
Das geheime Papier, das vor ein paar Tagen aus dem Wirtschaftsministerium durchsickerte, macht mächtig Wirbel. Es handelt sich um eine Studie, die düstere Perspektiven für Russlands Wirtschaft aufzeigt, sofern sich die Euro-Krise weiter verschärft und die Weltkonjunktur in den Keller rauscht: Der Rubel würde um die Hälfte abwerten, die Wirtschaft um 2,7 Prozent schrumpfen – und das bloß, weil sich Russlands Exportschlager Öl im Preis auf 60 Dollar pro Barrel verbilligt.
Das Szenario wirkt übertrieben schwarz. Dennoch legte kurz darauf das russische Finanzministerium nach und kritisierte, die Kollegen seien noch zu optimistisch. Die nächste Rezession, heißt es, werde Russland über mehrere Jahre packen und würgen. Vom früheren Selbstbewusstsein des Rohstoffriesen ist in Expertenkreisen nicht viel übrig geblieben.
Zahlen und Fakten zu Russland
Russland ist mit einer Fläche von 17.075.400 km² das größte Land der Erde.
Mit 141,85 Millionen Einwohnern liegt Russland auf Rang 9. Durch die Größe des Landes ergibt sich allerdings eine sehr dünne Besiedlung. Auf einem Quadratkilometer leben umgerechnet nur 8,3 Menschen.
Die Hauptstadt Russlands ist Moskau (Moskwa). Mit 11.514.300 Einwohnern ist Moskau die mit Abstand bevölkerungsreichste Stadt Russlands.
Das Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2010 bei 1.480 Milliarden US-$. 59 Prozent der Leistung erwirtschaftet der Dienstleistungs-Sektor, 37 Prozent die Industrie, vier Prozent am BIP steuert die Landwirtschaft bei. Der reale Zuwachs lag im vergangenen Jahr bei 4,0 Prozent.
Russland importierte 2010 Waren im Wert von 229 Milliarden US-Dollar. Den größten Anteil haben die chemische Erzeugnisse (14 Prozent). Der Export lag bei 396 Milliarden US-Dollar. Größter Exportschlager sind Erdöl und -produkte, Erdgas und Kohle.
Russland ist in acht Föderationsgebiete mit insgesamt 83 Territorialeinheiten eingeteilt. Diese gliedern sich auf in 21 Republiken, neun Regionen, 46 Gebieten, einem autonomen Gebiet, vier autonomen Kreisen sowie zwei Städten mit Subjekt-Status (Moskau und St. Petersburg).
Russland ist größtenteils christlich geprägt, über 70 Prozent der Einwohner sind orthodoxe Christen, 14 Prozent Muslime, 1,4 Prozent Protestanten, 0,6 Prozent Katholiken sowie 0,5 Prozent Juden.
Passable Zahlen
Oberflächlich betrachtet, sind die Zahlen passabel: Im ersten Halbjahr meldete Russland ein Wirtschaftswachstum um 4,4 Prozent, die Inflation lag in den ersten sieben Monaten bei historisch niedrigen 4,5 Prozent, die Arbeitslosigkeit war mit 5,4 Prozent im Juni so niedrig wie nie zuvor. Von schönen Zahlen lässt sich aber in Russland kaum ein Ökonom blenden, denn sie sind allenthalben teuer erkauft, weil der Staat gern mit teuren Finanzspritzen die Wirtschaft aufpäppelt.
Russland ist ein Selbstbedienungsladen. Wie im Speisewagen der Bahn bestellt die Welt bei den Russen das, was sie gerade braucht – Öl und Gas, Stahl und Nickel, im Sommer etwas Weizen, im Winter Kohle. Wenn die Weltwirtschaft schwächelt und die Nachfrage einbricht, trifft das Russland umso heftiger – außer konjunktursensiblen Rohstoffen hat das Land kaum Güter oder Dienstleistungen, die die Welt auch in Krisenzeiten braucht.
Russlands Wirtschaftsmodell und Konjunkturkrisen
Russlands Wirtschaftsmodell ist deshalb besonders anfällig für Konjunkturkrisen. Eine gehörige Mitschuld daran trägt Wladimir Putin, seit Mai wieder im Amt des Präsidenten. Auf seine Krisenbekämpfung ist der 59-Jährige stolz, er rühmt sich, mit eiserner Faust das Leid der Rezession persönlich vom gemeinen Russen fernzuhalten – mit Staatskonsum und Sozialleistungen. Dies hat den Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den vergangenen Jahren auf über 38 Prozent steigen lassen, wobei der Haushalt wiederum zur Hälfte über Öl- und Gasexporte finanziert wird.
Was ein Preisverfall am Ölmarkt zur Folge haben kann, zeigte sich im Mai und Juni: Das Wachstum fiel zum Sommeranfang unter vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Industrieproduktion schrumpfte. „Die verarbeitende Industrie zeigt Anzeichen von Stagnation“, gibt das Wirtschaftsministerium zu. Die Experten von der Higher School of Economics verweisen darauf, dass sich das Wachstum von Quartal zu Quartal bereits seit Mitte 2011 verlangsamt hat und jetzt zum Erliegen gekommen ist. Auch wenn sich die Situation im Juli etwas gebessert hat, wird die Regierungsprognose von vier Prozent plus beim BIP bis Jahresende nicht zu halten sein.