Der Erfolg der Euro-Rettung, sofern diese überhaupt noch möglich ist, hängt einerseits ab vom Zinsniveau in den kommenden Jahren und andererseits davon ab, ob der römische Senat und die italienische Justiz einen Weg finden, Steuerbetrug, Kinderprostitution und Mafiakontakte von Silvio Berlusconi zu legitimieren.
Darauf hat die deutsche Politik keinen Einfluss. Deshalb haben die etablierten politischen Parteien die Euro-Schuldenkrise erst gar nicht zum Thema im Bundestagswahlkampf gemacht. Sie führen lieber Phantom-Diskussionen über die Einführung einer Pkw-Maut oder eines fleischfreien Tages in den Kantinen des Landes.
Weiterer Vorteil: Je weniger man mit dem unerfreulichen Thema in Berührung kommt, desto weniger können den politisch Verantwortlichen später Vorwürfe gemacht werden, etwa wegen Konkursverschleppung bei den südeuropäischen Krisenstaaten oder wegen einer hohen inländischen Inflation plus Spekulationsblase und anschließender Krise am deutschen Immobilienmarkt. Man könnte allerdings auch von einem organisierten Wahlbetrug sprechen. Die politische Klasse in Deutschland zieht es jedenfalls vor, den Kopf in den Sand zu stecken und die Wähler im Unklaren zu lassen.
Quadratur des Kreises
Die Target2-Kredite der Bundesbank zum Beispiel lässt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei der Berechnung der deutschen Haftungsrisiken für die Euro-Rettung stets außen vor. Die Bundesbank hat gegenüber anderen nationalen Zentralbanken der Eurozone Forderungen im Volumen von 574 Milliarden Euro aufgebürdet bekommen. Werden Länder zahlungsunfähig und treten aus der Währungsunion aus, werden auch deren nationale Zentralbanken ihre Verbindlichkeiten aus dem Target2 genannten Verrechnungssystem von Zahlungsströmen zwischen den Euro-Zentralbanken nicht begleichen können. Das „würde substanzielle Verluste für die Gegenparteien in anderen Euro-Ländern inklusive Zentralbanken und Staaten bedeuten“, wie Lorenzo Bini-Smaghi in seinem gerade erschienen Buch „Morire di Austerita“ feststellt. Bini-Smaghi war bis Ende 2011 Mitglied des sechsköpfigen EZB-Direktoriums, ist also ein Insider in Sachen Euro-Rettung. Bini-Smaghi berichtet auch, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel noch im frühen Herbst 2012 in Erwägung zog, Griechenland aus dem Euro zu schmeißen und dass Cavaliere Berlusconi im Herbst 2011tatsächlich mit dem Euro-Austritt Italiens gedroht hatte. Das Thema Target2 ist also längst nicht vom Tisch.
Die Euro-Retter versuchen sich an der Quadratur des Kreises. Einerseits sind die Schuldenniveaus der Euro-Staaten inzwischen so hoch, dass ein Zinsanstieg um wenige Prozentpunkte die Haushaltsdefizite explodieren und das größtenteils insolvente Bankensystem der Eurozone kollabieren lassen würde. Andererseits führt in Südeuropa bereits ein langsameres Schuldenwachstum zu einem wirtschaftlichen Kollaps. Die Aussicht auf ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum besteht nicht einmal mehr in den Kernländern, weil diese selbst mit massiven Strukturproblemen, Reformblockaden und hohen Schulden zu kämpfen haben. Die asiatischen Exportnationen sind deshalb nicht mehr bereit zur Schuldenfinanzierung in Europa. Will man aber keine Schuldenschnitte zulassen, bleibt nur die monetäre Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Revolte der europäischen Anleihemärkte. Bundesfinanzminister Schäuble hat sich offenbar für die Alternative mit der Notenpresse entschieden.
Größtes Sorgenkind heißt Italien
Die Krise in den südlichen Krisenländern vertieft sich immer weiter. Im arithmetischen Mittel realistischer Prognosen wird die Wirtschaftsleistung in Italien und Spanien 2013 um jeweils zwei Prozent, in Portugal um 3,5 Prozent und in Griechenland um sechs Prozent schrumpfen. Sollte sich der Ölpreisanstieg fortsetzen, sieht es noch mieser aus. Die zuletzt medial aufgeblasenen Konjunkturhoffnungen für Südeuropa sind schon deshalb Makulatur, weil sich die Realzinsen in diesen Ländern von einem bereits hohen Niveau weiter nach oben bewegen.
Derweil beginnen in einzelnen Krisenländern die Schuldenlasten exponentiell zu steigen, in Portugal und Spanien allein über das letzte Jahr um jeweils rund 15 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Griechenland um 24 Prozent und in Italien um sieben Prozent. Die nächste Krise an den südeuropäischen Anleihemärkten ist nur eine Frage der Zeit. Die Regierungen dort sind heute im Prinzip noch zahlungsunfähiger als vor gut einem Jahr. Spanien wird das fünfte Jahr in Folge sein Defizitziel (von aktuell 6,5 Prozent) verfehlen. Portugals Staatsschulden werden völlig aus dem Ruder laufen, nachdem das portugiesische Verfassungsgericht in einer weiteren kuriosen Entscheidung Entlassungen von Staatsdienern als verfassungswidrig eingestuft hat. Bereits im April hatte das Gericht mehrere Sparvorhaben der Regierung gekippt. In Griechenland erreichen die Staatsschulden laut einem Bericht der griechischen Tageszeitung „Vima“ 321 Milliarden Euro. Damit liegen sie weit über dem Vorkrisenniveau von 2009. Wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble da um einen weiteren Schuldenschnitt herumkommen will, bleibt sein Geheimnis.
Noch dramatischer aber ist die Situation in Italien. Hier mischen sich politische Instabilität, explodierende Staatsschulden und der drittgrößte Staatsanleihenmarkt der Welt zu einem explosiven Cocktail für den Euro. Die Lage kann jederzeit eskalieren. Dazu genügt bereits eine weitere Herabstufung der Kreditwürdigkeit Italiens. Diese liegt aktuell zwei Bewertungsstufen über „Junk“. Schon heute dürfen Investmentfonds deshalb keine italienischen Staatsanleihen mehr kaufen. Das übernimmt die EZB über die von ihr zur monetären Staatsfinanzierung instrumentalisierten italienischen Banken. Insgesamt wird Italien 2013 rund 460 Milliarden Euro für Neuschulden und die Refinanzierung von Altschulden aufbringen müssen.
Die öffentlichen Schulden Italiens haben im ersten Halbjahr 2013 stärker zugelegt als im ganzen Jahr 2012. Verantwortlich dafür waren die sich seit April wieder verschärfende Rezession und die von Berlusconi durchgesetzten Steuersenkungen. Aufs Gesamtjahr hochgerechnet wird die öffentliche Verschuldung Italiens in diesem Jahr um knapp 195 Milliarden Euro oder rund zehn Prozent auf etwa 2,16 Billionen Euro zulegen. Auf Italien entfallen damit rund ein Viertel aller Staatsschulden in der Währungsunion. Die Staatschuldenquote des Landes von gegenwärtig 130 Prozent der Wirtschaftsleistung wird in der Euro-Zone nur von Griechenland übertroffen.
Südeuropa setzt auf Erpressung
Die schiere Größe der italienischen Staatsschulden macht im Krisenfall einen Bail-out durch die europäischen Partnerländer politisch unmöglich. Für die Rettung großer Euro-Staaten ist deshalb die EZB zuständig. Im Sommer 2011 verhinderte nur die Intervention der EZB die Staatspleite von Italien. Mit dem Hinweis auf die Bekämpfung einer - nach den Reformversprechen durch die italienische Regierung - angeblich grundlosen Spekulation gegen Italien kaufte die EZB für 100 Milliarden Euro rund fünf Prozent der italienischen Staatsschulden auf. Das war die erste groß angelegte monetäre Staatsfinanzierung in der Geschichte der Währungsunion. Von den italienischen Reformen ist bis heute nicht viel sehen. Und genau deshalb setzen sich die Zinsen in Italien jetzt wieder in Bewegung.
Zu Beginn dieser Woche lagen die Renditen zehnjähriger italienischer Staatsanleihen mit 4,52 Prozent erstmals seit 18 Monaten wieder über den Renditen zehnjähriger spanischer Papiere. Zuletzt war das der Fall im Frühjahr 2011 vor der ersten großen Eskalation der europäischen Schuldenkrise. Einige Wochen später stand Italien im Mittelpunkt der Marktspekulationen. Der Risikoaufschlag gegenüber deutschen Staatsanleihen legte damals auf fast sechs Prozentpunkte zu.
Wie die Regierungen Südeuropas und Frankreichs setzt auch der von der Justiz bedrängte Berlusconi mit seinen ständigen Erpressungsversuchen der italienischen Regierung auf die normative Kraft des Faktischen. Sind die Schulden erst einmal gemacht, dann wird sich schon jemand finden, um diese zu bedienen. Zur Not übernimmt das der Rettungsfonds ESM oder eben die EZB. Berlin macht das Spiel stillschweigend mit.
Vom Fiskalpakt ist aus den Reihen der CDU schon lange nichts mehr zu hören. Der Maastrichter Vertrag ist dreimal so tot wie der Friedhof von Chicago. Um den Fortbestand der Währungsunion zu sichern wird Berlin am Ende auch die Bonität Deutschlands opfern müssen. Der Euro ist schließlich alternativlos.
Aber Vorsicht. Die empirisch belegte zyklische Natur der Anleihenmärkte gibt der Euro-Rettung eigentlich keine Chance. Die Notenbanken werden mit Null-Zins-Politik und dem Aufkauf von Staatschulden die Marktkräfte auf Dauer nicht ausschalten können. Langfristige Zinstrends an den internationalen Anleihemärkten sind überaus stabil und werden in den USA gemacht.
Ein Blick auf die Entwicklung der langfristigen amerikanischen Zinsen seit 1800 zeigt sieben große Aufwärts- und Abwärtstrends. Die Investmentgesellschaft Invesco hat ermittelt, dass die Abwärtstrends zwischen 25 und 37 Jahren dauerten, die Aufwärtstrends zwischen 22 und 35 Jahren. Der letzte Abwärtstrend startete 1981 nachdem die Zinsen in den USA ein 200-Jahreshoch von 15,2 Prozent erreicht hatten. Der zyklische Tiefpunkt der Zinsen könnte deshalb bereits durchschritten sein. Bei einem „Weiter so“ wird in wenigen Jahren auch Deutschland in der Schuldenfalle sitzen.