300 Jahre Adam Smith „Freier Markt statt Dirigismus und Privilegien“

Quelle: WirtschaftsWoche

Anfang Juni 2023 jährte sich zum 300. Mal der Geburtstag von Adam Smith (1723-1790), dem großen Vordenker des Liberalismus. Hat uns der Schotte heute noch etwas zu sagen? Unbedingt, sagt der Ökonom und Dogmenhistoriker Bertram Schefold – und warnt vor einer geschichtsvergessenen VWL ohne inneren Kompass.

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WirtschaftsWoche: Herr Schefold, im Juni jährt sich zum 300. Mal der Geburtstag von Adam Smith, dem Begründer der Nationalökonomie. Ist Smith reine Wirtschaftsgeschichte - oder für die Wirtschaftswissenschaft heute noch relevant?
Bertram Schefold: Wer die Geschichte des ökonomischen Denkens verstehen will, kommt an Smith nicht vorbei. Er hat das, was Menschen seit der Antike über die Ökonomie gedacht haben, in ein System gebracht und in einem umfassenden Gedankengebäude vereinigt, mit Elementen der Philosophie, der Jurisprudenz, der Theologie. Er hat zwar kaum eigene Theoreme entwickelt, aber eine gewaltige Syntheseleistung vollbracht. Seine historische Bedeutung für die Nationalökonomie ist schon deshalb unstrittig, weil sich viele spätere Ökonomen und Denkschulen auf ihn bezogen haben. Denken Sie nur an die Klassik mit ihrer Werttheorie und an David Ricardo, der aus dem deskriptiven Smithschen Gedankengebäude eine theoretische Unterfütterung der Funktionsweise von Wirtschaft, Wettbewerb und Handel entwickelte. Selbst Karl Marx hat sich bei Adam Smith bedient.

Was hat uns Smith heute noch zu sagen – und wo ist die Zeit über ihn hinweggegangen?
Sein Grundgedanke, dass eine von Staatsintervention weitgehend freie Wirtschaft am produktivsten ist und den Wohlstand am besten mehrt, ist sicher auch im 21. Jahrhundert zielführend. Würde Smith heute wiedergeboren, hätte er uns auch geld- und fiskalpolitisch einiges zu sagen: Er wäre sicher dafür, den Geldwert an Gold oder Rohstoffe zu knüpfen, um einen Stabilitätsanker gegen Inflation zu schaffen. 

War Smith das, was Kapitalismuskritiker heute einen kalten Neoliberalen nennen würden?
Dass man die freiheitliche Marktordnung auf die Gedankenwelt von Adam Smith zurückführt, hat seine historische Berechtigung. Allerdings war Smith ein vielschichtiger und differenzierter Nationalökonom und kannte sich auch in anderen Fächern aus; er hat sich zum Beispiel stark für Astronomie interessiert. Vor allem aber war er nicht unkritisch und hat Nachteile und Probleme des kapitalistischen Systems durchaus erkannt. Das wird in aktuellen Diskussionen über ihn gern unterschlagen. Smith hat stets zugegeben, dass es Marktversagen gibt, die Unternehmer zu Kartellen und Preisabsprachen neigen und dadurch im Kapitalismus eine inhärente Tendenz zur Ausschaltung von Wettbewerb entsteht.

Zur Person

War die von Smith propagierte wirtschaftliche Freiheit auch ein ökonomischer Reflex auf die industrielle Revolution und das Zeitalter der Aufklärung?
Durchaus. Im England des 18. Jahrhunderts lebten ursprünglich noch zwei Drittel der Menschen auf dem Land. Dort gab es Großgrundbesitz, weitgehend in den Händen des Adels. Die Adligen hatten Pächter eingesetzt, die wiederum Arbeiter beschäftigten. Diese dreistufige Form der landwirtschaftlichen Produktion erodierte mit der einsetzenden Industrialisierung, die Macht des Adels zerfiel, ein selbstbewusstes Bürgertum strebte nach oben. Smith setzte dem wirtschaftlichen Dirigismus, den Binnenzöllen, dem Verkauf von Ämtern und Privilegien, den freien Markt gegenüber.

Berühmt geworden ist das Stecknadelbeispiel, mit dem Smith die Vorzüge der Arbeitsteilung in der Produktion illustrierte. War Smith auch ein Vordenker der Globalisierung?
In gewisser Weise schon, aber auch hier zeigt sich, dass Smith vor allem ein ökonomischer Sammler und Zusammenführer war. Das Wissen über die Vorzüge von Arbeitsteilung bei wachsender Ausdehnung der Märkte findet sich bereits in der griechischen Antike. Etwa beim griechischen Philosophen Xenophon, der dies am Beispiel des Bäckerhandwerks und der Spezialisierung in Brot- oder Zuckerbäcker in großen persischen Städten illustrierte. Platon hat betont, dass Arbeitsteilung den Menschen erlaube, sich auf jene Tätigkeiten zu konzentrieren, die sie am besten können – dass dadurch bessere und billigere Produkte entstehen, betonte Adam Smith.

Kaum ein Ökonom hat die Nationalökonomie so geprägt wie Adam Smith – und kaum einer wurde so gern fehlinterpretiert. Was hat uns der Vordenker der Arbeitsteilung heute noch zu sagen? Eine Analyse zum 300. Geburtstag.
von Bert Losse

Was darf der Staat bei Smith?
Der Staat darf – und muss – Steuern erheben, um notwendige öffentliche Güter bereitstellen zu können, die der Markt nicht anbietet. Smith hat das am Beispiel eines Leuchtturms aufgezeigt, der jedem Schifffahrer nützt, aber kein Einzelner will dafür zahlen; es ist ein Trittbrettfahrerproblem. Smith hat im Sinne der Aufklärung auch Volksbildung gefordert. Die Finanzierung der höheren Bildung freilich wollte er Privaten überlassen.

Smith war von Hause aus Moralphilosoph und hat ein Werk über die „Theorie der ethischen Gefühle“ geschrieben. Wird er in der heutigen Wahrnehmung zu stark auf seine strikte Marktorientierung reduziert?

Ja. Von den Deutschen wurde Smith zumindest im 19. Jahrhundert anders wahrgenommen als im angelsächsischen Raum. Sein Buch über die Sittlichkeit ist hier als gegensätzlich zu seinem Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ und der Idee der Gewinnmaximierung verstanden worden, weil es von den Sympathiegefühlen ausgeht, welche die Menschen füreinander empfinden. Die Angelsachsen sagen dagegen, die beiden Welten gehörten zusammen und widersprächen sich nicht. Smith selbst hatte den Plan, eine Synthese seiner beiden Hauptwerke zu erstellen. Es existierte sogar ein Manuskript. Das aber wurde von seinen Nachlassverwaltern verbrannt – Smith hatte es so verfügt.

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Im VWL-Studium ist die Dogmengeschichte mittlerweile – wenn überhaupt – nur noch ein Nischenthema. Halten Sie das für einen Fehler?
Ja, absolut. Dass Dogmengeschichte an den Hochschulen keine Rolle mehr spielt, führt zu einer wissenschaftlich-intellektuellen Verarmung der Wirtschaftswissenschaft. Kurzfristig mag es Argumente geben, sich auf vermeintlich modernere Fachgebiete und Methoden zu konzentrieren. langfristig aber verlieren wir unseren Kompass. Eine geschichtsvergessene Ökonomie lässt uns historische Parallelen nicht mehr erkennen – und macht uns anfällig, alte wirtschaftspolitische Fehler zu wiederholen.

Hand aufs Herz: Haben Sie den „Wohlstand der Nationen“ komplett gelesen?
Nicht in einem Rutsch von vorne bis hinten – aber jedes einzelne Kapital mindestens einmal.

Lesen Sie auch: Die Geschichte zeigt, der Staat kann es eben nicht besser

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