WirtschaftsWoche: Herr Plumpe, die Inflationsrate in Deutschland ist über die Zehn-Prozent-Marke gerutscht. Zuletzt war das Anfang der Fünfzigerjahre der Fall. Was waren damals die Ursachen für den Preisschub?
Werner Plumpe: Ganz zentral war die Währungsreform von Juni 1948: Mit dem Ende der Warenbewirtschaftung und der Preisfreigabe traf der rückgestaute, unbefriedigte Bedarf auf ein sehr niedriges Angebot. Folgerichtig stiegen in den kommenden Monaten die Preise teilweise rasant. Daraufhin mehrten sich die Stimmen, wieder zu direkten Markteingriffen zurückzukehren – zumal weiterhin ein Lohnstopp bestand und mit der Währungsreform auch die Arbeitslosigkeit rasch angestiegen war. Die Gefahr sozialer Unruhen wuchs; im November 1948 kam es wegen der Preissteigerungen zum ersten und einzigen Generalstreik in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit der heutigen Situation ist das kaum vergleichbar.
Wie haben Politik und Bundesbank damals reagiert?
Ein steigende Geldmenge und Staatsschulden spielten damals keine Rolle, und auch die Preise strategischer Güter wie Kohle und Öl waren relativ niedrig. Ludwig Erhard sah die Ursachen der Inflation daher zurecht im knappen Angebot. Er setzte das so genannte „Jedermann-Programm“ durch, um das Angebot preiswerter einfacher Güter – wie etwa Kinderschuhe – zu erweitern. Staatliche Markteingriffe lehnte er ab.
Die 1948 gegründete Bank Deutscher Länder, aus der 1957 die Bundesbank hervorging, stand bis 1951 noch unter alliierter Kontrolle. Große Handlungsspielräume hatte die Bank zunächst nicht, zumal auch die Notenausgabe durch alliierte Vorgaben eingeschränkt war. Einer der ersten Ratspräsidenten, Wilhelm Vocke, ließ aber keinen Zweifel an der strikten Orientierung an Preisstabilität – woran die Notenbank auch nach dem Ende der alliierten Kontrolle und der Zurückweisung der politischen Steuerungsansprüche in den Fünfzigerjahren konsequent festhielt.
Zur Person
Prof. Dr. Werner Plumpe ist seit 1999 Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt.
Und wann entspannte sich die Inflationslage wieder?
Mit dem Wiederanlaufen der Produktion und dem steigenden Güterangebot ging die Inflation zurück; Erhard behielt also Recht. Das „Wirtschaftswunder“ sorgte gleichzeitig für ein Abschmelzen der Arbeitslosigkeit und eine Ausweitung des Warenangebots. Damit traten allerdings neue Faktoren auf, die die Preisstabilität bedrohten, namentlich die hohe, auch internationale Nachfrage nach deutschen Produkten. Hier stand die deutsche Zentralbank früh vor dem Dilemma von Preisstabilität und Außenhandelswünschen. Solange die Angebotselastizität hoch war, ließ sich das Problem der nachfrageinduzierten Inflation, die durch die niedrige Bewertung der D-Mark im Bretton-Woods-System begünstigt wurde, beherrschen.
Gibt es wirtschaftshistorische Erkenntnisse, wie schnell sich die Inflationserwartungen von Verbrauchern und Unternehmern an steigende Teuerungsraten anpassen?
Den Erwartungen von Unternehmen und Haushalten kommt entscheidende Bedeutung zu, und die Erfahrung ist eindeutig: Hohe Veränderungswerte schlagen sich direkt nieder, da keine Alternativen existieren. Bei galoppierender Inflation bleibt den Marktteilnehmern ja gar nichts anderes übrig, als das Geld unmittelbar auszugeben oder in sichere Werte zu flüchten – was die Inflation im Regelfall weiter beschleunigt. Bei mäßigen Preisveränderungen hängt alles von der erwarteten Dauer dieser Veränderungen ab. Als nach dem Gründerkrach 1873/75 nach und nach klar wurde, dass die Preise auf absehbare Zeit nicht steigen und die Margen gering sein würden, war das vor allem ein Problem der Unternehmer: Kartellabsprachen, um das weitere Abrutschen der Preise zu verhindern, kamen ebenso auf wie Forderungen nach Schutzzöllen, um die ausländische Konkurrenz zu verringern. Bei mäßigen, aber dauerhaft spürbaren Inflationsphänomenen sind es vor allem die Haushalte, die ihr Verhalten umstellen.
Nämlich?
Es kommt zu Lohn-Preis-Spiralen (oder Preis-Lohn-Spiralen), die erheblich zur Chronifizierung der Geldentwertung beitragen. Dann bleibt nur noch der harte Schnitt wie in den USA Anfang der Achtzigerjahre unter Notenbank-Chef Paul Volcker. Das hat damals die weiteren Inflationserwartungen grundlegend verändert.
Werner Plumpe ist auch wirtschaftshistorischer Kolumnist der WirtschaftsWoche.
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