Europawahl 2019 Steuern, Euro, Mindestlohn: Das planen die Parteien für Europas Wirtschaft

Die Europawahl steht vor der Tür, doch wofür die Parteien genau stehen, ist nicht nicht jedem klar Quelle: dpa

Die Europawahl steht vor der Tür, doch wofür die Parteien genau stehen, ist nicht nicht jedem klar. Dabei gibt es gerade in punkto Wirtschaft bedeutende Unterschiede. Eine Übersicht.

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Die Europawahl ist ein großes Paradox. Während gerade die politische Elite behauptet, dass nun die Weichen für die Zukunft Europas gestellt werden, ist das Interesse der Bevölkerung an der anstehenden Wahl eher verhalten. Auch das – im Übrigen recht spät angesetzte – „Gipfeltreffen“ im Fernsehen am Montag sorgte kaum für Resonanz.

Dabei haben die Parteien durchaus überraschende Positionen in ihren Wahlprogrammen. Die WirtschaftsWoche hat die Programme der großen Parteien auf ihre Wirtschaftspläne hin überprüft. Dies sind die Ergebnisse, sortiert nach den aktuellen Umfragewerten der Parteien:

Wirtschaftsprogramm der Union

CDU und CSU präsentieren dieses Jahr erstmals ein gemeinsames Programm zur Europawahl. Das mag auch am gemeinsamen Spitzenkandidat Manfred Weber liegen, der die EU-weite konservative Dachpartei EVP anführt.

Slogan des Programms: „Unser Europa macht stark. Für Sicherheit, Frieden und Wohlstand.“

Umfang: 26 Seiten

Programm zu Wirtschaft und Finanzen: Die Unionsparteien setzen klar auf Freihandel und Globalisierung und wollen damit demonstrativ ein Gegengewicht zu dem aufkommenden Protektionismus bilden. Dafür fordern sie weniger Bürokratie und Abgaben, gleichzeitig mehr Förderung. Sie wollen einen neuen Versuch für ein Handelsabkommen mit den USA sowie Handelsabkommen mit anderen Ländern.
Haushalts- und Finanzpolitik soll Sache der Mitgliedstaaten bleiben, die EZB unabhängig. Einen gemeinsamen Finanzminister lehnen sie ab. Digitalkonzerne sollen stärker besteuert und eine europaweite Finanztransaktionssteuer „light“ eingeführt werden.

Programm zu Sozialstaat: Lohndumping soll mithilfe der geplanten Europäischen Arbeitsagentur eingedämmt werden, eine europaweite Arbeitslosenversicherung hingegen wollen die Unionsparteien nicht. Auch soziale Sicherung wie Rente oder Mindestlohn sollen Aufgabe der Nationalstaaten bleiben.

von Dieter Schnaas

Wirtschaftsprogramm der SPD

Die SPD wird von Justizministerin Katarina Barley in den Europawahlkampf geführt. Sie ist die erste Bundesministerin, die für den Wechsel nach Brüssel einen Posten in der Bundesregierung aufgeben würde.

Slogan des Programms: „Kommt zusammen und macht Europa stark!“

Umfang: 76 Seiten

Programm zu Wirtschaft und Finanzen: Auch die SPD sieht Europa als Vorbild für freien und fairen Handel. Anders als bei den Konservativen soll der jedoch nicht von den Nationalstaaten allein geführt werden, sondern unter der Ägide einer Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum, angeführt von einem europäischen Finanzminister. Die SPD will auch ein gemeinsames Budget für die Eurozone und ist bereit, den Beitrag Deutschlands zu erhöhen, um die EU für die Zeit nach dem Brexit gut aufzustellen. Mittel der Wahl ist hier eine Art neuer Marshallplan zur Entwicklung der Industrie.

Im Bereich Steuern planen die Sozialdemokraten gleich eine ganze Reihe an Reformen. So sollen Mindeststeuersätze eingeführt und die Körperschaftsteuersätze europaweit angeglichen werden. Dafür soll in Steuerfragen künftig per qualifizierter Mehrheit statt Einstimmigkeit entschieden werden können. Digitale Großkonzerne sollen bis spätestens Ende 2020 stärker besteuert werden. Auch die Sozialdemokraten wollen eine Finanztransaktionssteuer einführen, die jedoch deutlich weitreichender wäre als der Vorschlag der Union.

Programm zu Sozialstaat: Die Sozialdemokraten wollen einen europaweiten Rahmen für Mindestlöhne und Mindestsozialstandards setzen. Mittel- bis langfristiges Ziel ist, das Niveau von Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung EU-weit anzugleichen. Ein europäischer Fonds soll als Rückversicherung für diese Sozialleistungen dienen. Rutscht ein Land in die Krise, kann es etwa die Krankenversicherung so lang aus dem Fonds bezahlen. Nachher muss es das entnommene Geld zurückzahlen.

Wirtschaftsprogramm der Grünen

Die Grünen ziehen, wie auch sonst, mit einer Mann-Frau-Doppelspitze in den Europawahlkampf: Ska Keller und Sven Giegold, die beide bereits im Europaparlament sitzen.

Slogan des Programms: „Europas Versprechen erneuern.“

Umfang: 197 Seiten

Programm zu Wirtschaft und Finanzen: Auch die Grünen setzen auf Wettbewerb, wollen dafür aber Monopole zerschlagen und fordern dafür ein eigenständiges europäisches Kartellamt mit entsprechender Befugnis. Die Grünen wollen außerdem einen EU-Haushalt in Höhe von 1,3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Wenn Großbritannien austritt, soll Deutschland seinen Anteil am Budget erhöhen. Um Geld für den Haushalt zu bekommen, soll die EU künftig eigene Steuern erheben können, und zwar vor allem auf international tätige Unternehmen. Die soll mit einer Digitalsteuer beginnen und dann auf andere Branchen ausgeweitet werden. Wie auch die Sozialdemokraten wollen die Grünen das Einstimmigkeitsprinzip bei Steuerfragen aufheben. Auch eine Finanztransaktionssteuer ist geplant. Zudem soll die Bankenunion vollendet werden.

Programm zu Sozialstaat: Die Grünen wollen europaweite soziale Mindeststandards und Mindestlöhne. Eine neu zu gründende Kommission soll zudem prüfen, wie weit die Löhne innerhalb eines Unternehmens auseinanderklaffen. Wasser, Energie und Nahverkehr sollen möglichst in Kommunen- oder Bürgerhand liegen.

Die Wirtschaftsprogramme von AfD, Linke und FDP

Wirtschaftsprogramm der AfD

Für die AfD tritt Jörg Meuthen als Spitzenkandidat an. Anders als die anderen Parteien führt die AfD in ihrem Programm nicht nur Reformideen ins Feld, sondern stellt die Existenz der EU als solches in Frage und einen Austritt Deutschlands („Dexit“) in den Raum. Das EU-Parlament, zu dessen Wahl die „Alternative“ kandidiert, will sie abschaffen.

Slogan des Programms: keiner

Umfang: 88 Seiten

Programm zu Wirtschaft und Finanzen: Das Gründungsthema der AfD findet sich auch im neuen Wahlkampfprogramm: Deutschland soll den Euro in seiner heutigen Form aufkündigen und die Deutsche Mark wieder einführen, so wie die anderen Staaten ihre alten Währungen. Die Bankenunion und Target 2 sollen gestoppt werden.

Auch die AfD positioniert sich pro Freihandel und den Abbau von Handelshemmnissen. Die EU, mehr aber noch die WTO sollen dabei vor allem als Rahmen für offenen Wettbewerb dienen. Der EU-Haushalt soll verkleinert werden, etwa indem der Kohäsionsfonds ausläuft.

Die EU soll sich weiter über Beiträge ihrer Mitgliedstaaten finanzieren, nicht über Steuern. Die nationalen Steuern, etwa für Unternehmen, sollen möglichst unterschiedlich bleiben. Eine Finanztransaktionsteuer würde die AfD dann befürworten, wenn sie weltweit eingeführt würde. Im Übrigen ist die AfD strikt gegen eine Aufweichung des Einstimmigkeitsprinzips.

Programm zu Sozialstaat: EU-Bürger sollen nicht mehr frei von einem Land ins andere ziehen dürfen, sondern die aufnehmenden Staaten sollen Bedingungen aufstellen können, etwa ein Einkommen. Haben EU-Ausländer Anspruch auf Sozialleistungen, soll deren Herkunftsland zuständig sein.

Wirtschaftsprogramm der Linken

Für die Linke tritt mit Özlem Alev Demirel und Martin Schirdewan ebenfalls ein Duo als Spitzenkandidaten an, wenngleich mit weniger europapolitischer Profilierung als die Grünen.

Slogan des Programms: „Europa – nur solidarisch“ bzw. „Für ein solidarisches Europa, gegen eine Europäische Union der Millionäre“

Umfang: 64 Seiten

Programm zu Wirtschaft und Finanzen: Die Linke will ausnahmslos alle Rüstungsexporte stoppen. Schlüsselindustrien sollen verstaatlicht werden, der Finanzsektor unter „demokratische Kontrolle gebracht“. Banken sollen verkleinert und das Investmentbanking komplett abgewickelt werden. Sofern sie in Steueroasen operieren, sollen sie ihre Lizenz verlieren. Eine Finanztransaktionssteuer soll eingeführt werden, Kryptowährungen wie der Bitcoin verboten werden.

Zudem will die Linke einen Entwicklungsfonds gründen, der öffentliche und soziale Dienstleistungen fördert und etwa in Wohnraum, Mobilitätswende und schnelles Internet investiert.
In punkto Steuern will die Linke einen EU-weiten Mindeststeuersatz für Unternehmen einführen sowie gemeinsame Standards für eine Vermögenssteuer. Digitalunternehmen sollen stärker besteuert werden, unter anderem indem sie dort Steuern zahlen, wo sie genutzt werden.

Programm zu Sozialstaat: Überall in Europa sollen Mindestlöhne geschaffen und existierende Mindestlöhne angehoben werden, vor allem in Deutschland, wo das gesamte Lohnniveau steigen soll. Auch Mindestrenten sind vorgesehen. Manager sollen nicht mehr als das 20-fache des niedrigsten Gehalts in ihrem Unternehmen verdienen dürfen. Leiharbeit will die Linke abschaffen und allen „gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“ zahlen. EU-Staaten mit hoher Arbeitslosigkeit sollen verpflichtet werden, ein öffentliches Beschäftigungsprogramm zu starten.

Ähnlich wie die SPD will die Linke einen europäischen Fonds schaffen, aus dem in Krisenzeiten die Sozialsysteme des Krisenlandes finanziert werden. Bei der Linken soll der Fonds jedoch angelehnt ans Wahlkampfmotto „solidar“ von Reichen und Unternehmen mitfinanziert werden. Es soll eine EU-weite Arbeitslosenversicherung und ein europäisches Sozialversicherungsregister geben. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens soll auf europäischer Ebene diskutiert werden.

Wirtschaftsprogramm der FDP

Für die FDP zieht die vorherige Generalsekretärin Nicola Beer in den Europawahlkampf. Sie präsentiert ihre Freien Demokraten als klare Pro-Europäer, die sogar einen europäischen Bundesstaat wollen.

Slogan des Programms: „Europas Chancen nutzen“

Umfang: 65 Seiten

Programm zu Wirtschaft und Finanzen: Die FDP sieht die Rolle der EU vor allem in Fragen des Handels, aber auch bei Außenpolitik, Asyl oder Klima. Dabei sollen Vorstöße einzelner Ländergruppen, also ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten möglich werden. Bürokratie soll abgebaut werden, Kompetenzen an die Mitgliedstaaten zurückverlagert, die Kommission auf 18 Mitglieder verkleinert, das Parlament auf einen Tagungsort festgelegt werden, um Geld zu sparen.

Die EU soll weder Steuern erheben noch sich verschulden dürfen. Um den Euro zu stärken, sollen bei übermäßig verschuldeten Ländern automatisch Sanktionen greifen.

Naturgemäß setzt die FDP auf Freihandel und Binnenmarkt, der weiter vereinheitlicht werden soll, sowie mehr Investitionen in Infrastruktur und einen neuen spezialisierten Fonds, „InvestEU“. Der Handel soll durch neue Handelsabkommen, etwa mit Großbritannien, und eine Reform der WTO gestärkt werden. Bilaterale Schiedsgerichte sollen zugunsten eines multilateralen Investitionsgerichtshofs abgeschafft werden.

Im Bereich Steuern sollen die Mitgliedstaaten ihre individuellen Systeme beibehalten, nur die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer soll vereinheitlicht werden.

Programm zu Sozialstaat: Auch bei Arbeitsmarkt und sozialer Sicherung soll jedes Land weiter frei seine Regeln festlegen dürfen. Die Freizügigkeit, die die AfD einschränken will, soll ausgeweitet werden, vor allem für Schüler.

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