen Entgegenkommen in Streitfragen zu. Für "Grundsatzfragen" sollen zum Beispiel Arbeitsgruppen aus Sozialisten und Politikern des erstarkten Linksblocks gebildet werden.
Einig ist man sich bereits über die Wiedereinführung von vier gestrichenen Feiertage sowie der 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst. Das Mindesteinkommen soll von heute 505 Euro brutto schrittweise auf 600 Euro erhöht werden. Der bereits in die Wege geleitete Verkauf der Fluggesellschaft TAP und andere Privatisierungen sollen gestoppt werden.
Antworten auf die Frage der Gegenfinanzierung stehen dagegen noch aus. Ein Umstand, der den um politische Neutralität bemühten Zentralbankchef Carlos Costa gestern aus der Reserve lockte. "Alle Fehler in der Wirtschaftspolitik, die heute gemacht werden", warnte er während eines Vortrags in Madrid, "müssen in zwei, drei oder fünf Jahren bezahlt werden. Und das wird sehr viel schmerzhafter sein."