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Deutschland nach dem Weltkrieg: zerstört und erneut geschlagen. Kann der Umgang mit Deutschland damals als Beispiel für heute dienen? Quelle: dpa Picture-Alliance

Beispiel Deutschland: So funktionieren Reparationszahlungen – für alle

Die drastischen Forderungen an die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg waren eine zu schwere Last für die Weimarer Republik. In der Folge änderten die Siegermächte ihre Strategie 1945. Die Erkenntnisse können auch heute noch hilfreich sein – im Umgang mit dem Putin-Regime.

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Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist eng verknüpft mit Reparationszahlungen für die beiden Weltkriege. Nach den Erfahrungen mit den erdrückenden Reparationszahlungen des Ersten Weltkrieges (eine ausführliche Analyse dazu lesen Sie hier: Wer zahlt den Preis für die Kriegsschäden?), entschieden sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges nach der Kapitulation Deutschlands für einen etwas anderen Weg. Während nach dem Ersten Weltkrieg die Reparationszahlungen der Deutschen die Schlagzeilen prägten und über Jahre die Politik beherrschten, machten die deutschen Zahlungen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich weniger Schlagzeilen als die Lasten, die das Reich durch den Versailler Vertrag zu tragen hatte. Dies lag sicher daran, dass Deutschland 1945 bedingungslos kapituliert hatte und sich gegen die Forderungen der ehemaligen Kriegsgegner gar nicht wehren konnte.

Anders als nach 1918 wurden die deutschen Zahlungsverpflichtungen zunächst auch nicht vertraglich geregelt, sondern durch einseitiges Diktat der Siegermächte festgelegt, auf das die Besatzungszonen keinen Einfluss hatten. Erst nach der Gründung der beiden deutschen Staaten gab es die Möglichkeit, deutsche Positionen mit einer gewissen Hoffnung auf Einfluss offiziell zu vertreten. Allerdings waren die Handlungsspielräume der jungen Bundesrepublik, die noch bis 1955 unter Besatzungsstatut stand, gering – während sie für die DDR faktisch nicht existierten.

Für die Bundesrepublik sah das Besatzungsstatut weitgehende Einschränkungen der westdeutschen Souveränität vor, die die Bundesregierung auf dem Verhandlungsweg zu mindern suchte – was in verschiedenen Revisionen des Statuts auch gelang, bis schließlich mit den Pariser Verträgen von 1955 die Besatzungszeit formal endete.

Als Gegenleistung zu den Souveränitätserweiterungen erkannte die Bundesrepublik 1951 die deutschen Auslandsschulden an, die zumeist noch aus Krediten der Weimarer Zeit bestanden. Seinerzeit waren damit unter anderem die Reparationen des Ersten Weltkrieges finanziert worden. Es ging um erhebliche Summen: In Rede standen 30 Milliarden DM, von denen etwa die Hälfte auf Kredite der Zeit zwischen 1924 und 1930 entfiel. Die andere Hälfte waren Nachkriegskredite der Siegermächte – vor allem Marshall-Plan-Kredite und Hilfskredite aus England und Frankreich. Diese Summe hätte die von Kriegszerstörungen gezeichnete und exportschwache westdeutsche Wirtschaft in den ersten Nachkriegsjahren kaum aufbringen können, ohne den wirtschaftlichen Wiederaufbau im eigenen Land aufs Spiel zu setzen.

Das war auch den Siegermächten sowie den anderen europäischen Staaten klar, die 1953 in London mit der Bundesrepublik (Verhandlungsführer war Hermann-Josef Abs) über die Schuldentilgung verhandelten. Nach anfänglichem Widerstand war es vor allem die Bereitschaft der USA, bei den Vorkriegskrediten auf Zins und Zinseszins zu verzichten sowie einen Teil der Nachkriegskredite zu erlassen, die einen Erfolg der Konferenz ermöglichte.

 am 5. Juli 1951 in London während der Sachverständigenkonferenz über die Regelung der deutschen Vorkriegsschulden. Quelle: dpa Picture-Alliance

Im Ergebnis wurden die Schulden auf etwa die Hälfte reduziert. Mit dem Londoner Schuldenabkommen wurden allerdings nur die multilateralen Schulden der Vorkriegszeit reguliert; die Nachkriegsschulden hingegen wurden in gesonderten Verträgen geklärt. Parallel zu den Londoner Verhandlungen kam es in Luxemburg zu einer Einigung mit Israel über Hilfen bei der Eingliederung der jüdischen Bevölkerung im Land und einen Ausgleich für die durch den Nationalsozialismus verursachten Vermögensverluste der jüdischen Bevölkerung.

Dabei blieb es nicht: In den 1960er-Jahren wurden des Weiteren mit anspruchsberechtigten westeuropäischen Staaten Verträge über die Regulierung ihrer Ansprüche aus der Zeit des Nationalsozialismus geschlossen. Reparationsverpflichtungen im engeren Sinne thematisierte man in London hingegen nicht. Deren Behandlung wurde auf die Zeit nach dem Friedensschluss verschoben.

Auch kamen in London um die Ansprüche der dort nicht vertreten osteuropäischen Länder nicht zur Sprache, mit denen erst die wiedervereinigte Bundesrepublik in den 1990er-Jahren jeweils gesonderte Verträge abschloss. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurden mögliche Reparationsforderungen, die 1953 unter Verweis auf den Friedensvertrag verschoben worden waren, nicht thematisiert. Da dieser Vertrag offiziell nicht als Friedensvertrag angesehen wurde, war offensichtlich, dass die entsprechenden Punkte stillschweigend fallen gelassen werden sollten.

Die Zahlungen nach dem Londoner Abkommen, die bilateralen Verpflichtungen sowie die Summen für Israel wurden von der Bundesrepublik bis 1988 vollständig geleistet. Nach der Wiedervereinigung zahlte die Bundesrepublik auch die rechnerisch auf die DDR entfallende Summe an Altschulden, die im Londoner Abkommen ausgeklammert worden waren.

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