Was kommt auf die Wirtschaft zu? Die möglichen May-Nachfolger im Check

Boris Johnson gilt im Rennen um die Nachfolge von Theresa May als der haushohe Favorit. Quelle: REUTERS

Das Rennen um die Nachfolge von Großbritanniens Premierministerin Theresa May spitzt sich zu. Wer kann Boris Johnson stoppen – und was erwartet die britische und europäische Wirtschaft? Ein Blick auf die Top-Kandidaten.

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Die nackten Fakten sind schnell abgehandelt: Zehn Kandidaten haben sich in Großbritannien um den Posten des Tory-Parteichefs und britischen Premierministers beworben. Sie wollen Theresa May nachfolgen und Großbritannien in stürmischen Zeiten lenken. Die Mitglieder der konservativen Unterhaus-Abgeordneten stimmen derzeit in mehreren Runden über die Kandidaten ab, bis nur noch zwei von ihnen übrig sind. Nach der zweiten Abstimmungsrunde am Dienstnachmittag sind noch fünf Kandidaten im Rennen. Das letzte Wort werden dann die rund 160.000 Parteimitglieder haben: Sie werden in einer geheimen Briefwahl ab dem 22. Juni ihr Votum abgeben. Das Ergebnis wird vier Wochen später erwartet.

Die Folgen dieses vermeintlich simplen Abzählspiels können gravierend sein. Geht es doch nicht nur um die politische Zukunft Großbritanniens, sondern auch um die Art des Brexits – und damit zentrale Bereiche der europäischen Wirtschaft.

Wer die verbleibenden Kandidaten sind – und wie sie sich wirtschaftspolitisch positionieren.

Boris Johnson

Der britische Ex-Außenminister und ehemalige Bürgermeister von London ist der haushohe Favorit. Bei der zweiten Abstimmungsrunde am Dienstag gaben ihm 126 der 313 konservativen Abgeordneten ihre Stimme – und somit zwölf mehr als in der ersten Runde vergangene Woche. Einige ehemalige parteiinterner Kritiker haben sich in den vergangenen Tagen auf seine Seite geschlagen, offenbar in der Annahme, dass Johnson das Rennen machen wird.

In Sachen Brexit gibt sich Johnson kämpferisch: Er möchte, dass Großbritannien die EU am 31. Oktober verlässt, dem nächsten Brexit-Termin – mit oder ohne Abkommen. Johnson möchte den umstrittenen Nordirland- „Backstop“ aus dem Austrittsabkommen entfernen, das Theresa May mit der EU ausgehandelt hat. Dieser Notfallmechanismus würde zum Einsatz kommen, falls es London und Brüssel bei den Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen nicht gelingen sollte, eine Lösung zu finden, mit der eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und dem britisch verwalteten Nordirland vermieden werden kann. Dann würde ganz Großbritannien auf unbestimmte Zeit in einer Zollunion mit der EU verbleiben. Laut Johnson würde das Großbritannien „dem Status einer Kolonie“ geben.

Führende EU-Vertreter haben wiederholt diese und ähnliche polemische Äußerungen Johnsons zurückgewiesen. Brüssel hat auch bereits mehrfach erklärt, dass es nicht vorhabe, das Austrittsabkommen neu zu verhandeln. Johnson möchte darüber hinaus die Schlussrechnung in Höhe von 39 Milliarden Pfund gegenüber der EU nicht begleichen, solange es nicht „mehr Klarheit über den zukünftigen Weg“ gebe. Auch das dürfte für Ärger sorgen.

Beim Thema Wirtschaft hält sich Johnson bedeckt. Die einzige Ankündigung, die er bislang gemacht hat, ist umstritten: Er möchte die Besserverdiener des Landes beschenken. Die Schwelle, ab der ein Steuersatz von 40 Prozent fällig wird, soll von 50.000 auf 80.000 Pfund erhöht werden. Finanziert werden soll das durch eine Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben, die alle Steuerzahler entrichten müssen.

Kritiker werfen Johnson vor, er versuche damit, die konservative Basis zu bestechen. Die ist im Schnitt 57, überwiegend männlich und wohlhabend.

Jeremy Hunt

Jeremy Hunt. Quelle: REUTERS

Außenminister Jeremy Hunt liegt derzeit auf dem zweiten Platz: Für ihn stimmten am Dienstag 46 konservative Abgeordnete.

Auch Hunt würde die EU ohne ein Abkommen verlassen. Er hat allerdings wissen lassen, dass er diese Form von EU-Austritt nicht bevorzugen würde. Er möchte ebenfalls mit der EU Änderungen an dem Nordirland-Backstop und an Theresa Mays Brexit-Deal aushandeln, hat aber wissen lassen, dass er sich eine erneute Verschiebung des Brexit-Termins vorstellen könnte.

Hunt verweist bei seinen Auftritten, manchmal ein wenig zu überschwänglich, auf seinen unternehmerischen Hintergrund. Er sagt, er wolle Großbritannien in ein „Innovationszentrum“ verwandeln. Und auch ihm schweben Steuersenkungen vor: Hunt plant, falls er Premier werden sollte, die Gewerbesteuern radikal senken, um nach dem Brexit Unternehmen anzulocken.

Nach seinem Abschluss an der Universität Oxford ist Hunt mit mehreren Start-ups gefloppt. Er scheiterte unter anderem mit dem Versuch, Marmelade nach Japan zu exportieren.

Michael Gove

Michael Gove. Quelle: REUTERS

Michael Goves (41 Stimmen) Herangehensweise an den Brexit-Termin im Oktober ist vergleichsweise pragmatisch: Der derzeitige Umweltminister würde eine weitere Brexit-Verschiebung in Kauf nehmen, falls sich bessere Bedingungen für das Austrittsabkommen abzeichnen sollten.

Gove möchte das Problem mit der inner-irischen Grenze lösen, indem er mit der EU ein Freihandelsabkommen aushandelt, das eine solche Grenze überflüssig machen würde. Ein solches Abkommen könnte dem ähneln, das die EU mit Kanada unterzeichnet hat, schlug Gove vor. Sollte sich die EU auf keinen besseren Deal einlassen, werde er allerdings ebenfalls einen No-Deal-Brexit unterstützen, also einen EU-Austritt, bei dem Großbritannien die EU ohne ein Abkommen verlassen würde.

Gove möchte nach dem Brexit die Mehrwertsteuer nach dem Vorbild der USA durch eine niedrigere Verkaufssteuer ersetzen. Gove möchte das „geschäftsfreundlichste Steuerregime“ der Welt schaffen.

Rory Stewart

Rory Stewart. Quelle: REUTERS

Entwicklungsminister Rory Stewart (37 Stimmen) ist der Kandidat der Mitte im Rennen um Theresa Mays Nachfolge. Er ist auch der einzige Bewerber, der während des gesamten Wettbewerbs Boris Johnsons Kurs offen kritisiert hat.

Aus Stewarts Sicht wäre ein No-Deal-Brexit „katastrophal“, „nicht lieferbar“ und „unnötig“. Er glaubt auch nicht daran, dass es möglich wäre, mit der EU bis Ende Oktober ein neues Abkommen auszuhandeln. Stattdessen möchte Stewart versuchen, Theresa Mays Deal durchs Parlament zu bekommen. Sollte das nicht gelingen, wolle er ein „Bürgergremium“ einrichten, um an einem Kompromiss zu arbeiten, so Stewart.

Rory Stewart möchte sich verstärkt den sozialen Problemen des Landes widmen, die der rigide Austeritätskurs seit 2010 verschärft hat: Er möchte unter anderem das Bildungssystem und die Krankenversorgung verbessern. Die Pläne seiner Mitbewerber bezeichnet er als „Wählerbestechung“.

Sajid Javid

Sajid Javid. Quelle: REUTERS

Innenminister Sajid Javid (33 Stimmen) möchte die EU ebenfalls zu Änderungen am unbeliebten Nordirland-Backstop bewegen. Ihm schwebt eine technologische Lösung vor, mit der eine harten Grenze vermieden werden soll. Die Kosten dafür, die er auf „mehrere hundert Millionen Euro“ schätzt, soll London tragen.

Kritiker bemängeln, dass es eine solche technologische Lösung derzeit nirgendwo auf der Welt gebe. Ein Parlamentsausschuss bezeichnete entsprechende Gedankenspiele der Regierung im vergangenen Jahr als „Wunschdenken“.

Javid erklärte, dass er sich keine erneute Verschiebung des Brexit-Termins wünsche und dass sich das Land auf einen No-Deal-Brexit vorbereiten müsse. Er möchte den Austeritätskurs der Regierung abschwächen und so 25 Milliarden Pfund freimachen, die er unter anderem in Bildung und in die Verbrechensbekämpfung investieren möchte.

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