Knauß kontert

Martin hat euch lieb

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Mit dem Kult um Martin Schulz macht sich die SPD zur Karikatur ihrer selbst. Dabei ist man sich mit der Union einig: Kitsch und Gefühlsduselei ersetzen Politik.

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Ist Martin Schulz der Heilsbringer, den die SPD in ihm sieht? Quelle: imago images

Kann man über diesen sich anbahnenden Bundestagswahlkampf überhaupt ernsthaft schreiben? Spätestens nach dem Spektakel der Kür von Martin Schulz zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD mit 100 Prozent der Stimmen kann man eigentlich nur noch im Stil einer Satire darüber berichten. Der früher so genannte Volksmund tut das auch ausgiebig. Im Netz kursieren unzählige Witze über den bizarren Schulz-Kult in der ältesten Partei Deutschland. Zum Beispiel:

Kommt ein Psychiater in den Himmel. Petrus: "Gut, dass Sie hier sind. Sie müssen uns unbedingt helfen." - "Was ist passiert?" - "Gott dreht völlig durch. Er hält sich für Martin Schulz."

Die beste Schulz-Satire verbreitet aber die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley auf ihrer Facebook-Seite. Es ist ein vermutlich wohl ernst gemeintes Video in Slow-Motion über den Sonderparteitag. Ihr Kommentar dazu: „Gänsehaut pur. … Die Menschen spüren: Es ist Zeit für mehr Respekt und Würde jedem einzelnen Menschen gegenüber. Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit. Zeit für Martin Schulz.“

In einem anderen Post schwärmt Barley ähnlich verzückt: Schulz habe „Respekt vor jedem einzelnen Menschen“. Sein „Erfolgsgeheimnis“, so verkündete sie auf dem Sonderparteitag vor der Wahl von Schulz sei „dieses wahre, echte, ehrliche Interesse für jeden einzelnen Menschen“. Und Schulz selbst sagt auch am liebsten Sätze wie diesen: „Die Menschen, die den Laden am Laufen halten, haben vor allem eins verdient: Respekt.“

Mit dem Schulz-Kult macht sich die älteste deutsche Partei zu ihrer eigenen Karikatur. Sie verzichtet zu Gunsten von gefühligen Phrasen auf jegliche politische Substanz, vor allem auf das, was linke Parteien einmal auszeichnete: harte und fundierte Kritik an den herrschenden ökonomischen Verhältnissen – im Interesse der kleinen Leute. Statt einer politischen Alternative bietet die SPD mit Schulz nun eine aufgemotzte Variante dessen, was die CDU mit Merkel im Angebot hat: ein weiches Gefühl des Aufgehobenseins. Nicht Bürger sind angesprochen, sondern „alle Menschen“ und die werden mit wohltuenden Schmeicheleien bedacht: Respekt, Würde, Gerechtigkeit – für jeden Einzelnen. Das ist Politik auf Guildo-Horn-Niveau: Martin hat euch lieb. Viel lieber noch als die spröde Angela.

Die Personalisierung der Politik und die von der Produktwerbung abgeschaute Infantilisierung des Wählers durch Gefühlsduselei liegen schon länger im Trend. Aber in diesem Wahljahr erreicht der windelweiche Politkitsch ohne programmatische Inhalte seinen Höhepunkt unter besonders unpassenden Umständen. Denn an streitbaren Themen herrscht wahrlich kein Mangel. Die deutsche Gesellschaft ist seit dem Sommer 2015 aufgewühlt und zumindest in Teilen politisiert wie lange nicht. Von den Sozialdemokraten würde man sich unter anderem eine Antwort auf die wohl entscheidende Frage der nächsten Jahre wünschen: Wie man den Sozialstaat in Zeiten der Massenmigration vor dem Zusammenbruch bewahren kann. Das Thema überlässt man dem Ökonomen Hans-Werner Sinn.

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