Was der Sturz der Regierung bedeutet Quo vadis, Portugal?

Es ist das Ende einer Ära: Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho hat das frühere Krisenland mit harter Spar-Hand stabilisiert. Aber das ging den meisten Portugiesen zu weit. Nun wurde er gestürzt - und Portugal steht eine ungewisse Zukunft bevor.

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Demonstranten vor dem portugiesischen Parlament in Lissabon am Dienstag. Quelle: dpa

Die Laudatio hatte den Charakter einer Grabrede. Als der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) vorige Woche dem portugiesischen Außenminister Rui Machete stellvertretend mit der "Goldenen Victoria" für ein "überzeugendes Beispiel für den erfolgreich gemeisterten Weg aus der Finanzkrise" ehrte und EU-Kommissar Günther Oettinger die Lobrede hielt, da waren die Tage der konservativen Regierung in Lissabon bereits gezählt. AmDienstagabend stimmte die Mehrheit der Parlamentarier für ihre Ablösung.

Dem viel gepriesenen Musterschüler unter den europäischen Krisenstaaten steht damit eine ungewisse Zukunft bevor. Manche fürchten sogar ein "zweites Griechenland". 123 Abgeordnete der Sozialisten, Kommunisten, des marxistisch orientierten Linksblocks und der Grünen sprachen der Regierung unter Führung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho wie angekündigt das Misstrauen aus. "Portugal braucht eine andere Regierung", begründete Sozialistenführer António Costa das Votum.

Diesen Wunsch hätten die Bürger nach vier Jahren strenger Sparpolitik bei der Parlamentswahl am 4. Oktober deutlich zum Ausdruck gebracht. "Das müssen wir respektieren und umsetzen. Das Programm, das die Regierung uns vorgestellt hat, spiegelt diesen Willen zum Wechsel nicht wider", sagte Costa. Sie wolle vielmehr weiterhin im Widerspruch zur Verfassung den Sozialstaat aufs Spiel setzen. Tatsächlich hatte die konservative Koalition bei der Wahl die meisten Stimmen erhalten. Sie hatte aber mit 38 Prozent die absolute Mehrheit verfehlt und damit die Quittung für ihr Reformprogramm der vergangenen vier Jahre erhalten.

Was Sie noch nicht über Portugal wussten
Der Name Portugal ist von „Portus Cale“ (Lateinisch „Portus“ = Hafen) abgeleitet. So nannten die Römer die heute als Porto bekannte Hafenstadt im Norden des Landes, die griechische Händler zuvor „Kalos“ (schön) genannt hatten. Im Mittelalter wurde Portus Cale zu Portucale, später Portugale, und bezeichnete zunächst nur den Norden des Landes. Quelle: dpa
Im frühen 16. Jahrhundert teilten Portugal und Spanien mit den Verträgen von Tordesillas (1494) und Saragossa (1529) die gesamte außereuropäische Welt zwischen sich auf. Von Portugals Kolonialreich, zu dem Brasilien, Mocambique und Angolas gehörten, sind nur noch die Azoren und Madeira übrig - und das Portugiesische als Weltsprache.  Quelle: dapd
1678 tauchte erstmals die Bezeichnung „Porto“ für Weine aus dem Dourotal auf. Aufgrund steigender Nachfrage in England nach Wein importierten englische Kaufleute gegen Ende des 17. Jahrhunderts mehr Portwein, da Frankreichs Weine kriegsbedingt nicht verfügbar waren. In einem Klöster sollen englische Kaufleute den sogenannten „Priest-Port“ entdeckt haben. Der Trick der Mönche bestand darin, dem Wein während der Gärung Neutralalkohol hinzuzufügen, wodurch der Gärprozess gestoppt wird. Der nicht vergorene Restzucker der Trauben verleiht dem Portwein seine berühmte Süße. Quelle: KNA
Der extrem gestiegene Portwein-Export führte zu einem Qualitätseinbruch. 1756 ließ Portugals Premierminister Marquês de Pombal daher eine Gesellschaft zur Garantie von Qualitätskriterien gründen, eine Art des regionalen Qualitätssiegels. Die Weinberge im Douro-Tal wurden in sechs Klassen eingeteilt, nach den Kategorien Klima, Boden, Hangneigung, Meereshöhe, Ertragsmenge sowie Alter der Rebstöcke. Quelle: dpa/dpaweb
Portugals Bürokratie ist berüchtigt. So wird zum Beispiel der Salzgehalt des Brotes auf maximal 1,4 g Salz pro 100 g Brot festgelegt. Für das Gesetz hatten sich auch Ärzte stark gemacht. Frühstückscerealien wie Müsli sind davon nicht betroffen. Der Weltgesundheitsbehörde (WHO) zufolge wird in Portugal das Doppelte der empfohlenen Salzmenge konsumiert. Quelle: dpa/dpaweb
Der Export des Portweins nach England führte zum Import des Fußballs aus England. Es war nämlich ein mit England verbundener Weinhändler namens António Nicolau d'Almeida, der 1893 den F.C. Porto gründete - bis heute eine nationale und internationale Größe im Fußball. Almeidas Frau war übrigens keine Freundin des Sports. Sie brachte ihren Mann dazu, sein Engagement bald wieder zu beenden. Quelle: dapd
Seit den 1970er Jahren heißen einige Straßenzüge in der Hamburger Neustadt „Portugiesenviertel“. Ursprünglich ein günstiges Wohnviertel für portugiesische Gastarbeiter ist es heute vor allem bei Touristen und Büroangestellten der angrenzenden Viertel  wegen seiner portugiesischen Cafés und Restaurants beliebt. Die Zahl portugiesisch-stämmiger Einwohner geht seit Jahren zurück. Quelle: dpa/dpaweb

Großer Gewinner war der Linksblock, der seinen Stimmenanteil auf zehn Prozent verdoppelte. Die Sozialisten kamen auf 32 Prozent. Das Zweckbündnis der vier linksgerichteten Parteien, die bisher nie zusammengearbeitet haben und zum Teil höchst unterschiedliche politische Ziele verfolgen, stellt 122 der 230 Parlamentsabgeordneten. Sie wollen nun selbst an die Macht und zahlreiche Reformen wieder zurückdrehen. In seiner Rede im Parlament sprach Costa selbst die wunden Punkte an, die in Brüssel und den Hauptstädten so mancher EU-Partner die Sorge vor chaotischen Verhältnissen unter einer Linksregierung in Lissabon schüren.

Mitgliedschaft in der Euro-Zone ein Zankapfel

"Es ist möglich, das Einkommen der Familien zu steigern, ohne dass wir die Meinung über die Nato-Mitgliedschaft teilen. Es ist möglich, die Mittelklasse aus dem steuerlichen Würgegriff zu befreien, auch wenn wir unterschiedliche Ansichten über die Verstaatlichung des Energiesektors haben. Es ist möglich, den Sozialstaat zu verteidigen, obwohl wir divergierende Meinungen über die Mitgliedschaft in der Euro-Zone haben. Es ist möglich, Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne zu bekämpfen, auch wenn wir verschieden über die EU denken. Und es ist möglich, dass wir viel gemeinsam machen, indem wir Respekt für die unterschiedlichen Programme zeigen, die jede einzelne Partei hat."

So benehmen Sie sich in Portugal richtig

Vor allem wegen der feindlichen Einstellung von Kommunisten und Linksblock zu Euro und Nato-Mitgliedschaft hatte Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva sich ursprünglich geweigert, den bei der Parlamentswahl zweitplatzierten Sozialisten den Auftrag zur Regierungsbildung unter Einschluss der beiden anderen Parteien zu erteilen. "In den 40 Jahren der Demokratie hatte Portugal niemals eine Regierung, die von anti-europäischen politischen Kräften abhing, sagte Cavaco Silva vor wenigen Tagen in einer Fernsehansprache.

"Außerhalb der Europäischen Union und des Euro wäre die Zukunft Portugals katastrophal", fügte er fast flehentlich hinzu. Außerdem war er mit Regierungschef und Parteifreund Passos Coelho einer Meinung, dass eine Kehrtwende in der Reformpolitik fatale Auswirkungen haben könnte.

„Es ist meine Pflicht, alles in meiner Macht stehende zu tun, um sicherzustellen, dass keine falschen Signale an die Finanzinstitutionen, Investoren und Märkte geschickt werden," sagte Cavaco Silva. "Dies könnte das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit zunichte machen, die das Land mit großer Mühe zurückgewonnen hat.“

"Ohne Stabilität ist Portugal großen Risiken ausgesetzt"

Dass solche Bedenken nicht ganz aus der Luft gegriffen waren, zeigen die Entwicklungen an der Börse und dem Bondmarkt. Portugals Aktien gaben seit Donnerstag um sieben Prozent nach, die Zinsen für portugiesische Staatsanleihen stiegen. Seit das Land voriges Jahr den Schutzschirm plangemäß verlassen hat, muss es sich wieder selbst an den Märkten finanzieren. "Ein Rückfall ist nicht ausgeschlossen," sagt der Ökonom João César das Neves.

2011 sei nur der Kollaps des Landes verhindert worden. "Die Krankheit ist nach wie vor vorhanden." Nach Wochen des Schweigens schrieben mehr als 100 der politisch normalerweise sehr zurückhaltenden portugiesischen Unternehmer in einem Brief an den Staatschef vor wenigen Tagen, sie würden Investitionen und Pläne zur Schaffung neuer Arbeitsplätze unter einer Linksregierung zurückfahren.

Wie stehen Griechenland, Spanien und Co. da?
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Die Lohnstückkosten sind in Griechenland, Irland und Spanien vergleichbar hoch. Für Griechenland senkt das die Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung deutlich herab.
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Alle vier Länder haben den Abbau der Staatsausgaben verbessert. Besonders Griechenland war hier auf einem guten Weg, bis im Januar Syriza an die Macht kam.
Mit dem Abbau der Staatsverschuldung haben alle vier Länder noch ein Problem und sind noch weit entfernt von einem akzeptablen Stand. Am besten schlagen sich hier Spanien und Irland.
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Umfragen zu Folge favorisieren auch nur 26,6 Prozent der Portugiesen eine Linksregierung. Ein bisschen weniger Sparpolitik als Ergebnis der Wahl hätte den meisten schon genügt. Nach dem gestrigen Misstrauensvotum hat der Staatschef aber vermutlich keine andere Wahl, als den Weg frei zu machen. Seine Entscheidung steht zwar noch aus. Regierungschef Passos Coelho hat jedoch bereits angekündigt, als Oppositionschef für die Interessen des Landes arbeiten zu wollen. Nach aktuellen Stand würden Kommunisten, Linksblock und Grüne keine Regierungskoalition mit den Sozialisten formieren, sondern deren Minderheitsregierung tolerieren.

Feuerprobe: Ausarbeitung des Haushalts 2016

Wie stabil oder riskant eine solche Führung sein könnte, darüber scheiden sich die Geister. Sozialistenführer Costa sichert die Einhaltung aller internationalen Abkommen inklusive der Verpflichtung auf die Reduzierung des Haushaltsdefizits auf weniger als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu. Zudem zeigt er sich - wenig überraschend - davon überzeugt, dass das Viererbündnis eine volle Legislaturperiode halten wird.

Skeptiker erinnern daran, dass die Minderheitsregierung des damaligen sozialistischen Regierungschefs José Sócrates im März 2011 scheiterte, nachdem alle Oppositionsparteien - also auch Kommunisten und Linksblock - ihm die Zustimmung zu einem vierten Sparpaket verweigert hatten. Kurz darauf flüchtete sich Portugal unter den 78 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). "Ohne Stabilität ist Portugal großen Risiken ausgesetzt. Deshalb steht jede Entscheidung der Regierung unter der Prämisse der Stabilität", warnt Luís Amado, ehemals Außenminister unter Sócrates.

Zur Feuerprobe könnte bereits die Ausarbeitung des Haushalts für 2016 werden. In den einzelnen Abkommen, die Costa in den vergangenen Wochen mit seinen Unterstützern aushandelte, sichert er ihnen Entgegenkommen in Streitfragen zu. Für "Grundsatzfragen" sollen zum Beispiel Arbeitsgruppen aus Sozialisten und Politikern des erstarkten Linksblocks gebildet werden.

Einig ist man sich bereits über die Wiedereinführung von vier gestrichenen Feiertage sowie der 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst. Das Mindesteinkommen soll von heute 505 Euro brutto schrittweise auf 600 Euro erhöht werden. Der bereits in die Wege geleitete Verkauf der Fluggesellschaft TAP und andere Privatisierungen sollen gestoppt werden.

Antworten auf die Frage der Gegenfinanzierung stehen dagegen noch aus. Ein Umstand, der den um politische Neutralität bemühten Zentralbankchef Carlos Costa gestern aus der Reserve lockte. "Alle Fehler in der Wirtschaftspolitik, die heute gemacht werden", warnte er während eines Vortrags in Madrid, "müssen in zwei, drei oder fünf Jahren bezahlt werden. Und das wird sehr viel schmerzhafter sein."

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