Wassermangel Die Dürre gefährdet viel mehr als nur Frankreichs Stromversorgung

Trockenes Weideland in der Provence, Frankreich. Quelle: imago images

Auch wenn im Süden Frankreichs Unwetter niedergehen, bleibt die Trockenheit gravierend. Ohne Ausnahmegenehmigung hätte die Stromerzeugung mit Atomkraft wegen der Wasserknappheit kaum Zukunft – und nicht nur sie.

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Der Regen kommt plötzlich und in Strömen. Wochenlang kein Tropfen, nun springen Passanten hektisch unter die nächstgelegene Ladenmarkise oder in eine offene Tür. Binnen kürzester Zeit stehen an diesem Nachmittag in Avignon Unterführungen unter Wasser, es bahnt sich seinen Weg auch in Eingänge von Häusern und Geschäften. Am Bahnhof rinnt es von der Decke in die Schalterhalle. Züge fahren nur sehr langsam ein und ab, weil Gleise unterspült sein könnten.

Als das Unwetter nach etwa 45 Minuten abebbt, war es bereits das zweite binnen weniger als 24 Stunden. Die Meteorologen sagen weitere für die nächsten zehn Tage vorher. Für weite Teile Südfrankreichs. Erleichterung werden sie jedoch nicht bringen. Es war zu lange zu warm, zu trocken. Was jetzt vom Himmel prasselt, kann der knochenharte Boden kaum aufnehmen.

Die seit dem Winter anhaltende Dürre ist längst nicht nur ein Problem für larmoyante Besitzer von Anwesen mit Pools oder Touristen, die ebensolche gemietet haben. Deren Klagen über verdorrende Rasenflächen wegen eines behördlich verordneten Gieß-Verbots oder über die untersagte Abkühlung, weil Schwimmbecken nicht – neu – gefüllt werden dürfen, sind seit Wochen nicht mehr als Anekdoten am Rande. Für Frankreichs Landwirtschaft ebenso wie für die Industrie steht dagegen viel auf dem Spiel. Es fehlen Konzepte, wie mit dem vermutlich auf Dauer angelegten Weniger an Wasser umzugehen ist. Vor allem bei der Energieversorgung mit Atomstrom.

„Dieses Jahr muss uns die Regierung trotz der Trockenheit die Bewässerung unserer Pflanzen erlauben“, fordert Bäuerin Audrey Piazza. „Da wird immer über Souveränität bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln geredet. Aber wenn man nicht die erforderlichen Bedingungen schafft, wird das schwierig.“ Die 32-Jährige ist Vorsitzende des Verbands junger Landwirte im Departement Vaucluse, deren Hauptstadt Avignon ist. Sie selbst hat Plantagen mit Äpfeln und Weintrauben und bereits seit mehreren Jahren die immer gleichen Probleme. Eisige Nächte im Frühling, Trockenheit während der kompletten Wachstumsperiode der Früchte. Meist hilft der Staat dann mit Notfallfonds. „Wir müssen einfach mal verstehen, wo das Wasser wirklich am nötigsten gebraucht wird. Als wir noch genug davon hatten, haben wir uns diese Frage nicht gestellt.“

Eine Statistik des französischen Wetterdienstes zeigt anschaulich die Dramatik der Lage. In der Region am Unterlauf des Flusses Rhône misst die Wetterstation das trockenste Jahr seit der Einrichtung 1920. In Avignon liegt die Niederschlagsmenge mit 51,2 Millimeter pro Quadratmeter von Anfang Januar bis Ende Mai um 75 Prozent niedriger als im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Das gleiche Bild in Orange, Pujaut oder Tarascon. Lediglich Marignane bei Marseille kommt mit lediglich minus 65 Prozent besser weg. Die Unwetter seien zwar in den vergangenen Jahren zahlenmäßig nicht mehr geworden, wohl aber heftiger. Das Meer sei bereits so warm, sagt Meteorologe Pierre Huat, dass es zu Wetterphänomenen komme, die sonst typisch für den Herbst seien.

Aber nicht nur die Landwirtschaft, für Frankreich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, leidet. Die Dürre wird nach Einschätzung von Experten auch das Vorhaben von Staatschef Emmanuel Macron und seiner Entourage von Ministern ausbremsen, den Aufbau neuer Industrien in Frankreich zu fördern. Die Herstellung eines Microchips etwa verbrauche allein 20 bis 30 Liter Wasser, erklärte Anna Creti, Inhaberin des Lehrstuhls für Klima-Ökonomie an der Universität Paris Dauphine, im Radiosender Europe 1. „Die Trockenheit wird also ein Hindernis für die Reindustrialisierung sein oder zumindest ein Verteilungsproblem für andere Sektoren wie die Landwirtschaft bedeuten.“

Vorige Woche erst reiste Macron zur Eröffnung der ersten Batteriefabrik auf französischem Boden – im nordfranzösischen Douvrin. Weitere sollen folgen, kündigte er dort an. Zudem will er auch die Herstellung des Batterie-Rohstoffs Lithium nach Frankreich holen. Solche Ankündigungen stehen jedoch unter der Prämisse, dass der enorme Durst auch dieser Industrie gestillt werden kann.

Exklusive Satellitenbilder zeigen das Ausmaß des Regenmangels in Italien und Frankreich. Der trockene Winter schürt schon jetzt Ängste vor dem nächsten Dürre-Sommer.
von Henrike Adamsen

Dabei ist bereits der Wasserverbrauch bei der Gewinnung von Strom – mit dem jede Produktion steht und fällt – hoch. Das wird die vermutlich größte Herausforderung.

Während nämlich die Industrie in Frankreich für rund acht Prozent des Süßwasser-Verbrauchs steht, steigt der Anteil auf beinahe 60 Prozent, rechnet man den Wasserverbrauch für die Stromgewinnung dazu. Laut den jüngsten zur Verfügung stehenden Daten von 2018 waren das 18 Milliarden Kubikmeter. Besonders im Fokus: die Atomkraftwerke und ihr Bedarf an Kühlwasser. Dass ein Großteil des Kühlwassers wieder in die Umwelt zurückgegeben wird, entlastet nicht.

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Im Gegenteil. Wegen Niedrigwassers und Erwärmung der Flüsse mussten mehrere Atomkraftwerke im vergangenen Sommer ihre Produktion drosseln oder erhielten von der zuständigen Atomaufsicht Sondergenehmigungen. Die Kraftwerke Saint-Alban, Tricastin, Bugey, Blayais und Golfech durften Abwässer wärmer zurück in die Flüsse leiten als dies bei der Inbetriebnahme der Meiler festgeschrieben wurde.

Diese Ausnahme will Frankreichs führender und demnächst zu 100 Prozent staatlicher Stromkonzern EdF nun zur Regel erklären lassen. Begründung: Die bestehenden Grenzwerte seien unter den aktuellen Klimabedingungen kaum bis gar nicht mehr einzuhalten. Man habe sich mit einer entsprechenden Bitte der Atomaufsicht ASN „anvertraut“, teilte Cécile Laugier mit, bei EdF für Umweltfragen zuständig. Ein Antrag sei noch nicht gestellt worden, wohl aber sei man im Austausch.

Im Detail will EdF demnach nicht an der Differenz zwischen den Wassertemperaturen rütteln, mit denen das Kühlwasser aus Flüssen entnommen und wieder zurückgegeben wird. Wohl aber an den heute geltenden absoluten Temperaturen. Diese wurden vor der Inbetriebnahme für jedes Atomkraftwerk von der ASN festgelegt. Meist liegen die erlaubten Temperaturunterschiede bei Kraftwerken ohne Kühltürme bei 3 bis 5 Grad Celsius – mit Kühltürmen bei einigen Zehnteln – und das Limit für die Rückführung des Kühlwassers bei 28 Grad Celsius.

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