Wirtschaftsvertreter attackieren Boris Johnson „Das kommt aktiven Bemühungen um eine Rezession gleich“

Premier Boris Johnson. Quelle: AP

Boris Johnson sorgt mit der Entscheidung, das Parlament zu suspendieren, für Entsetzen. Wirtschaftsvertreter wittern schmutzige Tricks und den Versuch, Widerstände gegen einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Sie reagieren mit deutlichen Worten.

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Vollkommen überraschend kam Boris Johnsons drastische Entscheidung nicht, das Parlament in Kürze für mehrere Wochen zu suspendieren. Schließlich hat Großbritanniens neuer Premier nie ausgeschlossen, dass er einen solchen Schritt gehen könnte, falls ihm der notwendig erscheinen sollte. Als Johnsons Amtssitz in der Downing Street am Mittwochvormittag dann aber tatsächlich bekannt gab, dass Johnson Königin Elisabeth II. darum ersuchen werde, das Parlament ab Mitte September für fünf Wochen in den Zwangsurlaub zu schicken, sorgte das in Großbritannien für Entsetzen.

Dabei sorgte nicht nur die hochgradig kontroverse Entscheidung selbst für einen Aufschrei. Auch die Art und Weise, mit der die Regierung dabei vorging, steht massiv in der Kritik. Johnson bediente sich des Instruments der „Queen's Speech“, bei der die Königin im Parlament das Regierungsprogramm für das kommende Jahr vorstellt. Diese Rede setzte die Regierung auf den 14. Oktober an und ordnete die Suspendierung in diesem Zusammenhang an.

Auf die Frage, ob das alles nicht ein Trick sei, um Gegnern eines ungeordneten Brexits unter den Abgeordneten die Zeit zu nehmen, die sie bräuchten, um einen No-Deal-Brexit zu stoppen, antwortete Johnson Fernsehreportern, dass das nicht der Fall sei. Ihm gehe es lediglich darum, sein Regierungsprogramm voranzubringen. Für Parlamentsdebatten zum Brexit bleibe „reichlich Zeit“. Dabei konnte er sich sein Grinsen kaum verkneifen.

Wirtschaftsvertreter reagierten weniger amüsiert. Schließlich überschatten der Brexit und die mit ihm verbundene Unsicherheit die Wirtschaft des Landes nun seit mehr als drei Jahren. Johnsons Ankündigung vor wenigen Wochen, das Land zum kommenden Brexit-Termin am 31. Oktober aus der EU zu führen – und das mit oder ohne ein Abkommen –, hat bereits zu einem Kurssturz des Britischen Pfunds geführt. Johnsons Manöver vom Mittwoch sorgte entsprechend für Ärger.

Craig Erlam, Markanalyst des Finanzhändlers Oanda sagt: „Das ist nicht das erste Mal, dass wir von dieser schmutzigen Taktik gehört haben. Aber es war zu hoffen, dass solche undemokratischen Maßnahmen nicht notwendig wären oder angewandt würden.“ Die Märkte seien von der Ankündigung der Regierung „in jedem Fall überrumpelt“ worden, sagte Erlam.

Die Britische Handelskammer (BCC) erklärte, Unternehmen hätten das Gefühl, dass die Politiker eine nicht enden wollende Partie Schach spielten, „während die Zukunft und Gesundheit der britischen Wirtschaft auf dem Spiel steht.“

Generaldirektor Adam Marshall erklärte, jeder Schritt in diesem „Spiel“ werfe weitere Fragen auf, „nicht nur unter Unternehmen hier zu Hause, sondern auch bei unseren Partnern weltweit.“ Die politischen Verwerfungen wirkten sich „auf Vertragsabschlüsse aus, auf Investitionsentscheidungen und auf das Vertrauen in die Wirtschaft.“

Allie Renison vom Institute of Directors sagte, die Chancen auf einen No-Deal-Brexit hätten sich in den vergangenen Wochen „eindeutig erhöht“. „Ein Großteil unserer Mitglieder ist der Ansicht, dass sich ein ungeordneter Austritt nachteilig auf ihr Geschäft auswirken würde. Angesichts der Umstände fordern wir die Unternehmen nach wie vor auf, alle angemessenen Vorbereitungen zu treffen.“

Nigel Green, Chef und Gründer des Finanzberaters deVere Group, sagte, Johnsons „hochgradig kontroverse Taktiken“ setzten dem angeschlagenen Pfund weiter zu. Das wirke sich auf die Kaufkraft Menschen in Großbritannien aus. „Ein schwächeres Pfund bedeutet, dass Importe teurer werden und steigende Preise in der Regel an die Verbraucher weitergegeben werden.“

Derek Halpenny vom Forschungs- und Finanzunternehmen MUFG warnte vor einem Absturz des Pfunds. „Die heutige Entwicklung bringt uns in den Bereich einer Verfassungskrise.“ Die Suspendierung des Parlaments lasse den Abgeordneten ein „unglaublich enges Fenster“, um auf eine Verschiebung des Brexit-Termins hinzuarbeiten oder ein Misstrauensvotum gegen die Regierung zu organisieren. „Das alles lässt einen No-Deal-Brexit immer wahrscheinlicher erscheinen.“

Seema Shah, Chefstrategin bei Principal Global Investors, erklärte, ein ungeordneter Brexit könne das Land in eine Rezession stürzen, das die weltweite Wirtschaft wegen der anhaltenden Handelsdispute ohnehin schon angeschlagen sei. „Aus wirtschaftlicher Sicht kommt eine Bemühung um einen No-Deal-Brexit durch eine Suspendierung des Parlaments aktiven Bemühungen um eine Rezession gleich“, erklärte Shah.

Und auch der Wirtschaftsverband Confederation of British Industry (CBI), der selten um eine Stellungnahme zum Brexit verlegen ist, äußerte sich zu Johnsons Entscheidung. Der Verband erklärte: „Ganz gleich, wie gut sich die Regierung und die Unternehmen auf einen No-Deal-Brexit vorbereiten: Nur ein gutes Abkommen mit der EU sichert Arbeitsplätze, Gemeinschaften und die Wirtschaft.“

Was Johnson von der Kritik vonseiten der Wirtschaft hält, erfuhr man am Mittwochabend nicht. Aber man kann es sich denken: Als ihn vor einiger Zeit ein ausländischer Diplomat fragte, was er von den Brexit-Sorgen der Unternehmen halte, antwortete Johnson: „Fuck Business“.

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