Bank of England senkt Leitzins Die Bank von England ist außer Rand und Band

Die Zinssenkung der britischen Währungshüter ist eine falsche Entscheidung. Sie wird Großbritannien langfristig schaden.

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Bank of England Quelle: AP

Der Wettlauf um die niedrigsten Zinsen und die wirkungsmächtigste Geldschwemme unter den großen Notenbanken geht in die nächste Runde. Nachdem die Währungshüter in Japan und Australien in den vergangenen Tagen die geldpolitischen Zügel gelockert haben, legt nun die  Bank von England nach. Unter Verweis auf die konjunkturdämpfenden Effekte der Brexit-Entscheidung  überraschten die Währungshüter die Finanzmärkte mit einem umfangreichen  Paket an Lockerungsmaßnahmen.

So beschlossen sie, den Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken Zentralbankgeld bei der Notenbank borgen können, auf 0,25 Prozent zu halbieren. Das ist das niedrigste Niveau in der Geschichte der 1694 gegründeten Notenbank. Darüber hinaus nehmen die Währungshüter den Kauf von Staatsanleihen wieder auf, der Bestand in ihrer Bilanz soll um 60 Milliarden auf  435 Milliarden Pfund steigen. Zusätzlich kaufen sie für bis zu 10 Milliarden Pfund Unternehmensanleihen. Zudem erhalten die Banken Zentralbankgeld zu besonders günstigen Konditionen, wenn sie dieses für die Kreditvergabe verwenden.

Zuvor hatte die Bank von England bereits die Verpflichtung der Banken, Kredite mit Eigenkapital zu unterlegen, gelockert. Zudem werden die Zentralbankguthaben der Banken aus ihrer Bilanzsumme herausgerechnet, wenn es darum geht, ihre Eigenkapitalquote zu ermitteln. Beides soll den Banken mehr Spielraum zur Kreditvergabe verschaffen.  

Der Grund für das erneute Öffnen der Geldschleusen ist die Sorge der Notenbanker  vor dem Absturz der britischen Konjunktur. Die Stimmung in der Wirtschaft und bei den Konsumenten hat sich nach der Brexit-Entscheidung deutlich eingetrübt.  Wichtige Frühindikatoren wie der  Einkaufsmanagerindex signalisieren eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal, nachdem das Bruttoinlandsprodukt  im zweiten Vierteljahr noch um 0,6 Prozent zugelegt hatte.

Wie es nach dem Referendum weiter geht
Premierminister David Cameron Quelle: dpa
Artikel 50 Quelle: dpa
Der ungeregelte Austritt Quelle: dpa
Das Modell „Norwegen“: Quelle: dpa
Das Modell „Schweiz“: Quelle: dpa
Das Modell „Kanada“: Quelle: dpa
Das „WTO“-Modell Quelle: REUTERS

Das National Institute of Economic and Social Research taxiert das Risiko einer Rezession mittlerweile auf 50 Prozent. Mark Carney, Chef der Bank von England, hat daher klar gemacht, dass die Notenbanker Gewehr bei Fuß stehen, die Geldpolitik weiter zu lockern, sollten sich die ungünstigen Konjunktureinschätzungen bewahrheiten. Die Bank von England feuert also aus allen Rohren.   

Aber bringt das der Wirtschaft den erhofften Schwung? Hilft es ihr, den Brexit unbeschadet zu überstehen? Zweifel sind angebracht. Die Gefahr ist groß, dass die Geldschwemme der Wirtschaft langfristig mehr schadet als nutzt.

Erstens leidet die britische Wirtschaft unter der Unsicherheit, wie es nach dem Brexit-Beschluss in puncto Außenhandel, Kapitalverkehr und Freizügigkeit weitergeht. Viele Unternehmen und Bürger haben ihre Investitions- und Konsumpläne vorerst auf Eis gelegt. Diese Unsicherheit aber lässt sich nicht durch niedrigere Zinsen und eine Geldschwemme beseitigen. Dazu sind vielmehr  rasche und zielgerichtete Verhandlungen mit den EU-Ländern nötig, um auch in Zukunft freien Handel zu gewährleisten. Unternehmen, die um ihre Absatzmärkte fürchten, lassen sich durch niedrigere Zinsen nicht zu Investitionen hinreißen.

Zweitens drücken die avisierten Käufe von Staatsanleihen die Finanzierungskosten für die öffentliche Hand nach unten. Das gibt der Regierung Anreize, sich in neue Schulden zu stürzen. Die Gefahr wächst, dass die von Premierministerin Theresa May in Aussicht gestellten Konjunkturstimuli (Steuersenkungen, höhere Staatsausgaben) durch Kredite finanziert werden. Höhere Schulden aber gefährden die Bonität Großbritanniens und treiben die Steuerlast künftiger Generationen in die Höhe.  

Drittens begünstigen die Käufe von Unternehmensanleihen die großen Betriebe, die sich über den Kapitalmarkt finanzieren. Kleinere Unternehmen, die auf ihre Hausbanken angewiesen sind, bleiben außen vor. Das ist Industriepolitik übelster Sorte, sie bremst die Innovationen und den Strukturwandel. Die Unternehmen erhalten zudem Anreize, ihren Verschuldungsgrad zu erhöhen. Das macht sie anfälliger für Krisen und steigert das Insolvenzrisiko.

Viertens mindern niedrigere Zinsen die Attraktivität des Vereinigten Königreichs für ausländische Anleger. Wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits von 5 Prozent der Wirtschaftsleistung ist das Land  auf Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen. Bleiben diese aus, müssen die Briten mehr exportieren oder weniger importieren, mithin den Gürtel enger schnallen.

"Wir müssen Europa entgiften"
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien muss Europa aus Sicht von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zur Überwindung der Vertrauenskrise sozialer und gerechter werden. Es gebe eine „massive Spaltung zwischen Gewinnern und Verlierern“ in der Europäischen Union, sagte der Vizekanzler am Samstag in Bonn zum Auftakt einer Reihe von SPD-Regionalkonferenzen. Ob sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in Zukunft weiter positiv entwickle, hänge entscheidend davon ab, ob Europa „stabil und kräftig“ bleibe. Gabriel betonte, Deutschland sei „Nettogewinner“ und nicht „Lastesel der Europäischen Union“, wie oft behauptet werde. Der Blick der Welt auf Europa werde sich ohne Großbritannien in der EU verändern. Rund 25 Millionen Menschen suchten in Europa Arbeit, darunter viele junge Leute - das sei „verheerend“, betonte Gabriel. „Da geht die Idee Europas verloren“ - und das erzeuge Wut und Verachtung. Der Zorn richte sich gegen das „Sparregime aus Brüssel“ und oft ebenfalls gegen Berlin. Klar sei daher, „dass wir Europa entgiften müssen“. Die EU sei von Anfang an auch als „Wohlstandsprojekt“ gedacht gewesen. Das gehöre dringend wieder stärker in den Fokus. Die EU-Schuldenländer brauchten mehr Freiraum für Investitionen in Wachstum, Arbeit und Bildung, forderte Gabriel. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den britischen Premierminister scharf kritisiert. Auf die Frage, was er davon halte, dass David Cameron erst im Oktober zurücktreten will, warf Schulz dem Premier vor, er nehme aus parteitaktischen Überlegungen erneut einen ganzen Kontinent „in Geiselhaft“. dpa dokumentiert den Wortlaut: „Offen gestanden: Ich finde das skandalös. Zum wiederholten Male wird ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens. Er hat vor drei Jahren, als er in seiner Partei unter Druck stand, den Radikalen am rechten Rand der Tories gesagt: Ich gebe Euch ein Referendum, dafür wählt Ihr mich wieder. Das hat geklappt. Da wurde ein ganzer Kontinent verhaftet für seine parteiinternen taktischen Unternehmungen. Jetzt ist das Referendum gescheitert. Jetzt sagt der gleiche Premierminister, ja, Ihr müsst aber warten, bis wir (...) mit Euch verhandeln, bis der Parteitag der Konservativen im Oktober getagt hat. Dann trete ich zurück, dann gibt's einen neuen Parteichef, der wird dann Premierminister. Also ehrlich gesagt: Man kann einen Parteitag auch morgen früh einberufen, wenn man das will. Ich finde das schon ein starkes Stück, das der Herr Cameron mit uns spielt.“ Quelle: dpa
Obama, Brexit Quelle: AP
Putin, Brexit Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: REUTERS
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa erklärt, dass der Ausgang des Referendums „uns alle nur traurig stimmen kann“. In einer vom Präsidialamt am Freitag in Lissabon veröffentlichten Erklärung betonte das 67 Jahre alte Staatsoberhaupt aber auch: „Das Europäische Projekt bleibt gültig.“ Allerdings sei es „offensichtlich“, so Rebelo de Sousa, dass „die Ideale (der EU) neu überdacht und verstärkt“ werden müssten. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Quelle: dpa

Fünftens spült die Geldschwemme das britische Pfund weich. So gab der Wechselkurs des Pfundes nach der Bekanntgabe der Zinsentscheidung gegenüber dem US-Dollar deutlich nach. Das Pfund könnte in den nächsten Monaten zur Carry-Trade-Währung werden, der Kapitalabfluss wird den Wechselkurs dann noch weiter nach unten drücken. Die Folge: Importe werden teurer, die Inflation steigt, die reale Kaufkraft der Bürger sinkt, die Briten werden ärmer.

Der Beschluss der Bank von England, die Geldschleusen zu öffnen, ist daher eine Fehlentscheidung. Statt der Konjunktur zu helfen, treibt die monetäre Lockerung  Staat, Unternehmen und Bürger weiter in die Verschuldung,  verzerrt die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen, mindert die Attraktivität Großbritanniens für Kapitalanleger, treibt die Inflation in die Höhe und schmälert den langfristigen Wohlstand das Landes. Großbritannien ist dabei, die große Chance, die der Brexit dem Land für eine bessere Wirtschaftspolitik bietet, zu verspielen.  

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