BA-Chef Weise im Interview „Geringe Lohnkosten sind nicht entscheidend“

Die Umsetzung der Hartz-Reform geschah unter seiner Federführung. Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise spricht im Interview über Zukunftsstrategien, seine Erwartungen an Arbeitslose und womit er unzufrieden ist.

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Frank-Juergen Weise, Leiter der Bundesagentur für Arbeit. Quelle: ap

Herr Weise, der Jobaufschwung ist zum Stillstand gekommen, die Effekte der Hartz-Reformen scheinen aufgebraucht zu sein. Brauchen wir eine neue Hartz-Reform, um die Zahl der Arbeitslosen weiter zu senken? Oder welche anderen Ansatzpunkte sehen Sie?
Weise: „Ich glaube auch, dass der Effekt der Hartz-Reformen aufgebraucht ist - zumindest in dem Sinne, dass wir Menschen, die gute Vermittlungschancen haben, in Arbeit gebracht haben. Eine neue Hartz-Reform brauchen wir trotzdem nicht: Ich würde führungstechnisch nicht empfehlen, in schwierigen Zeiten die Richtung zu ändern. Das ist aus meiner Sicht auch gar nicht erforderlich.“

Können Sie das näher erläutern?
„Wir haben - auch dank der größeren Ermessensspielräume - heute ein großes Angebot an aktiver Arbeitsmarktpolitik, um Arbeitslose mit geringeren Vermittlungschancen auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Wir brauchen vielleicht ein paar kleinere Anpassungen, aber eine große Systemänderung: Nein.“

Was muss also in ihren Augen geschehen, um mit dem bereits vorhandenen Instrumentarium die Zahl der Arbeitslosen in den kommenden Jahren weiter zu senken?
„Dazu müssen alle Beteiligten in dem System ihren Beitrag leisten: Jeder einzelne Arbeitslose, jeder Unternehmer und zu allererst die Arbeitsagenturen.“

Was müssen die Arbeitsagenturen und Jobcenter ihrer Ansicht nach künftig denn anders machen?
„Wir müssen die ungleiche Leistungsfähigkeit der Agenturen und der Jobcenter ändern. Wir haben bei der Bundesagentur ein System, mit dem sich Arbeitsagenturen mit ähnlicher Arbeitslosenstruktur vergleichen lassen. Und da sehe ich: Wir haben nicht akzeptable Unterschiede. Die einen haben eine hohe Integration (von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt), weniger Ausgaben pro Kopf und eine kürzere Durchschnitts-Arbeitslosigkeit - und dann gibt es am anderen Ende Welche, die schneiden schlechter ab. Aber ich weiß: Wir können es besser machen.“


„Jeder einzelne ist gefordert“

Und was erwarten Sie von den Unternehmern?
„Zum einen, dass sie sich den Wert qualifizierter Arbeitskräfte klar machen. Mit guten Mitarbeitern lassen sich nicht nur neue Geschäftsfelder erschließen, sondern auch Umsätze erhöhen. Gute Fachverkäuferinnen, die freundlich und kompetent beraten, verkaufen in ihrem Geschäft mehr. Dazu gehört aber, dass Unternehmen ihre Leute selbst qualifizieren. Wenn mir Unternehmen berichten, ihnen fehlten Fachkräfte, dann bitte ich sie, ihre Mitarbeiter zu Fachkräften auszubilden.“

Nun gibt es aber viele Unternehmen, die lieber im Ausland produzieren, weil dort die Arbeitskräfte billiger sind?
„Da gibt es für mich gute Beispiele, die zeigen, dass der Lohnkostenvorteil, den es irgendwo auf der Welt gibt, sofort aufgefressen wird durch Qualitätsmängel, durch Logistikkosten und anderes. Der Lohnkostenanteil in unserer Produktion macht ohnehin nur noch 20 Prozent aus.“

Und wie sollte der Betrag des einzelnen Arbeitslosen zur Senkung der Arbeitslosigkeit aussehen?
„Auch jeder einzelne ist gefordert sich im Rahmen seiner Möglichkeiten ein bisschen Mühe zu geben: Samstags Volkshochschulkurs, Englisch lernen, Unterstützung annehmen, Hauptschulabschluss nachholen, Teilqualifikation. Wir sind aber kein Staat, der dem einzelnen vorschreibt, was er zu tun hat. Er muss selbst darauf kommen: Bildung und Qualifizierung ist besser als Spielekonsole. Qualifizierte haben nun mal bessere Arbeitsmarktchancen.“

Nun gibt es aber Fachleute, die sehen in den steigenden Arbeitskosten etwa wegen der gestiegenen Löhne in Deutschland eine Belastung für den deutschen Arbeitsmarkt?
„Es ist nicht entscheidend, ob Lohnkosten gering sind. Und in diesem Punkt sieht es in Deutschland noch gut aus: Die Produktivität ist gestiegen. Und was die Arbeitskosten angeht, so liegen wir im europäischen Vergleich immer noch gut. Im Lichte der aktuellen Entwicklung sehe ich wegen der leicht gestiegenen Arbeitskosten keine Gefahr im Verzuge. Das kann sich natürlich ändern, wenn die wirtschaftliche Lage sich ändert. Zum Zweiten ist es in der jetzigen Situation, in der die Exporte in einige EU-Länder zurückgehen, eine Hilfe, dass mit den höheren Löhnen und Gehältern die Binnenkonjunktur stabilisiert wird.“

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