Analyse der EZB-Ratssitzung Draghis Diagnose: Höhere Unsicherheit, aber keine Rezession in Verzug

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, während der Pressekonferenz in der EZB-Zentrale. Quelle: dpa

Wann erhöht die Europäische Zentralbank die Leitzinsen? EZB-Präsident Mario Draghi bleibt bei der ersten Ratssitzung vage – und spricht dafür umso mehr über Konjunktur-Risiken.

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Der Mehrheit hiesiger Firmen wünscht sich einer Forsa-Umfrage zufolge eine Zinswende, doch Unternehmer wie Sparer werden sich noch eine Weile gedulden müssen. Zwar beließ es die Europäische Zentralbank bei ihrer Ratssitzung am Donnerstag bei der Formulierung, der Leitzins werde „mindestens über den Sommer“ bei null Prozent bleiben. Etliche Ökonomen rechnen mittlerweile aber nicht vor 2020 mit einer Zinserhöhung.

Die wichtigsten Themen der ersten Ratssitzung des Jahres in der Analyse: 

Zinspolitik

Seit März 2016 sind die Zinsen in der Eurozone auf dem Nullpunkt. Dass sich daran bis zum Ablauf von Mario Draghis Amtszeit als EZB-Präsident Ende Oktober etwas ändert, ist zumindest nicht wahrscheinlicher geworden. Im Dezember fiel die Inflationsrate in der Eurozone von 1,9 auf 1,6 Prozent. Es könne dauern, so Mario Draghi, bis sie nachhaltig das EZB-Ziel von nahe zwei Prozent erreiche.

Der EZB-Präsident betonte die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone. Während es mancherorts, wie in Deutschland, nahezu Vollbeschäftigung gebe und die Löhne kräftig stiegen, sei das vor allem in den Südländern nicht überall der Fall. Das Ergebnis: Die Preise steigen im Durchschnitt aller 19 Euroländer nur moderat.

Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe, folgerte daraus, Draghi könne das trübere Konjunkturumfeld spätestens im Sommer „zum Anlass nehmen, Signale für eine Leitzinswende zu senden, die später als im Herbst erfolgt.“ Dies habe Draghi heute auf der Pressekonferenz bereits angedeutet. Allerdings hätte dies weitreichende Konsequenzen. Da das fundamentale Umfeld 2020 kaum besser sein dürfte als 2019, „verschöbe sich die Leitzinswende wohl eher auf 2021“, so Krüger.

Ebenso wie die EZB bleibt auch die japanische Zentralbank bei ihrer äußerst lockeren Geldpolitik – und das wohl noch für längere Zeit, wie sie am Mittwoch ankündigte. In Japan liegt der Strafzins auf Einlagen der Banken bei der Notenbank unverändert bei 0,1 Prozent, in der Eurozone bei 0,4 Prozent. Anders die amerikanische Notenbank: Die Fed ist den Notenbankern in Japan wie Europa in ihrem geldpolitischen Zyklus weit voraus. Nach neun Zinserhöhungen binnen drei Jahren liegt der Leitzins in den Vereinigten Staaten mittlerweile bei einer Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent. 

Risikoausblick

In jüngster Zeit haben Volkswirte reihenweise ihre Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft gesenkt. Anfang der Woche zog der Internationale Währungsfonds nach. Und auch der Einkaufsmanagerindex, ein wichtiger Frühindikator, signalisiert eine schwächere Konjunktur in Euroland – vor allem in Frankreich.

Draghi betonte denn auch die Risiken. Er sprach von einer „erhöhten allgemeinen Unsicherheit“, nannte neben Protektionismus und Brexit-Sorgen auch eine Abkehr vom Multilateralismus, der kennzeichnend für das weltweite Wachstum „seit dem Zweiten Weltkrieg“ gewesen sei. Als weitere Faktoren verwies Draghi auf das schwächere Wachstum in China hin, das 2018 auf den niedrigsten Stand seit mehr als einem Vierteljahrhundert fiel, und führte die schwächelnde deutsche Autoindustrie an.

Laut Draghi gebe es im EZB-Rat zwei Fraktionen: jene, die von einer baldigen Erholung ausgingen; und jene, die betonen, dass die Risikofaktoren bereits seit etlichen Monaten auf der Wirtschaft der Eurozone lasteten. Eines aber sei laut Draghi Konsens: „Das Risiko einer Rezession ist gering.“ Der Grund: Die Banken seien „stärker als vor der Finanzkrise“. 

Zentralbankkredite

Auf sie zielte die EZB 2014 und 2016 mit ihren „Targeted Longer-Term Refinancing Operations“, kurz: TLTRO. Dahinter verbirgt sich ein Kreditprogramm, mit dem Banken im Euroraum sich mit einer Laufzeit von bis zu vier Jahren Zentralbankgeld leihen können.

Nach Berechnungen von Bloomberg Economics werden im kommenden Jahr Kredite im Umfang von fast 500 Milliarden Euro fällig. Entsprechend groß ist der Refinanzierungsbedarf. Zumal Banken diese Kredite schon ein Jahr vor Ablauf nicht mehr auf das vorgeschriebene Liquiditätspolster anrechnen dürfen.

Draghi wurde im Laufe der einstündigen Pressekonferenz wiederholt auf ein neues Kreditprogramm angesprochen. Das Thema sei zur Sprache gekommen, eine Entscheidung aber nicht gefallen, sagte Draghi. Stattdessen verwies der EZB-Präsident auf die nächste Ratssitzung am 7. März. Grundsätzlich gelte: Die Zentralbank sei bereit, jederzeit auf alle Instrumente der Geldpolitik zurückzugreifen, um die Inflation „dauerhaft“ an die Schwelle von zwei Prozent zu bekommen. 

Sorgenkind Italien

Allein italienische Banken haben sich mittels der günstigen Zentralbankkredite mehr als 200 Milliarden Euro Liquidität bei der EZB gesichert. Mit dem Geld haben sie in großem Stil italienische Staatsanleihen gekauft und so die Finanzierungskosten für das hoch verschuldete Land künstlich nach unten gedrückt. Mit einer Neuauflage der TLTRO-Programme setzte die EZB daher die von vielen Ökonomen kritisierte monetäre Staatsfinanzierung über das Bankensystem fort. Draghi ging darauf nicht explizit ein. Er machte aber klar, dass sich die Lage auf dem Finanzmarkt seines Heimatlandes verschärft habe und die alten TLTRO-Programme die Transmission monetärer Impulse unterstützt hätten.  

Der italienische Bankensektor gibt in vielerlei Hinsicht Anlass zur Sorge. Ein Viertel der 650 Milliarden Euro umfassenden faulen Kredite innerhalb der Eurozone lauern in den Bilanzen italienischer Institute. Anfang des Jahres hat die EZB-Bankenaufsicht die italienische Bank Carige unter Zwangsverwaltung gestellt. Und kürzlich sorgte die Bankenaufsicht mit einem Warnschreiben an die 2016 verstaatlichte Monte dei Paschi für Wirbel.

Apropos Bankenaufsicht: Die Amtszeit von Sabine Lautenschläger, Vizechefin der EZB-Bankenaufsicht, läuft am 11. Februar aus. Die Zeit wird also knapp, zumal das Europäische Parlament sich noch mit der Nachfolge für die Deutsche befassen muss. Denkbar ist, dass Lautenschläger mangels anderer Kandidaten aus dem EZB-Rat vorerst im Amt bleibt. Von Draghi war dazu am Donnerstag allerdings nichts zu erfahren.

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