Wirtschaft im Weitwinkel

Italien hat andere Probleme als den Euro

Nicht Griechenland, sondern Italien ist das größte Sorgenkind Europas. Das Land hat eine immens hohe Arbeitslosigkeit, die in absoluten Zahlen höchste Staatsverschuldung im Euro-Raum und ein Bankensystem mit vielen notleidenden Krediten. Das alles ist schlimm. Aber noch schlimmer ist, dass keines dieser Probleme ernsthaft angegangen wird.

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Italienische Ein-Euro-Münze Quelle: dpa

Die Wirtschaftsentwicklung Italiens ist seit der Weltfinanzkrise 2007/2008 ein einziges Trauerspiel. Noch immer liegt das Vorkrisen-Einkommensniveau in weiter Ferne, Italien ist in den vergangenen zehn Jahren gegenüber den anderen Euro-Ländern erheblich zurückgefallen. Auch wenn sich seit einigen Monaten im Zuge der globalen Konjunkturerholung die Wirtschaftsindikatoren zu bessern beginnen: Das Land leidet unter einer dramatischen Strukturkrise, die nur durch eine durchgreifende Reformpolitik angegangen werden könnte.

Im Kern lassen sich die Ursachen der Probleme Italiens auf dessen Wachstums- und Produktivitätsschwäche zurückführen. Im Finanzsektor wurden durch das Eingreifen des Staates bei einigen Banken einige Schwierigkeiten aufgefangen, aber noch bei weitem nicht alle gelöst. Alle anderen Baustellen blieben bislang gänzlich unberührt.

Die wichtigsten Aufgabenfelder, die das Land voranbringen könnten, ergeben sich daraus: Die Flexibilisierung des Wettbewerbsrechts, eine umfassende Steuerreform und eine Reform des Justizwesens. Das alles wäre dringend notwendig und wurde den italienischen Regierungen in der Vergangenheit nicht zuletzt von internationalen Organisationen immer wieder ins Stammbuch geschrieben. Aber der politische Betrieb in Italien ist aktuell weit davon entfernt, sich mit diesen dringenden Themen zu beschäftigen.

Der aktuellen Regierung von Paolo Gentiloni von der PD (Partito Democratico) fehlen ohnehin die nötigen Mehrheiten, um größere Reformprojekte durchzubringen. Seit dem Scheitern des Verfassungsreferendums des ehemaligen Premiers Renzi sind alle Reformbemühungen praktisch zum Stillstand gekommen. Einzige Ausnahme: Die Reform des Wahlrechts, auf diese konnte sich das Parlament vor kurzem einigen.

Statt zu reformieren haben sich weite Teile der Politik auf einen gemeinsamen „Feind“ Italiens eingeschossen. Schuld an der wirtschaftlichen Misere des Landes ist angeblich das viel zu enge Korsett sein, in das der Euro mit seinen starren Haushaltsregeln das Land gezwungen hat. Der Verlust der geldpolitischen Souveränität verhindert, anders als in der Zeit vor Einführung des Euro, eine Abwertung des Wechselkurses zur Wahrung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Zudem würden die Haushaltsregeln des Maastricht-Vertrags den fiskalpolitischen Spielraum viel zu sehr einengen.

Aus diesen Gründen streben mehrere Parteien einen Austritt Italiens aus dem Euro an. Die Vorschläge reichen von einem Referendum über die weitere Euro-Mitgliedschaft (5-Sterne-Bewegung) bis hin zur Einführung einer wie auch immer ausgestalteten Parallelwährung, die mittelfristig den Euro ablösen könnte (Lega Nord, Forza Italia). Der Euro wird jedoch zu Unrecht an den Pranger gestellt. Außerdem kommen in der politischen Diskussion die möglichen Gefahren, die ein Euro-Austritt für Italien mit sich bringen würde, viel zu kurz.

Viel zu hoher öffentlicher Schuldenberg


Der öffentliche Schuldenberg des italienischen Staates war schon vor Beginn der Währungsunion zu hoch. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren war er zu schnell gewachsen. Auch der Vergleich mit den anderen großen Mitgliedsländern des Euro-Raums wie etwa Frankreich und Spanien belegt das. Der hohe Schuldenberg stellt für den italienischen Staatshaushalt über die Zinslasten eine dauerhafte Belastung dar. Er entzieht der Gesamtwirtschaft Ressourcen, die nicht anderweitig, etwa für Investitionen in die Infrastruktur oder zum Ausbau des Bildungswesens, verwendet werden können.

Italiens Wachstumsschwäche ist daher vor allem eine Folge des fehlenden Reformwillens der italienischen Regierungen. Um Italien auf einen höheren wirtschaftlichen Wachstumspfad zu bringen, müssten die ärgsten Problemfelder endlich angegangen werden, also das ineffiziente Bildungssystem, die geringen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in die Infrastruktur, die Schieflage im Finanzsystem, der hohe Anteil kleiner Firmen mit einem kleinen Anteil an Hochtechnologieprodukten, das Ausmaß der Schattenwirtschaft und der Korruption sowie die schwache öffentliche Verwaltung und das langsame Justizsystem. Alles das hat mit dem Euro nichts zu tun.

Die Pläne von einem Austritt aus dem Euro oder auch der Einführung einer Parallelwährung haben letztendlich das Ziel, die geldpolitische Souveränität wiederzuerlangen. In Italien, wo sich in Punkto Strukturreformen und Sparpolitik praktisch jahrzehntelang nichts bewegt hat, wurde in der Zeit vor der Währungsunion die Wettbewerbsfähigkeit in der Regel über eine schwache Währung erhalten. Die italienische Lira wertete regelmäßig gegenüber anderen Währungen ab, was den Export preislich förderte. Die Kehrseite der laxen geldpolitischen Zügel waren höhere Inflationsraten und höhere Zinsen für den Staat, die Privatwirtschaft und die privaten Haushalte.

Viele Probleme, die mit einem Euroaustritt verbunden wären, tauchen in der aktuellen Diskussion kaum auf. So würde wohl die Bereitschaft, dem italienischen Staat neue Kredite zu gewähren, gegen Null sinken, zumindest in der kurzen Frist. Damit wäre die Möglichkeit zur Refinanzierung am Kapitalmarkt nicht mehr gegeben. Der Staat wäre zu drastischen Einsparungen gezwungen und müsste Haushaltsüberschüsse erwirtschaften. Dies könnte zwar den Altschuldenabbau beschleunigen, würde aber die Konjunktur massiv schädigen. Zudem dürfte die Inflationsentwicklung deutlich anziehen. Der niedrigere Außenwert der neuen Lira würde Importe massiv verteuern.

Zwar könnte dadurch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exporte und der einheimischen Erzeugnisse erhöht werden. Ob der positive Exporteffekt überwiegt, bleibt aber sehr fraglich.

Wie Europas Währungen ohne Euro auf- oder abwerten müssten
Das SzenarioDer US-Finanzriese Bank of America Merrill Lynch (BoA) wollte es genauer wissen: Analyst Athanasios Vamvakidis hat den Euro-Währungsraum unter der Maßgabe genauer unter die Lupe genommen, dass die Euro-Zone auseinanderbricht und der Euro abgeschafft wird. Hintergrund sind neben den hohen Staatsschulden einzelner Peripheriestaaten vor allem das absehbare Ende der massiven Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank (EZB), das sogenannte OMT-Programm, und in der Folge wieder steigende Zinsen. Nur die Geldpolitik der EZB hat 2012 eine Eskalation der Staatsschuldenkrise verhindert, in dem die Kreditkosten für die Peripheriestaaten auf ein historisches Tief gedrückt wurden. Was also passiert, wenn das OMT-Programm endet? Quelle: dpa
Schatten-WechselkurseDie BoA-Experten erwarten, dass die EZB das OMT-Programm im kommenden Jahr reduziert und schrittweise auslaufen lässt. Dadurch würden auch die Finanzierungskosten der Staaten wieder ansteigen, obwohl es länger dauern dürfte, die Leitzinsen wieder anzuheben. Insgesamt rechnet die BoA dann mit höheren Schuldenquoten in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland als 2012 auf den Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise. Ohne einschneidende Reformen steigt somit das Risiko, dass die Euro-Zone auseinanderbricht. Dies vor Augen hat BoA-Analyst Vamvakidis Schattenwechselkurse für die nationalen Nachfolgewährungen gegenüber dem heutigen Euro berechnet. Diese legen Währungsunterschiede zwischen den Euro-Staaten offen, die derzeit durch die Gemeinschaftswährung verborgen sind. Quelle: dpa
GriechenlandGriechenland bleibt das Sorgenkind der Euro-Zone. Trotz spürbarer Fortschritte liegt die Überbewertung Griechenlands zusammen mit der Spaniens an der Spitze. Die griechische Drachme müsste deshalb nach heutigem Stand um 7,5 Prozent abwerten. Immerhin: Vor der Krise lag der Abwertungsbedarf eher bei 30 Prozent, insofern war die Verbesserung deutlich. Nur ein Land der Euro-Zone ist aktuell so stark überbewertet wie Griechenland. Quelle: dpa
SpanienMüsste Spanien zur Peseta zurückkehren, wäre laut BoA eine Abwertung der spanischen Währung um 7,5 Prozent erforderlich. Gegenüber dem Abwertungsbedarf vor der Krise von rund 14 Prozent ist das schon eine Stabilisierung. Allerdings haben sich Spaniens Staatsschulden seit 2008 nahezu verdreifacht. Dank der Geldpolitik der EZB hat sich die Zinsbelastung des Staates jedoch nur um 80 Prozent erhöht. Quelle: Fotolia
FrankreichBräche der Euro heute auseinander, müsste der Franc um fünf Prozent abwerten – und damit deutlich mehr als zu Vorkrisenzeiten. Damals lag die Überbewertung bei nur zwei Prozent. Insgesamt, so Studienautor Vamvakidis, sei die Überbewertung jedoch zu gering, um die Forderungen der Rechtspopulistin Marine Le Pen nach einem Frexit und einer anschließenden Abwertung des Franc zu rechtfertigen. Quelle: dpa
ItalienItalien bleibt etwas überbewertet, so dass die italienische Lire nur um drei Prozent abwerten müsste, um einen angemessenen Wechselkurs zu erreichen. Vor der Krise betrug die Überbewertung noch 7,5 Prozent. Seit 2012 ist die Zinsbelastung des Staates deutlich gesunken. Quelle: dpa
PortugalAuch in Portugal hat sich die wirtschaftliche Lage deutlich gebessert, so dass der Escudo nach heutigen Maßstäben nur noch leicht, nämlich um ein Prozent abwerten müsste, um im Gleichgewicht mit den übrigen Euro-Staaten zu notieren. Quelle: dpa

Es scheint, als ob die Politik in Italien die Augen vor den wirklichen brennenden Themen verschließt. Die ausgeprägte Wachstumsschwäche in Italien ist ein Problem, welches in zahlreichen strukturellen Fehlentwicklungen begründet ist. Deren Wurzeln liegen aber zu großen Teilen schon in der Zeit vor der Einführung des Euro. Der Euro ist nicht das Problem Italiens, er hat aber die Strukturschwäche seit Beginn der Finanzkrise schonungslos offengelegt.

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