Wettbewerbsfähigkeit Europa tritt auf der Stelle

Deutschland gehört laut neuester Studie zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt. Die Mehrheit der Euro-Länder aber schwächelt: Frankreich und Spanien plätschern dahin, zwei Sorgenkinder verlieren gar Plätze.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Deutschland klettert auf Rang sechs der wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt. Damit ist die Bundesrepublik, nach Schweden und der Schweiz, die drittbeste europäische Nation. Quelle: imago / Strussfoto

Ein klobiges Wort mit 20 Buchstaben ist zum festen Gegenstand jeder Euro-Diskussion geworden: Wettbewerbsfähigkeit. Keine Berliner Regierungserklärungen, kein Brüsseler Gipfeltreffen kommt mehr ohne die Frage aus, wie Europa "wettbewerbsfähiger" werden kann. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es gar die Schicksalsfrage in der Euro-Rettung: „Die Staaten des Euro-Raums können natürlich nur dann wachsen, wenn sie auch Produkte anbieten, die global verkäuflich sind. Deshalb ist das Thema Wettbewerbsfähigkeit so wichtig“, unterstrich die CDU-Politikerin im vergangenen Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

16 Monate sind seither vergangen. Viele Versprechungen der Regierungen in Madrid, Paris und Athen wurden abgegeben, alles dafür zu tun, um „wettbewerbsfähiger“ zu werden; zahlreiche Reformen wurden umgesetzt. Eine Trendumkehr konnte Europa aber nicht einleiten. Die jährlich erscheinende, renommierte Studie zur Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften des „International Institute for Management Development“ (IMD), eine private Wirtschaftshochschule im Schweizer Lausanne, zeigt deutlich: Europa tritt auf der Stelle. Nur minimal haben sich die Euro-Länder insgesamt verbessert, der Spitzengruppe hecheln alle PIIGS-Länder meilenweit hinterher.

Die zehn wettbewerbsfähigsten Länder der Welt

Zu den Ergebnissen im Detail: Deutschland verbessert sich im Vergleich zum Vorjahr und klettert auf Rang sechs. Die Bundesrepublik ist damit die drittbeste europäische Nation – hinter der Schweiz und Schweden. Berlin punktet mit gut ausgebildeten Arbeitskräften und einer – trotz einiger Alterserscheinungen – modernen Infrastruktur. Unternehmen loben zudem die hohe Verlässlichkeit von Politik und Justiz und die guten Forschungsmöglichkeiten.

Deutschlands Stärken

Doch Vorsicht: Deutschland, warnt das IMD, könne schon bald aus den Top 10 herausrutschen. Grund ist die Energiewende und die Politik der Großen Koalition. „Der Mindestlohn gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Das gilt auch für die Frühverrentung der Arbeitskräfte und die rasant steigenden Energiekosten. In den nächsten 10 bis 20 Jahren werden die Preise für Energie in Deutschland vier Mal so hoch sein wie in den USA.  Das hält kein Industrieland aus“, sagt Arturo Bris, Direktor des Zentrums für Wettbewerbsfähigkeit im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. Er prognostiziert: „Im nächsten Jahr dürften sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Regierung in Berlin negativ auf die Platzierung Deutschlands im Länderranking auswirken.“

Von den PIIGS-Staaten kommt Irland auf Rang 15 am besten weg. Im Vergleich zum Vorjahr ging es für Dublin um zwei Plätze nach oben. Die Insel zieht nach wie vor viele Investitionen aus dem Ausland an. So lässt sich auch ein schwacher Binnenmarkt ausgleichen.

Zu teuer, zu unflexibel, zu schlecht

Europa ist nur bedingt wettbewerbsfähig
Ein Mann trägt eine griechische Flagge Quelle: dpa
ItalienAuch Italien büßt zwei Plätze ein und fällt von Rang 44 auf Rang 46. Die Studienleiter kritisieren vor allem das Finanz- und Justizsystem. Die Abgaben seien zu hoch und Verfahren viel zu langwierig und intransparent. Lediglich bei der Produktivität und mit seiner Infrastruktur liegt der Stiefelstaat im Mittelfeld. Ein wenig besser macht es ... Quelle: REUTERS
Ein Mann schwenkt eine portugiesische Flagge Quelle: AP
Stierkampf Quelle: dpa
Eine Frau hält eine Fahne mit einer französischen Flagge in der Hand Quelle: REUTERS
Das Parlamentsgebäude in Wien Quelle: dpa
Finnische Flagge Quelle: dpa

Ganz besonders lohnt der Blick nach Frankreich – heißt es doch, in Paris entscheide sich das Schicksal der Euro-Zone. In der Tat dürfte die Währungsunion vor neuen Turbulenzen stehen, sollte sich Frankreich, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone, nicht stabilisieren. Politisch droht nach den Europawahlen Ungemach. Sollte der rechtsextreme „Front National“ gewinnen, so wie es die Prognosen zeigen, könnte sich die Amtszeit von Präsident Francois Hollande dem Ende entgegen neigen – und Euro-Kritiker an den Schalthebeln der Macht sitzen. Auch wirtschaftlich sind die Aussichten trübe. Dass Frankreichs Wirtschaft zu Jahresbeginn nicht gewachsen ist und die Arbeitslosenzahlen erschreckend hoch sind, ist bekannt. Die IMD-Studie zeigt nun aber auch, dass sich daran perspektivisch nicht viel ändern wird. Frankreich machte im Vergleich zum Vorjahr lediglich einen Platz gut und liegt im internationalen Vergleich bei der Wettbewerbsfähigkeit auf Rang 27, zwischen Island (Rang 25) und Thailand (Rang 29).

Woran Frankreich krankt

In Zahlen ausgedrückt liest sich das französische Zeugnis so: Bei der Steuerpolitik liegt Frankreich auf dem 60. und letzten Rang. Der Arbeitsmarkt ist viel zu unflexibel – Rang 21, und die Einstellung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist ungenügend. Insgesamt ist Frankreich zu wenig international vernetzt, viel zu teuer – und schlicht höchstens mittelprächtig konkurrenzfähig.

Nicht besser ist die Lage in Spanien – der viergrößten Wirtschaft im Euro-Raum und ebenfalls „too big to fail“, also zu groß, um von der Gemeinschaft im Notfall vor der Pleite bewahrt zu werden. Zwar machten die Iberer sechs Plätze im Vergleich zum Vorjahr gut, doch noch immer rangiert der Fußball-Weltmeister im unteren Mittelfeld. Spanien liegt auf Rang 39 im IMD-Ranking, einen Platz vor der Türkei und einen Platz hinter Russland.

„Spanien hat ähnlich wie Irland Fortschritte gemacht. Dort sind die Lohnkosten gesunken und die Exporte florieren. Auch wenn die Arbeitslosigkeit noch hoch ist, sind diese Länder doch auf einem guten Weg“, zeigt sich Studienleiter Bris optimistisch.

Doch bis die Reformen ihre volle Wirkung erzielen, dauert es noch. Derzeit ist die Lage in Spanien ähnlich trist wie in Frankreich: Die Beschäftigungssituation ist desaströs (Rang 59), um die öffentlichen Finanzen ist es schlecht bestellt (Rang 56) und die Fiskalpolitik ist leistungshemmend (Rang 49). In keinen der 20 Vergleichskategorien schneidet Spanien besser ab als Rang 17.

Selbst Jordanien hängt Griechenland ab

Die acht Gesichter Europas
Landkarte EU Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford
EU-Staaten nach Bruttoinlandsprodukt Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford
Nettozahler in der EU Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford
Nettoempfänger in der EU Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford
EU-Staaten nach Einwohnerzahl Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford
EU-Staaten nach Sitzen im EU-Parlament Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford
EU-Staaten nach Anzahl ihrer EU-Kommissare Quelle: Illustration: Benjamin Hennig, Worldmapper/University of Oxford

Solche Probleme hätten Italien und Griechenland gerne. Die beiden notorischen Euro-Sorgenkinder haben harte Sparprogramme und zahlreiche Reformansätze hinter sich – und wähnten sich auf einem guten Weg. „Keiner in Europa“ spreche mehr über einen „Grexit“, also dem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Raum, erklärte Samaras im Februar in der „Bild“-Zeitung. Stattdessen rede man jetzt von „Grecovery“, also einer Erholung der griechischen Wirtschaft. Die Reformen kämen gut voran. „Wir übertreffen mit unseren Fortschritten schon jetzt alle Erwartungen“, sagte Samaras. Dazu trage auch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit bei. Nun müsse es noch gelingen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Glaubt man der IMD-Studie, betreibt Samaras Augenwischerei. Denn konkurrenz- und wettbewerbsfähig ist sein Land noch lange nicht. Griechenland kommt in dem aktuellen Vergleichsranking nur auf Rang 57, und liegt noch hinter Jordanien (Rang 53) und Bulgarien (Rang 56). Die Infrastruktur ist unterdurchschnittlich, die Behörden furchtbar ineffizient und der Binnenkonsum quasi nicht existent.

Griechenlands Schwächen

„Die Peripherieländer lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Während es in Spanien, Irland und auch Portugal erste Anzeichen der Besserung gibt, hat sich in Griechenland die Wettbewerbsfähigkeit in der Tat noch einmal verschlechtert“, unterstreicht Bris. Gleiches gelte für Italien.

Zwar wird dem Land bescheinigt, über qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen und durchaus produktiv zu sein. Doch das reicht heutzutage nicht aus, um sich im globalen Wettbewerb beweisen zu können. Im ersten Quartal schrumpfte Italien um 0,1 Prozent – und auch im IMD-Ranking ging es im Vergleich zum Vorjahr bergab, Rom fiel von Rang 44 auf Platz 46, hinter Portugal, Indien und der Slowakei. Für die drittgrößte Volkswirtschaft im Euro-Raum ein Armutszeugnis.

Drei Aufgaben nennen die Schweizer Studienautoren, die die italienische Regierung dringend erledigen muss: Die Steuern auf Arbeit müssten runter, öffentliche Ausgaben besser geprüft und sinnvoller gestaltet werden – und das Justizsystem sollte dringend reformiert werden, da die Verfahren zu lang und intransparent seien.

Italiens Regierungschef Matteo Renzi ist mit starken Worten gestartet. Er versprach, die Steuern für Unternehmen zu senken und die Bürokratie einzudämmen. Es ist dringender, denn je. Im nächsten Jahr, mit dem Erscheinen des 2015er-IMD-Ranking, wird sich zeigen, ob Renzi geliefert hat – oder ob er nur eine Fußnote in der Diskussion um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa gesetzt hat. Wie so viele Politiker aus den Euro-Ländern in den vergangenen drei Jahren.

Dem Autor auf Twitter folgen:

.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%