Afrikanischer Wirtschaftsriese Nigeria auf dem Weg zum Super-Wachstum?

Kaum Strom, hohe Kriminalität, krankhafte Korruption: Nigeria liefert viele Argumente gegen Investitionen. Doch der Mega-Markt wächst so rasant, dass ihn die Deutschen nicht mehr ignorieren können.

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Das sind die Märkte von morgen
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Rechenkünstlern im Statistikamt haben es Nigerianern zu verdanken, dass ihr Land quasi über Nacht zur größten Volkswirtschaft in Afrika mutierte – vorbei an Südafrika, dem Lieblingsland für Investoren auf dem Kontinent. Nigerias Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt 390 Milliarden Euro, seit Statistiker im April nach internationaler Methodik rechnen. 2013 legte die Wirtschaftskraft des Staates somit um 89 Prozent zu.

In nüchternen Zahlen zeichnet sich ein etwas realistischeres Bild von Nigeria ab, dem mit 179 Millionen Einwohnern großen Wachstumschampion in Afrika. Während Südafrika gern zu Muster-Demokratie und Investoren-Mekka hochgejazzt wird, tragen die Nigerianer allerlei Negativ-Stigmata mit sich herum.

Korruption, Kriminalität, Bürokratie, Stromdefizit – wer seine Angst vor Afrika irgendwie begründen möchte, kann Anti-Argumente in Nigeria à la carte wählen. Dabei stehen Ghana und Südafrika den Nigerianern in punkto Korruption in nichts nach; der Strom fällt auch im stabileren Uganda und Tansania häufig aus.

Wissenswertes über Nigeria

Nigeria ist jedenfalls im Kommen. Im Ranking der perspektivreichsten Märkte von morgen, die der Berliner Unternehmensberater Thorsten Makowski für wiwo.de zusammengestellt hat, landet der Riesenmarkt in Westafrika auf dem ersten Platz. Dies liegt in erster Linie an der Einwohnerzahl von 179 Millionen Menschen – und die steigt rasant.

Bis 2050, schätzt man bei der Weltbank, wird es mehr Nigerianer als Amerikaner geben. Die gebärfreudige Nation, deren Protagonisten heute zur Hälfte jünger als 18 Jahre alt sind, soll bis dahin auf bis zu 450 Millionen anwachsen. Dass die Mehrheit von ihnen heute unter der Armutsschwelle lebt, wird auf die Sozialpolitik des auf föderaler Ebene stabil geführten Staatswesens zwar enormen Druck ausüben.

Chancen für deutsche Unternehmen

Zugleich wächst aber die Mittelschicht, was Chancen für deutsche Unternehmen eröffnet. Mit einem Bestand an Direktinvestitionen in Höhe von 100 Millionen  finden sich die Deutschen aber bislang nur unter „ferner liefen“ – obwohl Nigeria als Ziel der Kapitalzuflüssen inzwischen begehrter ist als das bei bundesdeutschen Investoren so populäre Südafrika.

Nigeria, das war einmal eine reine Öl-Story. Schon seit den fünfziger Jahren buddelt Shell im Osten des Landes nach dem schwarzen Rohstoff. Inzwischen sind die Gasvorkommen sogar noch wichtiger geworden. Aber erst seit Ende der Militärdiktatur in 1998 dienen die bis dahin in tiefen Taschen versickerten Exporteinnahmen zunehmend dem Wohlstandswachstum.

Das Geld, das der Staat und die meist staatlich beschäftigte Mittelschicht ausgeben, kurbelt den Konsum an – welcher inzwischen zum Keilriemen für ein Wirtschaftswachstum von jährlich sechs bis sieben Prozent geworden ist.

Investitionsklima auf dem afrikanischen Kontinent

Sichtbar ist der mittelständische Aufschwung insbesondere in der Megapolis Lagos. Immer neue Einkaufszentren wachsen aus dem knappen Boden der Stadt. Von den zwölf Millionen Einwohnern können sich immer mehr ein Auto leisten, was zu schlimmen Staus führt.

In den innerstädtischen Viertel kostet Wohnraum so viel wie nirgendwo sonst in Afrika. Derlei Wachstumsschmerzen mögen nervig sein für Besucher – aber Bewohner freuen sich, dass es nach drei Jahrzehnten der Stagnation unter Militärherrschaft ein solch stabiles Wachstum gibt. Und sie konsumieren, als ob es kein morgen gäbe.

Möglichkeiten für ausländische Investoren

Freilich können ausländische Investoren kräftig davon profitieren. McDonalds ist stark am Markt, andere Fastfood-Ketten wie Kentucky Fried Chicken expandieren ebenfalls. Im Supermarkt-Geschäft ist neben Frankreichs Carrefour auch die Amsterdamer Handelskette Spar eingestiegen – wobei die Märkte hier klassisch im Franchise-System betrieben werden.

Zögerliche Europäer

Im Industriesektor investieren vor allem lokale Größen wie die Dangote-Gruppe, die einen Börsengang in London plant. Der Mischkonzern, besonders stark in den Bereichen Zementproduktion und Lebensmittelverarbeitung, plant die erste Raffinerie des Landes – damit Nigeria das Öl nicht länger billig exportieren und als Benzin teuer reimportieren muss.

Europäische Unternehmen zögern beim Ausbau ihrer Produktionskapazitäten hingegen. Ihre Lebensmittelfabriken, weiß Carsten Ehlers von Germany Trade & Invest in Lagos, bauen Nestlé, Unilever, Heineken, Procter & Gamble und SAB Miller allenfalls zurückhaltend aus. „Nigeria gilt ihnen nach wie vor als unsicher“, schreibt der Analyst.

Fünf Präsidenten als Hoffnung Afrikas
Äthiopien: Hailemariam Desalegn BoscheHoffen: Die Industrialisierung ist in vollem Gange, im vergangenen Jahr eröffnete die erste chinesische Schuhfabrik. In der Hauptstadt Addis Abeba steht die erste Medikamentenfabrik Afrikas. Außerdem investiert das isländische Unternehmen Reyhjavik Geothermal rund 4 Milliarden Dollar in ein Geothermieprojekt zur Gewinnung von Erdwärme. Bangen: Das Binnenland im Osten Afrikas hat mehr als 94 Millionen Einwohner, rund ein Sechstel mehr als Deutschland. Einer von drei Äthiopiern muss mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen, das ist ein geringer teil im Vergleich zu anderen Sub-Saharastaaten. Allerdings sind nur 39 Prozent der Bevölkerung alphabetisiert. Quelle: dpa
Nigeria: Goodluck Ebele JonathanHoffen: Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas, die Wirtschaftsleistung beträgt ein Siebtel von der in Deutschland. Das westafrikanische Land hält 2,5 Prozent der weltweiten Gasvorkommen und ist mit einigen Unternehmen schon im Portfolio von Fondsmanagern.Bangen : Die Terrorsekte Boko Haram sorgt im Nordosten Nigerias für Angst und Schrecken. Die Handelszentren sind von den Kämpfen jedoch nicht betroffen. Quelle: action press
Kenia: Uhuru KenyattaHoffen: Kenia ist auf dem Weg, das wirtschaftliche Drehkreuz der Sub-Sahara zu werden. Nicht nur für Öl und Gas, sondern auch für Logistik und Produktion. H&M lässt in dem ostafrikanischen Land Kleidung nähen. IBM hat hier sein erstes afrikanisches Forschungszentrum eröffnet und hofft, in Kenia das Bezahlen per Smartphone voranzutreiben.Bangen: 70 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre und neun von zehn können lesen und schreiben. Nur, wenn mehr ausländische Investitionen kommen, wird es genug Arbeit für die jungen Afrikaner geben. Quelle: dpa
Demokratische Republik Kongo: Joseph KabilaHoffen: Sie heißt "Inga" und ist das weltgrößte Wasserkraftwerk. Wenn das Werk läuft, könnte es günstig Strom erzeugen, für 2 Cent pro Kilowattstunde. Elektrizität ist die knappste Ressource in Afrika. Ab 2020 soll die Produktion voll ausgeschöpft werden.Bangen : Der bewaffnete Konflikt hält an und die Bevölkerung hat gerade einmal eine durchschnittliche Lebenserwartung von 50 Jahren. Quelle: AP
Mosambik: Armando Emílio GuebuzaHoffen: Das Nachbarland von Südafrika belegt zwar nur Platz 178 von 187 im "Doing Business Report" über das Geschäftsklima. Aber Mosambik hat eine der größten Kohlevorkommen der Welt und könnte das Ruhrgebiet Afrikas werden. Außerdem investiert Finnland aktuell zwei Milliarden Dollar zur Erschließung von Waldflächen.Bangen : Das politische Risiko ist hoch, gerade vor den Wahlen im Oktober dieses Jahres. Die Bevölkerung hofft auf eine Beteiligung am Wirtschaftswachstum, bisher liegt das jährliche Durchschnittseinkommen bei 650 Dollar. Quelle: imago/Xinhua

Natürlich sind die Risiken beim Geschäftsaufbau immens. Korruption ist Teil des Systems, ein Staatsauftrag ohne Schmiergeld kaum zu kriegen, die Bürokratie wuchert. Nicht zu Unrecht rangiert Nigeria auf Platz 170 der 189 Rängen im „Doing Business Report“ der Weltbank.

Der Bericht misst anhand einer Vielzahl an Kriterien die Schwierigkeiten, die Unternehmen beim Markteintritt zu bewältigen haben. Nigeria findet sich im letzten Fünftel in einer Reihe mit Syrien, Afghanistan oder Libyen. Das schreckt die Europäer ab, während lokale oder oft auch chinesische Wettbewerber den Markt unter sich aufteilen.

Zumal die wenigen Nigeria-Interessenten registriert haben dürften, dass sich sogar der wagemutige Ölmulti Shell aus dem korrupten lokalen Ölgeschäft zurückzieht. Ein Übriges dürfte die Präsenz der islamistischen Terrorgruppe „Boko Haram“ beitragen, die landesweit Anschläge verübt – auch wenn die meisten Menschen in den pulsierenden Metropolen entlang der Küste hiervon noch nie etwas mitbekommen haben. Vertreter der Öl- und Bauindustrie, die häufig außerhalb der Städte zu tun haben, werden allerdings häufig Opfer von Entführungen.

Ja, Nigeria ist ein Land mit Risiken, sagt André Rönne, der deutsche Wirtschaftsdelegierte in Lagos. „Aber diese Risiken kann man handeln.“ Er empfehle Unternehmen zum Beispiel, entweder direkt mit der Privatwirtschaft oder nur als Subunternehmer bei staatlichen Großprojekten tätig zu werden.

Dann habe man mit dem Thema Korruption keine Probleme. Jedenfalls sieht er „enormes Potenzial“ in jenem Mega-Markt, dessen Wachstum von gut fünf Prozent in diesem Jahr nach Präsidentschaftswahlen im Februar 2015 einen weiteren Schub gekommen könnte.

Pralle Staatskasse

Die Staatskasse des weitgehend entschuldeten Rohstofflands ist gut gefüllt für milliardenschwere Infrastrukturprojekte. Das Bankensystem ist inzwischen soweit stabilisiert, dass Geld für den Aufbau verarbeitender Industrien vorhanden wäre. Der Konsum ist schon angesichts eines hohen Bevölkerungszuwachses nicht zu bremsen, zumal die Mittelschicht an Kaufkraft gewinnt.

Kurzum, die „Pole Position“ unter den größten Märkten in Afrika wird Nigeria so bald nicht mehr aufgeben. Die Frage ist nur, welche mutigen Investoren sich reintrauen und mitverdienen wollen. Die Deutschen sind es bislang nicht.

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