Zuwanderung Auf Wanderschaft in Europa

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"Die Zuwanderung nach Deutschland ist eine Erfolgsstory"

Wie lebt es sich in Europa?
Die zufriedensten Menschen leben in der Schweiz und Dänemark. Das ist das Ergebnis der Studie "How's Life" der Industriestaaten-Organisation OECD. Die Studie berücksichtigt neben Beschäftigung, Langzeitarbeitslosen, Einkommen und Gesundheit auch den zur Verfügung stehenden Wohnraum oder ob die Menschen in dem jeweiligen Land Freunde haben. Ein richtiges Ranking gibt es dementsprechend nicht. Unter den Ländern, deren Bevölkerung sich selbst als sehr unzufrieden einschätzt, sind beispielsweise Ungarn, die Türkei, Griechenland und Portugal. Doch selbst in Ländern, die besonders von der Krise gebeutelt sind, macht die OECD Lichtblicke aus. Vom „Guter-Samariter-Effekt“ sprach Studien-Mitautorin Romina Boarini. „Es liegt auf der Hand, dass Menschen daran denken, anderen zu helfen, wenn sie selbst leiden.“ So sei in manchen Ländern der Anteil der Menschen gestiegen, die gemeinnützige Arbeit leisten. Quelle: obs
Die Norweger können zufrieden sein: In Europa bekommen sie mit 28.368 Euro nicht nur das durchschnittlich höchste Nettoeinkommen im Jahr, sondern sie haben auch eine sehr niedrige Arbeitslosenquote, pro Person durchschnittlich zwei Wohn-Räume zur Verfügung und sind zu 73,1 Prozent gesund. Auf einer Skala von 1 bis 10 geben die Norweger durchschnittlich eine 7,7 als Zufriedenheitsquote an. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Die Studie stellt einen direkten Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und der Möglichkeit zu arbeiten sowie den Arbeitsbedingungen her. In Irland haben beispielsweise die Gehälter seit der Finanzkrise um drei Prozent abgenommen, sie verdienen durchschnittlich 21.489 Euro netto im Jahr. Allerdings sind rund 8,5 Prozent der Bevölkerung ohne Job. Dafür ist die Einkommensungleichheit in Irland um acht Prozent gestiegen und in puncto Wohnraum sieht es ebenfalls gut aus: jedem Iren stehen durchschnittlich 2,1 Zimmer zur Verfügung. Außerdem sind die Iren sehr gesund. Quelle: dpa
Trotz Finanz- und Schuldenkrise hat sich die Lebensqualität der Deutschen im Unterschied zu vielen europäischen Nachbarn verbessert. 61 Prozent der Befragten gaben demnach an, mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Das sind acht Prozentpunkte mehr als zu Beginn der Krise. Beim Gesundheitszustand reicht es nur für Durchschnittswerte, dafür geben die Deutschen an, sich nicht so gestresst zu fühlen. Das Nettoeinkommen im Jahr liegt in Deutschland bei 26.212 Euro. Quelle: dpa
In den Niederlanden gibt es nur rund 1,5 Prozent Langzeitarbeitslose, 75 Prozent der Niederländer haben einen Job. Durchschnittlich verdienen unsere Nachbarn im Westen im Jahr netto 23.582 Euro. Auf einer Skala von 1 bis 10 ist man mit 7,5 dort ziemlich zufrieden. 76,3 Prozent bezeichnen sich außerdem als gesund. Nur den Unternehmen geht es nicht ganz so gut: Die Privatinsolvenzen haben seit 2008 pro Jahr um 20 Prozent zugenommen. Quelle: AP
In Spanien haben die Menschen ihr Vertrauen in die Regierung verloren. Seit der Krise haben sie die europaweit höchste Langzeitarbeitslosenquote knapp neun Prozent. Seit 2008  haben die Privatinsolvenzen pro Jahr um 50 Prozent zugenommen und für Jugendliche ist es extrem schwer, einen Job zu finden. Die Jugendarbeitslosigkeit ist um sechs Prozent auf 45 Prozent gestiegen. Dementsprechend gering ist die Zufriedenheit der Spanier. "Die Auswirkungen der Finanzkrise waren sehr groß!, sagte OECD-Chefstatistikerin Martine Durand. Allerdings gebe es keine "Meister des Wohlergehens", also kein Land, das in allen Bereichen vorne liege, so Durand. Auch an das Einkommen könne man die Zufriedenheit nicht koppeln - zumindest nicht ausschließlich Ein Spanier verdient übrigens durchschnittlich 19.680 Euro netto im Jahr. Quelle: dpa
Auch in Griechenland sind die Menschen unzufriedener als vor der Krise – insgesamt ist die Lebenszufriedenheit um 20 Prozent gesunken. Seit 2008 hat der finanzielle Wohlstand um 30 Prozent abgenommen, durchschnittlich verdient ein Grieche netto 16.010 Euro jährlich. Pro Person haben die Griechen nur 1,2 Räume zur Verfügung. Viele haben das Vertrauen in die Regierung verloren und auch in Griechenland haben 45 Prozent der Jugendlichen keine Arbeit. Quelle: dpa

Die Euro-Krise, drückende Rezessionen und Massenarbeitslosigkeit haben die europäische Solidarität brüchig und anfällig werden lassen. „Man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen und darüber rational, offen und ehrlich reden“, sagt Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlamentes, „gerade um sie den Rechten und Populisten mit ihrer Panikmache, den bewussten Übertreibungen, den fremdenfeindlichen Untertönen und der offensichtlichen Wahltaktik nicht zu überlassen.“ Auch Schulz sagt deshalb offen: „Wir können nicht leugnen, dass es in manchen Städten Probleme gibt mit einer kleinen Minderheit, die nicht oder schwer integrierbar ist und sich nicht verantwortungsbewusst verhält.“

Seit vergangener Woche gibt es eigens eine Staatssekretärsrunde des Bundes, die das deutsche Sozialrecht auf missbrauchsanfällige Schlupflöcher durchleuchten soll. „Freizügigkeit heißt freier Zugang zum Arbeitsmarkt, nicht freier Zugang zu Sozialleistungen“, sagt Hans-Peter Uhl (CSU), innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Wir wollen die Probleme nicht mit Geld zukleistern, sondern durch eine Rechtsänderung lösen.“

Die CSU will baldmöglichst konkrete Maßnahmen auf allen staatlichen Ebenen. In den Städten und Kreisen könnten die Behörden enger zusammenarbeiten. Das Sozialamt, das Stütze auszahlt, sollte sich mit der Familienkasse abstimmen, von der das Kindergeld kommt. Die Gewerbeaufsicht müsse die (Schein-)Selbstständigkeit prüfen, so wie das Einwohnermeldeamt kontrollieren solle, wie viele Menschen oder Firmen in einer Drei-Zimmer-Wohnung angemeldet seien. Und schließlich solle die Polizei ihre Erkenntnisse über Straßenprostitution und den sogenannten Arbeiterstrich für billige Leihkräfte beisteuern. Die meisten Informationen, so Uhl, könnten problemlos ausgetauscht werden. Wo dies bisher aus Gründen des Datenschutzes nicht möglich sei, müssten die Vorschriften geändert werden. Auch die Ergebnisse der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, für die der Zoll Razzien durchführt, sollten ebenfalls einfließen.

Allerdings: Schon im vergangenen Herbst hatte sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv über die Themen gebeugt. Das Ergebnis waren viele Bedenken und Fallstricke.

Hans-Peter Uhl (CSU), innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Quelle: dpa

Dass Horrorszenarien vor überbordender Einwanderung aus Osteuropa schon in früheren Jahren stets überzeichnet waren; dass sich handfeste Belege für großflächigen Missbrauch der Wohlfahrtssysteme bis heute nicht finden lassen – diese Wahrheit geht in der erhitzten Debatte schnell verloren. „Die Zuwanderung nach Deutschland ist eine Erfolgsstory“, urteilt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. „Wir erleben eine Wende: Die Zahl der gut Ausgebildeten wächst, die der Ungebildeten sinkt.“ Der krisenresistente deutsche Arbeitsmarkt ist so attraktiv wie seit Jahrzehnten nicht, Zuwanderer haben einen immer größeren Anteil am Jobboom. Die Ausnahmen von dieser Erfolgsgeschichte betreffen in der Tat vor allem Rumänen und Bulgaren. „Sie sind im Schnitt schlechter qualifiziert als die Einwanderergenerationen vor ihnen“, hat Brücker herausgefunden.

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