WirtschaftsWoche: Herr Wambach, Sie haben für den Fall eines russischen Gasembargos oder Lieferstopps vor einer staatlichen Gaszuteilung gewarnt und stattdessen ein Auktionsmodell empfohlen. Warum?
Achim Wambach: Wir müssen versuchen, marktwirtschaftliche Instrumente und Preissignale auch im Rationierungsfall zu nutzen. Bei einer staatlichen Zuteilung, nach welchen Kriterien auch immer, ist die Wahrscheinlichkeit einer effizienten Lösung gering.
Ökonomisch effizient ist eine Lösung, die bei einem Gasembargo das verbleibende Gas dorthin bringt, wo es die höchste Wertschöpfung erzielt. Und der beste Indikator dafür ist nun mal der Preis, den die Unternehmen zu zahlen gewillt sind. Bei einer Auktion bekommen die Unternehmen keinen Zuschlag, die substituieren können. Einige scheiden aus dem Markt vorübergehend oder auf Dauer aus.
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass finanzstarke Konzerne dann Gas hamstern, während der Mittelstand auf der Strecke bleibt?
Ich glaube nicht, dass einzelne Unternehmen den Gasmarkt auf der Nachfrageseite so stark dominieren können. Gleichwohl ist klar: Eine Gaskrise kann den Mittelstand überproportional treffen; Betriebe mit geringer Wertschöpfung könnten durchs Raster fallen. Es lohnt sich, schon heute einiges dafür zu tun, um eine Gasknappheit im Winter zu vermeiden.
Diese Länder haben einen Alarm bei der Gaslieferung ausgesprochen
In Deutschland galt seit Ende März die Frühwarnstufe und damit die erste Eskalationsstufe des Notfallplans Gas. Dieser sieht als zweiten Schritt die Alarm- und als dritten die Notfallstufe vor. Am 23. Juni wurde die Alarmstufe ausgerufen.
Würde die dritte Stufe ausgerufen, würde die Bundesnetzagentur in den Markt eingreifen und entscheiden, ob und wieviel Gas an Haushalte, Industrie und Gewerbe geliefert werden.
Österreich hat wie Deutschland die Frühwarnstufe im Gas-Notfallplan ausgerufen. Die Alarmstufe zu erhöhen ist nach Angaben des Regulators E-Control derzeit nicht notwendig. „Im Moment ist es so, dass auch mit den reduzierten Mengen der Verbrauch gedeckt werden kann und auch eingespeichert werden kann pro Tag“, sagte Carola Millgramm, die Leiterin der Gasabteilung der E-Control, am 21. Juni der Nachrichtenagentur Reuters.
Betroffen von einer Drosselung seien die Gasflüsse über die Ostsee-Pipeline Nord Stream. Die Importe über den Gashub Baumgarten in Niederösterreich seien stabil, erklärte die Austrian Gas Grid Management (AGGM), die für das Management der internationalen Gastransitleitungen zuständig ist, in ihrem Lagebericht.
Die Niederlande befindet sich in der ersten Phase einer Gaskrise, warnte Energieminister Rob Jetten am 20. Juni. Russland hatte bereits im Mai die Lieferung von Gas gestoppt. Jetzt kurbelt das Land die Produktion der Kohlekraftwerke erneut an. Es gebe zwar noch keinerlei Engpässe. Doch durch Russlands Entscheidung, die Gaslieferungen in europäische Länder zu stoppen oder stark zu reduzieren, könne sich die Lage schnell verschlechtern. Der Minister rief Bürger und Betriebe dringend auf, so viel Energie wie möglich zu sparen.
Dänemark hat am 20. Juni eine Warnung ausgesprochen. Das Land erhält bereits kein Gas mehr aus Russland.
Schweden hat am 21. Juni für Teile des Landes die erste von drei Alarmstufen wegen möglicher Probleme bei der Gasversorgung aus Russland ausgerufen. Die Stufe gilt laut Energiebehörde für Landesteile im Westen und Süden Schwedens, um sich auf potenzielle Liefer-Unterbrechungen vorzubereiten.
Ein Instrument wäre ein Verzichtsmodell. Unternehmen könnten sich heute bereiterklären, im Herbst oder Winter für einen bestimmten Zeitraum auf Gas zu verzichten und dafür eine Entschädigung erhalten.
Die Betriebe, sofern sie keine Substitute finden, könnten dann Werksferien machen oder die Produktion herunterfahren und Kurzarbeitergeld beantragen. Wenn die Lage eskaliert, müssen wir aber auch die Haushalte stärker in den Blick nehmen, um den Gasverbrauch zu drosseln.
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Wie meinen Sie das? Lieschen Müller kann ja wohl kaum zusammen mit BASF oder Siemens bei einer Gasauktion mitbieten.
Nein, aber man könnte über Prämien für Haushalte nachdenken, die Gas einsparen. Dann hätten die Leute, die die Heizung runter drehen, nicht nur ein gutes Gewissen, sondern auch einen monetären Vorteil.
Wie soll das funktionieren?
Man könnte sich zum Beispiel den durchschnittlichen Gasverbrauch eines Haushalts der vergangenen drei Jahre ansehen und sagen: Wer 20 Prozent drunter bleibt, kann die Differenz quasi zurückverkaufen. Ein solches Prämienmodell wäre ein effektives Instrument, den Gasverbrauch zu drosseln. Und es wäre auch im Interesse der Versorger: Sie müssten weniger Gas auf dem Markt zukaufen.
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