Wirtschaft im Weitwinkel

Auch Populismus kann nützlich sein

Die Hoffnung, mit der Wahl in den Niederlanden habe die Stärke der Rechtspopulisten in Europa ihren Zenit überschritten, dürfte verfrüht sein. Denn die Ursachen für deren Erfolg sind noch immer da: Die Angst vieler Menschen vor Immigration, Globalisierung und einer übermächtigen EU.

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Trotz des erfreulichen Ergebnisses aus Den Haag: Die Hoffnung, mit der Wahl in den Niederlanden habe die Stärke der Rechtspopulisten in Europa ihren Zenit überschritten, dürfte verfrüht sein. Quelle: AP

Der Einstieg in das Wahljahr 2017 ist geschafft und das Ergebnis ist auf dem ersten Blick erfreulich. Denn bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden kam es zu einem überraschend klaren Sieg der liberal-konservativen VVD. Die Partei unter Führung des amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte konnte gut 20 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Wichtiger aber ist, dass gleichzeitig die rechtspopulistische PVV ein deutlich schlechteres Ergebnis erzielte, als ihr die Wahlumfragen der vergangenen Wochen prognostiziert hatten.

Die Gründe für den deutlichen Umschwung in Richtung der politischen Mitte dürften vielfältig sein. Viele Niederländer waren bis kurz vor der Wahl noch unentschieden, für wen sie stimmen würden. Die Diskussion darüber, dass die Parlamentswahlen einem vorgezogenen Votum über Europa gleichkommen, könnte für die hohe Wahlbeteiligung von rund 81 Prozent gesorgt haben. Viele der Bürgerinnen und Bürger, die an tagespolitischen Fragen womöglich weniger Interesse haben, könnten die Absicht gehabt haben, durch ihre Stimme ein Zeichen gegen eine drohende Renationalisierung des Landes zu setzen.

Aber auch der jüngst eskalierte Konflikt mit der Türkei, in welchem die Regierung in Den Haag die Konfrontation nicht scheute, könnte Wähler des rechten Lagers bewogen haben, Rutte anstatt Wilders zu wählen. Der Konflikt der Türkei mit einigen europäischen Ländern ist wohl wahltaktisch motiviert und hat zumindest in den Niederlanden seinen Zweck erfüllt.

Alle für den kleinen Mann
Er war hier eigentlich noch nie zu Gast und doch ist er beim Weltwirtschaftsforum 2017 so präsent, wie kein anderer Zeitgenosse: der kleine Mann. Oder genauer: Der weiße Mittelschichtsmann mit mittlerem Berufsabschluss und mittelprächtigem Job. Jener Typ, den der ehemalige US-Präsident Bill Clinton mal als „hart arbeitend, sich an die Regeln haltend“ beschrieb. Dem Unmut dieses kleinen Mannes über die wirtschaftlichen Zustände auf der Welt jedenfalls wird in Davos der Siegeszug der  so genannten Populisten in der Industrieländerwelt zugeschrieben. Oder, anders gesagt: Der kleine Mann hält sich nicht mehr an die ihm gesetzten Regeln. Und das sorgt die Anführer in Wirtschaft und Politik. So einheitlich wie man sie in dieser Sorge ist, desto konfuser sind die genannten Gründe und damit auch die angedachten Lösungen für das Phänomen. Nur, dass es angegangen werden soll, darüber herrscht Einigkeit. Oder, wie Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Donnerstagmorgen sagte: „Wir alle, in Wirtschaft und Politik, müssen auf jene eingehen, die glauben, den Anschluss verloren zu haben.“ Sonst drohe eine nicht endende Stärkung der politischen Ränder links und rechts. Nur: Wie soll das gehe. Ein Überblick über die gewichtigsten Positionen. Quelle: REUTERS
Theresa May, Premierministerin Großbritannien"Wir brauchen eine aktive, starke Regierung. Wir können die wirtschaftliche Teilhabe aller nicht den freien Kräften der internationalen Märkte überlassen. Und wir müssen sicherstellen, dass alle nach den gleichen Regeln spielen; Bürger genauso wie multinationale Konzerne – auch beim Bezahlen von Steuern." Quelle: REUTERS
Joseph Stiglitz, Ökonomie-Nobelpreisträger"Wenn es Trump gelingt, in der ersten Phase seiner Amtszeit Erfolge, und seien sie auch nur symbolisch, vorzuweisen, wird sich seine Art des Politikmachens wie eine Seuche in den Industrieländern des Westens ausbreiten.  Politische Ideen überschreiten Grenzen, wenn sie eine kritische Masse an Anhängern erreicht haben. So könnte es auch mit Trumps Lügen-Populismus sein. Zumindest so lange, wie seine Anhänger zu Recht auf Probleme des Wirtschaftssystems hinweisen, die einfach nicht zu leugnen sind: Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt." Quelle: AP
Lawrence Summers, US-Ökonom"Das als reines Problem der Ungleichheit darzustellen ist nicht die ganze Wahrheit. Die Amerikaner haben gerade erst das Symbol schlechthin für einen zur Schau gestellten Konsum zu ihrem Präsidenten gewählt. Eine Menge der Leute, die für Trump und den Brexit gewählt haben, glauben, dass zu viel dafür getan wurde, den Armen zu helfen. Es gibt vor allem einen Wunsch nach mehr nationaler Stärke und Einigkeit." Quelle: REUTERS
Joe Biden, US-Vizepräsident"Die Ängste der Menschen sind legitim. Viele haben nicht mehr das Gefühl, dass sich ihr Leben und das ihrer Kinder verbessern wird. Die Mittelklasse wird ausgehöhlt und die soziale Stabilität gefährdet. Und das oberste eine Prozent der Einkommenspyramide trägt nicht die Lasten,die es tragen könnte." Quelle: AP
Ana Botin, Vorstandschefin Banca Santander"Wenn Europa eine große Reform angehen sollte, dann eine kraftvolle und einheitliche Bildungspolitik. Wir werden den Großteil der Menschen nur in Arbeit bringen, wenn er bestens und besser als bisher ausgebildet ist." Quelle: REUTERS
Pier Carlo Padoan, Finanzminister Italien"Es gibt in Europa praktisch kein Land, in dem nicht eine hohe Unzufriedenheit zu finden ist. Viele Menschen in der Mittelschicht sind desillusioniert über die Zukunft, über die Jobperspektiven für ihre Kinder und die Sicherheit. Das ist bitter, denn eigentlich habe Europas Integration ja mal als die richtige Antwort auf den entfesselten Kapitalismus gegolten." Quelle: dpa

Bei all der Freude über den Wahlsieg der europafreundlichen Parteien: Die Themen der populistischen und nationalistischen Parteien sind in der Gesellschaft angekommen. Die hat sich in den Niederlanden gezeigt, ist aber auch in Frankreich und in Deutschland erkennbar.

Dabei ist es erstaunlich, dass sich über die Landesgrenzen hinweg sehr ähnliche Tendenzen erkennen lassen. Die wirtschaftliche Situation ist in den Ländern aber sehr unterschiedlich. Dies spiegelt sich insbesondere am Arbeitsmarkt wider. Während man sich in Deutschland in vielen Bereichen nahe der Vollbeschäftigung befindet und die Zahl der Beschäftigten Rekordstände erreicht, liegt die Arbeitslosigkeit in Frankreich mit gut zehn Prozent etwa doppelt so hoch wie in Deutschland.

Auch zwischen den Niederlanden und Frankreich gibt es wirtschaftlich große Unterschiede. Während die offenste Volkswirtschaft der Euro-Zone einen deutlichen Aufschwung nach den Krisenjahren erlebte, ist der Frust in Frankreich angesichts einer hohen Arbeitslosenquote und eines mäßigen Wirtschaftswachstums groß.

Der Grund, dass die Themen der etablierten Parteien kein Gehör mehr finden, kann also nicht an der wirtschaftlichen Situation in den Ländern liegen. Vielmehr muss sich die Grundstimmung in den Bevölkerungen verändert haben. Die hohe Veränderungsgeschwindigkeit bei vielen Themen, die Angst vor sozialem Abstieg und die alltägliche Terrorgefahr könnten für das veränderte Verhalten der Gesellschaften wichtige Gründe sein.

Politisches Vakuum

Insbesondere bei den ersten beiden Themen hätten die etablierten Parteien und die Regierungen in den Ländern in den vergangenen Jahren Aufklärungsarbeit leisten können und damit einiges richtigstellen können. Politik und gesellschaftliche Herausforderungen kann man eigentlich nur mit den Menschen gestalten. Dafür muss man die Menschen aber auch mitnehmen und vieles erklären.

Dies zeigt sich sehr schön an den Themen Europa und Globalisierung. Beide sind zu Schlagwörtern für den populistischen Mainstream geworden, da viele Menschen ihre sozialen Ängste in diese Wörter projizieren. Tatsache ist aber, dass es uns dank Europa und der Globalisierung - eine engere Verflechtung der Handelsbeziehungen - gesellschaftlich besser geht.

Einzelne Bevölkerungsteile haben sicherlich weniger profitiert als der Durchschnitt. Aber dies hätte man durch eine ausgewogene Sozialpolitik auffangen können. Das Grundproblem besteht aber darin, dass man die wirtschaftspolitischen Wechselwirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung nicht erkannt und/oder vernachlässigt hat. Entsprechend fand auch keine breite öffentliche Auseinandersetzung mit diesen Themen statt. Dieses politische Vakuum wurde von den populistischen Parteien dankbar gefüllt.

Wenn diese These stimmt, dann werden die populistischen und nationalistischen Parteien nicht einfach verschwinden. Es hilft wohl auch wenig, wenn etablierte Parteien versuchen auf den Zug aufzuspringen oder aus Angst vor den falschen Themen auf ein konkretes Wahlprogramm verzichten. Auch die Angst vor unbequemen Wahrheiten sollte man ablegen. Die Menschen in Europa wollen Erklärungen und Visionen für eine vernünftige Weiterentwicklung der Länder und Europa. Beides geht aber nur gemeinsam.

In den kommenden Wahlen in Frankreich und Deutschland sollten die etablierten Parteien die Regierung stellen und damit dürften sich die Ängste vieler Politiker und Investoren als unbegründet erweisen. Das Grundproblem besteht jedoch weiterhin und damit werden die entsprechenden Parteien weiter in der politischen Diskussion ihren Platz haben. Für stabile Demokratien ist dies kein Problem.

Zudem hat es den Vorteil, dass die regierenden Parteien auf viele ihrer Versäumnisse zeitnah hingewiesen werden. Dies muss die politische Diskussion vorantreiben. Wenn es also den etablierten Parteien gelingt, die Diskussionen über Integration, Globalisierung und die Weiterentwicklung der EU an sich zu reißen und in einem konstruktiven Dialog Antworten zu geben und die Themen damit selbst voranzutreiben, dann kann der Populismus sogar einen Nutzen gehabt haben.

Das Wahlprogramm der AfD enthält maßlose und unrealisierbare Forderungen. Warum das so ist und was die etablierten Parteien damit zu tun haben.
von Ferdinand Knauß

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