Der Titel war bewusst freundlich gewählt. „Ist Europa zurück?“ – zu diesem Thema diskutierte eine prominente Runde um Ex-Bundesbankpräsident Axel Weber und dem Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Der optimistische Grundton passte zur allgemeinen Stimmung im Vorfeld. Die Krise sei abgeflaut, man könne sich endlich um andere Themen kümmern, ließen Leitartikler und Gipfelteilnehmer im Vorfeld verkünden. Doch sie machten die Rechnung ohne die Diskutanten.
Zunächst lief alles wie angedacht. Moderator Bobby Ghosh, Redakteur beim vom US-amerikanischen „Time“-Magazin, verwies auf die positiven Zahlen: Spanien wachse seit Kurzem wieder und auch aus Griechenland und Irland sei Gutes zu berichten. Und Frankreich? Dort gebe es ebenfalls Hoffnungsschimmer, behauptete Pierre Nanterme, Geschäftsführer von Accenture in Frankreich. „Unser Geschäft läuft besser als im vergangenen Jahr. Wenn wir das als Frühindikator werten, können wir guten Gewissens sagen: Es tut sich was“, versprühte der Franzose Hoffnung.
„Ja, Europa hat sich stabilisiert“, pflichtete US-Ökonom Kenneth Rogoff bei. Der Druck der Finanzmärkte sei deutlich geringer, als noch vor zwei Jahren. „Die Regierungen haben Respekt verdient, für das, was sie erreicht haben. Allerdings sind wir nicht über den Berg. Die Krise ist längst noch akut. Das zeigt schon allein die hohe Zahl der Arbeitslosen in Südeuropa – und auch in Frankreich“, erklärte der Harvard-Professor. Der Marktliberale, der seit Jahren ein Kritiker der europäischen Sparpolitik ist, war sich damit überraschend einig mit dem ehemaligen Bundesbank-Präsident und heutigem Chef der Schweizer Bank UBS, Axel Weber.
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„Es gibt positive Nachrichten, aber das ist noch lange kein Grund, ekstatisch zu werden“, so der Ex-Bundesbanker. Die Erholung in Europa sei ungleich und überhaupt reiche das Mini-Wachstum nicht, um die Sorgen wegzuwischen. „Die Volkswirtschaften – mit Ausnahme von Deutschland – sind in keinem guten Zustand“, findet Weber. In der Tat wachsen die Krisenländer nur minimal, für Griechenland erwarte die EU-Kommission 2015 ein Zuwachs von 1,5 Prozent.
Immerhin, aber viel zu wenig, um die Arbeitslosigkeit und den Schuldenberg effektiv zu bekämpfen. „Die Euro-Krise ist längst nicht vorbei – zumal in diesem Jahr noch zwei große Herausforderungen lauern“, so Weber. „Die Europawahlen im Mai und der Bankenstresstest zum Ende des Jahres.“
Kritik an der Großen Koalition
Er gehe davon aus, dass Parteien vom rechten und linken Rand massiv an Stimmen gewinnen würden und so die Entscheidungsfindung in Brüssel erschweren würde. So weit, so bekannt. Glaubt man den Umfragen, könnten bis zu einem Drittel der neu gewählten Abgeordneten Europaskeptisch sein. Überraschender, dass Axel Weber erwartet, dass vom Bankenstresstest der Europäischen Zentralbank neues Ungemach ausgehen könnte. „Da werden Probleme offenkundig werden. Das könnte für Turbulenzen auf den Märkten sorgen“, so der UBS-Banker.
Darüber diskutiert Davos
Das besonders stark gesicherte Treffen unter dem Motto „Vertrauen schaffen“ war überschattet von Kriegsangst und Terrorbedrohung. 2004: Unter dem Motto „Zusammenschließen für Sicherheit und Wachstum“ stand die Kooperation der USA mit Europa in Wirtschafts- und Sicherheitsfragen im Mittelpunkt.
Themen wie internationale Krisenherde, Fragen des Welthandels und Umweltschutz wurden unter dem Motto „Verantwortung für schwierige Entscheidungen übernehmen“ zusammengefasst.
Die Teilnehmer sprachen unter dem Motto „Der kreative Imperativ“ vor allem über die aufstrebenden Volkswirtschaften von China und Indien, die Arbeitslosigkeit und Energiefragen.
Ein Hauptthema waren die Folgen des Klimawandels für die Umwelt und damit auch für die Wirtschaft. Das Motto: „Veränderungen im globalen Machtgefüge mitgestalten“.
Die Finanzkrise mit Turbulenzen an den internationalen Börsen war ein beherrschendes Thema des Treffens mit dem Motto „Die Kraft gemeinschaftlicher Innovationen“.
Das Forum mit dem Motto „Die Welt für die Zeit nach der Krise gestalten“ endete ohne konkrete Lösungsvorschläge für die globale Wirtschafts- und Finanzkrise.
Unter dem Motto „Den Zustand der Welt verbessern: überdenken, umgestalten, erneuern“ sahen mehrere Redner die Verantwortung für die Finanzkrise bei den Banken.
Hohe Schuldenberge, teure Rohstoffe, die Euro-Krise und Risiken beim Boom in China und Indien waren Themen unter dem Motto: „Gemeinsame Normen für eine neue Realität“.
Unter dem Motto „Die große Transformation - neue Modelle gestalten“ ging es unter anderem um die Euro-Krise, die Demokratiebewegungen in der Arabischen Welt und explodierende Nahrungsmittelpreise. 2013: Wege aus der Krise und der aktuelle Streit um ein vom britischen Premierminister David Cameron angekündigtes Referendum über den Austritt seines Landes aus der EU bestimmen die Diskussionen.
Der 2013-Gipfel stand einmal mehr im Zeichen der Euro-Krise. Die Regierungschefs von Italien und den Niederlanden, Mario Monti und Mark Rutte, EZB-Präsident Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde – aber auch Deutschland-Kritiker wie Ökonom Joseph Stiglitz und Börsen-Guru George Soros (am Samstag) streiteten neben der Bundeskanzlerin über Ursachen und Auswege aus der Schuldenkrise.
Darüber hinaus wurde vor allem über Russland, die Globalisierung und Protektionismus gesprochen. Das offizielle Motto des 43. Weltwirtschaftsforums heißt sehr offen formuliert "Resilient Dynamism" (Widerstandsfähige Dynamik).
Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt nimmt in der kommenden Woche wieder ein Präsident des Iran am Treffen der politischen und wirtschaftlichen Weltelite in Davos teil. Von Präsident Hassan Ruhani werden beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums Aussagen zum Atomprogramm sowie Werbung für Investitionen im Iran erwartet.
Die Beratungen stehen unter dem Motto „Die Neugestaltung der Welt: Konsequenzen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“. Insgesamt werden rund 2500 Teilnehmer aus fast 100 Ländern erwartet.
Was also ist zu tun? In diesem Punkt sind sich Rogoff und Weber nicht mehr einig. Der US-Ökonom fordert Europa auf, näher zusammenzurücken. „Ich weiß, dass die Menschen derzeit eher weniger, als mehr Europa wollen. Aber dem widerspreche ich vehement. Die Union muss vertieft werden, es braucht eine gemeinsame Haftung und eine gemeinsame Fiskalpolitik“, sagt Rogoff. Zudem müsse die Schuldenlast verringert werden. Das gehe nur über eine höhere Inflation und der kalten Enteignung der Sparer.
Weber, der im EZB-Rat jahrelang für eine konservative Geldpolitik stritt, nahm den Vorschlag zur Kenntnis. Kommentieren wollte er ihn nicht. Stattdessen mahnte er, Europa müsse wettbewerbsfähiger werden. „China und die USA ziehen davon“, warnte er – und kritisierte zugleich die Große Koalition für ihre Wahlversprechen. Deutschland dürfe nicht glauben, seine Wirtschaftsstärke sei auf alle Zeiten gesichert. „Nur weil Frankreich schwächelt, sollte man den Reformweg nicht verlassen. Deutschland sollte sich nicht an den Schwachen orientieren, sondern an den Starken“, so Weber.
Sorgen machen, müssen sich die Deutschen aber noch nicht, glaubt man der Davoser Diskussionsrunde. „Deutschland sticht in Europa hervor und wird den Kontinent führen“, sagt auch Rogoff.
Dass die andere mitziehen, das allerdings sei ungewiss. „Und so lange das nicht der Fall ist“, so der US-Amerikaner, „ist die Euro-Krise nicht beendet“.