WEF-Weltrisikobericht WEF warnt: Digitaler Fortschritt spaltet die Welt

Fortschritt auf Kosten der Zugehörigkeit? Home-Schooling ist notgedrungnen ein Pandemiegewinner. Doch sorgt es könnte global auch für Spaltung sorgen. Quelle: dpa

Corona hat vieles beschleunigt. Auch die Digitalisierung samt Heimarbeit und E-Commerce. Da kommt nicht jedes Land mit. Das Weltwirtschaftsforum warnt in seinem „Global Risk Report“ vor den Folgen des digitalen Booms.

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Der „Global Risk Report“ des Weltwirtschaftsforums (WEF) aus dem vergangenen Jahr ist nicht gut gealtert. Heute liest sich der Report von Januar 2020 wie aus der Zeit gefallen. Das Wort „Pandemic“ taucht in dem fast 100-Seiten-starken Dokument nur zehn Mal auf. „Corona“, „Covid“ oder „Covid-19“ noch nicht ein einziges Mal. Die größten Gefahren damals: Das Versagen gegen den Klimawandel, Massenvernichtungswaffen und der Verlust der Biodiversität. Erst auf Platz 10 folgen ansteckende Krankheiten.

Gut, zu dem Zeitpunkt waren die massiven humanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie noch gar nicht absehbar. Erst Ende 2019 wurde der Ausbruch einer mysteriösen Lungenkrankheit bestätigt. Im Januar wuchs sie in China zur Epidemie heran, im März – zwei Monate nach Veröffentlichung des Global Risk Reports – erklärte die WHO das Virus zur Pandemie. Schon in den Vorjahren warnte das WEF immer wieder vor der Gefahr von Pandemien und ihren Folgen, wenn sich die Gesundheitssysteme der Welt nicht besser auf den Ernstfall vorbereiteten. Im Mai 2020 legte das WEF coronabedingt mit einem Sonderbericht des Reports nach.

Und immerhin gestaltet sich die Reihenfolge im heute vorgestellten „Global Risk Report 2021“ deutlich anders (siehe Grafik). Den Bericht veröffentlicht das WEF zusammen mit der Versicherung Zurich, dem Risikoberater Marsh und dem Mischkonzern SK Group. Ansteckende Krankheiten gelten nun hinsichtlich ihrer Auswirkung als die größte Gefahr für die Welt. Dahinter folgen das Versagen im Kampf gegen den Klimawandel und Massenvernichtungswaffen auf dem dritten Rang. „Die unmittelbaren menschlichen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemie sind hoch“, heißt es im Report. Sie drohe, die jahrelangen Fortschritte bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit zurückzufahren und den sozialen Zusammenhalt und die globale Zusammenarbeit weiter zu schwächen.



Einige Gefahren, mit denen sich das Forum in diesem Jahr beschäftigt, sind besonders brisant. Das WEF sieht sie in einem vordergründig positiven und viel zitiertem Trend – Corona als Beschleuniger, als Katalysator – nicht nur Chance, sondern auch Risiko: „Covid-19 hat die vierte industrielle Revolution durch den raschen Ausbau von E-Commerce, Online-Bildung, digitaler Gesundheit und Fernarbeit beschleunigt und erweitert. Diese Veränderungen werden die menschlichen Interaktionen und Lebensgrundlagen noch lange nach dem Ende der Pandemie dramatisch verändern“, heißt es im Kapitel mit dem klangvollen Namen „Error 404: Hindernisse für die digitale Zugehörigkeit“. „Diese Änderung kann den Gesellschaften enorme Vorteile bringen – die Reaktion auf Covid-19 ist voller Beispiele, von der Fähigkeit zur Telearbeit bis zur raschen Entwicklung eines Impfstoffs.“ Allerdings könnten diese Entwicklungen auch zu einer Verschärfung und Schaffung von Ungleichheiten führen, warnten die WEF-Experten.

Die Befragten des Reports würden die „digitale Ungleichheit“ sowohl als kritische Bedrohung für die Welt in den nächsten zwei Jahren als auch als das siebtwahrscheinlichste langfristige Risiko sehen. Corona als Katalysator von Ungleichheit also. Immerhin kommt bei der Geschwindigkeit des digitalen Booms nicht jeder mit. In Ländern wie Kenia (23 Prozent), Pakistan (17,1 Prozent) und Bangladesch (13 Prozent) nutzen nur Bruchteile der Bevölkerung das Internet. Während die Menschen in Ländern des mittleren Ostens (Bahrain, Katar, Kuwait und Vereinigte Arabische Emirate) und Skandinavien (Dänemark, Norwegen) fast ausnahmslos online sind (siehe Grafik).



Doch selbst wer technisch theoretisch Zugang zum Internet hätte, kommt in manchen Ländern nicht weit, kann boomende und nützliche Angebote womöglich gar nicht wahrnehmen: „Einige Regierungen haben den Internetzugang gesperrt, um den Informationsfluss und den öffentlichen Diskurs innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen zu kontrollieren oder insbesondere um Plattformen mit Sitz im Ausland auszuschließen“, heißt es im WEF-Report. 23 Prozent aller Länder würden Nachrichten verbieten oder zensieren, „was den Zugang ihrer Bürger zu kritischen digitalen Ressourcen einschränkt.“ Auch so werde die digitale Ungleichheit befeuert.

Außerdem erkennt das Forum noch eine klaffende Regulierungslücke: „Während fast vier Fünftel der Länder Vorschriften für E-Commerce und Datenschutz eingeführt haben, werden die Maßnahmen der Regierungen weiterhin von der Geschwindigkeit der Digitalisierung übertroffen.“ Corona hat diesen Trend – Sie ahnen es womöglich schon – ebenfalls beschleunigt. Die Regulierungslücke werde nämlich durch den wachsenden Einfluss neuer digitaler Ressourcen und Technologien auf den Menschen noch vergrößert, so das WEF.

Auch auf dem Arbeitsmarkt bringe die voranschreitende Digitalisierung laut WEF eine weitere, spaltende Folge mit sich: Fähigkeiten bei Kommunikation, IT und Cybersicherheit sind deutlich wichtiger geworden. Damit sich Arbeitnehmer (und übrigens auch Arbeitgeber) diese aneignen, bedarf es laut WEF erheblichen Investitionen in die Qualifizierung und Umschulung. Allerdings werden gerade wirtschaftlich schwach aufgestellte Länder diese Investitionen gar nicht erst tätigen können. Erst recht dann, wenn die Pandemie sie auch noch schwer getroffen hat. Unternehmen mit wenig Liquidität dürfte es gerade ähnlich gehen. Ihre Arbeitskräfte werden es schwer haben, zu digital-versierten Profis zu werden, um die sich andere Firmen reißen.

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Für Unternehmen, die sich Weiterbildung und Qualifikation gerade leisten können, hält das WEF umso bessere Aussichten parat: Digitale Tools werden Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen zugutekommen. Zwei Drittel der Arbeitgeber erwarten etwa, dass sich ihre Investition in Weiterbildung und Umschulung innerhalb eines Jahres rentiert.

Können wir die zunehmende digitale Spaltung, von der das WEF schreibt, nun irgendwie verhindern? „Grundbildung und lebenslanges Lernen können die digitale Kompetenz verbessern und eine entscheidende Rolle bei der Schließung digitaler Kluft spielen. Ein besserer Zugang zu digitalen Inhalten allein reicht nicht aus“, appelliert das WEF. Ob dafür gerade Zeit ist? Immerhin dürfte für viele Regierungen und Firmen gerade eine andere Gefahr im Vordergrund stehen: die Coronapandemdie. Und die wird im diesjährigen Report auch gleich an hunderten Stellen erwähnt.

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