Weiterbildung Warum Österreichs „Bildungs(teil)zeit“ kaum als Vorbild für Deutschland taugt

Wer sich in Österreich mit seinem Arbeitgeber einigt, kann bis zu ein Jahr Weiterbildungszeit nehmen und hat währenddessen auch Anspruch auf Weiterbildungsgeld in Höhe des fiktiven Arbeitslosengeldes. Quelle: imago images

Die neue Bundesregierung will eine „Bildungs(teil)zeit nach österreichischem Vorbild“ einführen und Beschäftigte unterstützen, sich auf Veränderungen im Job einzustellen. Österreich eigne sich jedoch nur begrenzt als Vorbild in Sachen Weiterbildung, sagt Arbeitsmarkt-Expertin Ulrike Famira-Mühlberger.

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Ulrike Famira-Mühlberger ist stellvertretende Direktorin des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Die Ökonomin ist Expertin für die Themen Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit.

WirtschaftsWoche: Frau Famira-Mühlberger, die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine „Bildungs(teil)zeit nach österreichischem Vorbild“ angekündigt: Beschäftigte sollen mit diesem Instrument künftig beispielsweise einen Abschluss nachholen oder sich beruflich neu orientieren können. Was hat Ihre Heimat Deutschland voraus? 
Ulrike Famira-Mühlberger: In Österreich gibt es schon seit 1998 die sogenannte Bildungskarenz, mit der der Staat Bildungsmaßnahmen fördert. Der Einführung vorausgegangen ist damals eine lange politische Diskussion, wie sich Menschen auf dem Arbeitsmarkt neu aufstellen können, wenn der Strukturwandel von der Industrie- hin zur Dienstleistungswirtschaft ihre Branche erfasst und innerhalb der Produktion neue Technologien zum Einsatz kommen.

In Österreich funktioniert das Modell so: Wer sich mit seinem Arbeitgeber einigt, kann bis zu ein Jahr Weiterbildungszeit nehmen und hat währenddessen auch Anspruch auf Weiterbildungsgeld in Höhe des fiktiven Arbeitslosengeldes. Das geht auch mehrmals im Berufsleben. Wie erfolgreich ist das Instrument?
Zunächst einmal ist die Möglichkeit, geförderte Weiterbildungszeit zu nehmen, als positiv zu bewerten. Wissen unterliegt heute zum Teil einer extremen Halbwertszeit, in allen Jobs führen technologische Entwicklungen zu enormen Veränderungen. Die meisten Menschen finden mit einer Vollzeitstelle allerdings kaum die Zeit, sich nebenbei weiterzubilden. Das Angebot zu schaffen, dass Arbeitnehmer sich eine Zeit lang nur auf ihre Fortbildung konzentrieren können, ergibt also Sinn. Nur taugt das österreichische Modell nicht uneingeschränkt als Vorbild.

Ökonomin Ulrike Famira-Mühlberger ist am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung seit 2007 im Forschungsbereich „Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit“ tätig. Quelle: Presse/Alexander Mueller

Warum nicht?
Vor allem geringer qualifizierte Personen geraten durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt stark unter Druck. Die Daten zeigen jedoch, dass nicht diejenigen Unterstützung erhalten, die am ehesten abgehängt werden. Zu einem großen Teil profitieren stattdessen höher Qualifizierte mit Abitur, viele mit einem akademischen Abschluss. Das Angebot ist also zu wenig zielgruppenorientiert.

Was ist dran an den Berichten, gut Ausgebildete nutzten die Weiterbildung gern mal als bezahlte Auszeit?
Ich denke da an das Beispiel eines IT-Experten, dessen Arbeitgeber ihm die gewünschte Bildungskarenz natürlich nicht verwehrte – sonst wechselt diese begehrte Fachkraft schlicht zu einem anderen Unternehmen. Die Informationstechnik ist auch eine Branche, die sich rasend schnell weiterdreht, keine Frage. Dieser IT-Experte hat dann allerdings sechs Monate lang Philosophiekurse belegt. Was wahrscheinlich seinen Horizont erweitert hat, beruflich für ihn aber wohl eher keine Rolle spielen dürfte.

Was würden Sie der neuen deutschen Regierung raten, wenn sie das Instrument genauer an diese Bedürfnisse anpassen will?
Um ein Weiterbildungsinstrument treffsicherer zu machen, sollte es flexibler gestaltet, aber auch strenger überprüft werden – was kein Widerspruch ist. Die Flexibilität fängt beim zeitlichen Umfang an: In einem Jahr lässt sich eine komplette Umschulung oft nicht meistern. Zwar gibt es in Österreich auch das sogenannte Fachkräftestipendium für eine maximal dreijährige Ausbildung, aber dieses ist wiederum auf ganz bestimmte Bereiche beschränkt: beispielsweise die Pflege. Zweitens sollte die Möglichkeit zu einer Weiterbildungszeit nicht von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängen – der hat ja vielleicht kein Interesse, dass seine Mitarbeiter mit zusätzlich erworbenen Kenntnissen auch für andere Unternehmen attraktiv werden.

Und wo sollte die deutsche Regierung strengere Vorgaben machen, als das in Österreich der Fall ist?
Natürlich muss jemand bewerten, ob eine Weiterbildung für die jeweiligen Beschäftigten Sinn ergibt. In Österreich macht das das Arbeitsmarktservice, unsere Arbeitsagentur. Interessenten sollten kohärente Bildungsvorhaben vorlegen müssen, deutlich machen, warum ihr Vorhaben für die Arbeitsagentur unterstützenswert ist – und Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen stringenter sein bei der Frage, ob ein Vorhaben den Zweck erfüllt, auf dem Arbeitsmarkt aktiv bleiben zu können.

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