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Als EZB-Chefin wird Lagarde zur Totengräberin

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Mit Billiggeld hat EZB-Chef Mario Draghi den Reformeifer der Politik fast erstickt. Nachfolgerin Christine Lagarde dürfte den Anreiz zur Veränderung endgültig beerdigen. Ein Nachruf.

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Die Zäsur könnte tiefer nicht sein. Wenn Christine Lagarde bald den EZB-Vorsitz von Mario Draghi übernimmt, zieht im Frankfurter Machtzentrum noch mehr Stil ein. Und die Ex-IWF-Chefin wird auch andere Töne anschlagen, die auf manchen Notenbanker befremdlich wirken dürften.

Die neue Zentralbankchefin will über „Umweltschutz“ und die „Benachteiligung von Frauen“ sprechen statt nur über die Konjunktur, verriet sie dem EU-Parlament. Sie will sich nicht nur mit dem „traditionellen Expertenpublikum“ austauschen, sondern auch mit „jungen Menschen“ und „zivilgesellschaftlichen Organisationen“. Tatsächlich kann mehr Volksnähe der EZB-Spitze nicht schaden. Abgehoben wie die Besatzung eines Raumschiffes warf sie bislang ihre Entscheide über Europa ab – mit weitreichenden Konsequenzen, nicht zuletzt für frustrierte deutsche Sparer. Eine Geldpolitikerin zum Anfassen mit einer eigenen Meinung und genügend Empathie hilft sicher beim Aufbau von Vertrauen.

Doch Lagardes Kernaufgabe ist das nicht. Europa braucht keine gefühlte Schattenregierung, die bei gesellschaftspolitischen Themen mitredet. Europa braucht eine Geldpolitik, die die Voraussetzungen für Wachstum schafft. Und in diesem Punkt ging schon die Rechnung von Mario Draghi nicht auf. Stets betonte er, dass mit der Nullzinsstrategie der Politik Zeit für Strukturreformen gegeben würde. Passiert ist wenig. Statt Arbeitsmärkte, Rechts-, Sozial- und Steuersysteme wettbewerbsfähig zu machen, machte das billige Geld „Untätigkeit zur kurzfristig attraktiveren Option“, schrieb der Chefökonom der Deutschen Bank David Folkerts-Landau schon vor drei Jahren. Die EZB habe die Disziplinierungsmaßnahmen steigender Zinsen außer Kraft gesetzt.

von Karin Finkenzeller, Malte Fischer, Julian Heißler, Stefan Reccius, Christof Schürmann, Silke Wettach

Daran wird sich nichts ändern. Schon gar nicht, wenn die Rezessionsangst um sich greift. Während Bundesbank-Chef Jens Weidmann vor „Panik“ und einem geldpolitischen „Großeinsatz“ warnt, hat Lagarde bereits angekündigt, dass für sie die Untergrenze der Schlüsselzinsen nicht erreicht sei. Damit liefert sie genau das, was ihre Förderer wie etwa Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron von ihr erwarten. Die Refinanzierungskosten für den Staat sollen weiter sinken. Negativrenditen bei Anleihen der öffentlichen Hand sind bereits heute normal. Draghi war der Sterbebegleiter des politischen Reformeifers. Lagarde dürfte die Totengräberin sein. Immerhin mit Stil.

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