Zinsentscheid Das ist zu wenig, liebe EZB!

Mit ihrem jüngsten Zinsschritt bleibt die EZB hinter dem Notwendigen zurück. Auch im Vergleich zur Fed Quelle: imago images

Die EZB fährt das Tempo der zinspolitischen Straffung zurück. Damit droht sie den Kampf gegen die Inflation zu verlieren. Ein Kommentar.

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Die US-Notenbank Fed, so heißt es, ist die Zentralbank der Welt. Mit ihren Entscheidungen gibt sie Richtung und Tempo für die anderen Zentralbanken vor. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), scheint dieses Narrativ auf den ersten Blick zu bestätigen. Nachdem die Fed bereits im Februar das Tempo der geldpolitischen Straffung heruntergefahren hatte und am Mittwoch erneut mit einem kleinen Zinsschritt von 25 Basispunkten nachlegte, nimmt nun auch die EZB das Tempo aus dem Straffungskurs. Sie hob die Leitzinsen um lediglich 25 Basispunkte an. Zuvor war sie noch mit Zinsschritten von 50 Basispunkten gegen die Inflation zu Felde gezogen.

Der entscheidende Einlagenzins, den die EZB den Geschäftsbanken für deren Guthaben bei der Zentralbank zahlt, liegt nun bei 3,25 Prozent. Das ist weniger als die Hälfte der aktuellen Inflationsrate von 7,0 Prozent. Der Realzins befindet sich also weiterhin tief im negativen Bereich. Das gilt auch, wenn man der Berechnung die Umfragen der EZB zu den Inflationserwartungen der Verbraucher in der Währungsunion zugrunde legt. Demnach erwarten die Konsumenten auf Sicht der nächsten zwölf Monate im Durchschnitt eine Teuerungsrate von knapp sechs Prozent.

Das zu späte Einschwenken der EZB auf den Kurs der geldpolitischen Straffung hat nicht nur dazu geführt, dass sich die Inflation von den Energie- und Nahrungsmittelpreisen in nahezu alle Sektoren und Produkte der Volkswirtschaft fortgepflanzt hat. Es hat auch zur Folge gehabt, dass sich die Inflationserwartungen verfestigt haben. Die Kosten der Lebenshaltung haben sich auf breiter Front verteuert. In den Ländern des Baltikums liegt die Teuerungsrate seit Monaten im zweistelligen Bereich:



Will die EZB den Kampf gegen die Inflation, die sie selbst mit ihrer Geldschwemme in der Coronapandemie ausgelöst hat, noch gewinnen, kann sie es sich nicht leisten, mit Trippelschritten von 25 Basispunkten voran zu tänzeln. Angesichts der sich verhärtenden Inflationsprozesse und -erwartungen wäre ein großer Zinsschritt von 50 Basispunkten angemessen gewesen. Zumal sich die Wirtschaft in der Eurozone bisher als robust gegenüber den höheren Zinsen erwiesen hat und die Arbeitsmärkte weiterhin boomen.

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Selbst wenn die Wirtschaft im Gefolge einer beschleunigten geldpolitischen Straffung den Rückwärtsgang einlegen sollte, wäre dies kein Beinbruch. Im Gegenteil. Rezessionen wirken wie ein reinigendes Gewitter. Sie liquidieren Fehlinvestitionen, beenden inflationäre Übertreibungen, restaurieren den preislichen Steuerungsmechanismus und lenken knappe Ressourcen wieder an den Ort ihrer besten Verwendung.

Mit ihrem jüngsten Zinsschritt bleibt die EZB hinter dem Notwendigen zurück. Auch im Vergleich zur Fed, die den Leitzins binnen eines Jahres um immerhin 500 Basispunkte angehoben hat, nimmt sich das Ausmaß der bisherigen Straffung der EZB von nunmehr 375 Basispunkten zaghaft aus. Daran ändert auch die Entscheidung wenig, die Tilgungserlöse aus dem APP-Anleihekaufprogramm ab Juli nicht mehr in den Kauf neuer Anleihen zu stecken. Zumal die EZB stur daran festhält, die Tilgungserlöse aus dem Pandemie-Notkaufprogramm PEPP bis mindestens Ende 2024 flexibel in den Kauf neuer Anleihen zu investieren.

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Der weitere Kurs der Geldpolitik werde von der Datenlagen bestimmt, schreibt die EZB in ihrer Pressemitteilung. Zu befürchten ist, dass die Frankfurter Notenbanker schnell kalte Füße bekommen und den Zinserhöhungszyklus abbrechen, sobald die Konjunktur Zeichen der Erlahmung aussendet. So riskiert die EZB, dass die Inflation zum Dauerphänomen wird. Manchen Finanzministern, vor allem in den Südländern, die die Mehrheit im Rat der EZB stellen, dürfte das ganz recht sein. Denn eine hohe Inflation lässt den realen Wert der riesigen Staatsschulden schmelzen wie die Sonne den Schnee – ganz ohne die Mühsal eigener Konsolidierungsanstrengungen der Regierungen.

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