BIZ Diese Bank heizt den Zentralbanken ein

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Prozyklische Gefahren

Borio und sein Vorgänger William White trugen ihre Erkenntnisse auf einer Konferenz führender Zentralbanker im Jahr 2003 vor – und stießen auf Ablehnung. So fand der damalige US-Notenbankchef Alan Greenspan die Idee, die Notenbank solle sich mit höheren Leitzinsen gegen den Wind stemmen, absurd. Ihm sei kein Fall bekannt, in dem das zum Erfolg geführt habe, grummelte Greenspan.

Als 2007 die Finanzkrise ausbrach, zeigte sich, dass die BIZ mit ihrer Diagnose prozyklischer Gefahren recht hatte. Das brachte ihr zwar Anerkennung. Aber es führte nicht dazu, dass die Zentralbanken den Politikempfehlungen der BIZ folgten. Zwar bestreite heute niemand mehr, dass es die Finanzzyklen gebe, sagt Borio. Doch herrsche unter Zentralbankern die Meinung vor, diese durch regulatorische Maßnahmen eindämmen zu können. Das könne sich als falsch erweisen. „Der Finanzzyklus ist zu stark, als dass man ihn mit Regulierungen allein kontrollieren kann, nicht zuletzt dann, wenn die Geldpolitik mit niedrigen Zinsen den Zyklus stützt“, sagt Borio.

So erzielen die Banken im Boom höhere Gewinne, die ihnen die Möglichkeit verschaffen, ihr Eigenkapital aufzustocken und mehr Kredite zu vergeben. Restriktivere Beleihungsgrenzen für Immobilienkredite können kaum etwas dagegen ausrichten, da steigende Immobilienpreise höhere Kreditvolumina nach sich ziehen. Geldpolitisch Vollgas zu geben und gleichzeitig die Regulierung zu verschärfen habe etwas davon, „beim Autofahren Bremse und Gaspedal gleichzeitig zu treten“, kritisiert Borio.

Glossar zur Zinspolitik

Der Italiener ist skeptisch, dass es den Zentralbanken gelingt, mit niedrigen Zinsen die Inflation anzukurbeln. „Die Globalisierung hält die Preise in Schach“, erklärt Borio. Das viele Geld der Notenbanken fließe daher in die Immobilienmärkte und löse einen neuen Finanzzyklus aus, der die Gefahr einer späteren Krise in sich berge.

Die Zentralbanker reagieren auf die ostentative Kritik aus dem BIZ-Turm in Basel zunehmend gereizt. Die Analysen und Ratschläge der BIZ entstammten dem „Baseler Vakuum“ und befänden sich „außerhalb der Realität der Politik“, giftete der Chef der britischen Notenbank, Mark Carney.

Vergangenes Jahr ließ das Management der BIZ in Abstimmung mit den Zentralbankern, die im Verwaltungsrat der Basler Institution sitzen, ein Gutachten anfertigen, das die Arbeit der Abteilung von Borio kritisch unter die Lupe nahm. Der Bericht, von zwei ehemaligen Zentralbankern und einem Wirtschaftsprofessor verfasst, lobt zwar die wissenschaftliche Expertise der Borio-Abteilung. Zugleich aber wirft er ihr vor, halsstarrig an ihren geldpolitischen Heterodoxien festzuhalten. Von der Hausmeinung abweichende Positionen hätten in der BIZ kaum eine Chance, Studien würden so kalibriert, dass sie die Hausmeinung stützten, lauten die Vorwürfe.

Die Gutachter fordern die BIZ-Ökonomen auf, nicht immerzu das Ende der Welt an die Wand zu malen, sondern ihr Augenmerk auf die Erfolge der Zentralbanken bei der Krisenbekämpfung zu richten und zu analysieren, „was alles richtig gelaufen ist“. Heftiger hätte der Tritt vors Schienbein kaum ausfallen können.

Doch die Experten in Basel bleiben gelassen. Evaluierungsberichte seien grundsätzlich sinnvoll, wiegelt Dietrich Domanski, Stellvertreter Borios, die Vermutung ab, die BIZ-Ökonomen sollten mundtot gemacht werden. Die Finanzkrise habe viel wissenschaftliche Kapazität für das Krisenmanagement absorbiert. Dass die BIZ einen wirtschaftspolitischen Standpunkt habe und diesen öffentlich vertrete, sei „weder ungewöhnlich noch schlecht“, so Domanski. Auch andere Denkfabriken verträten eine klare wirtschaftspolitische Position.

Was aber, wenn es den geldpolitischen Falken aus dem BIZ-Turm nicht gelingt, mit ihrem Paradigma im Taubenstall der Zentralbanker durchzudringen? Dann, so ist zu befürchten, könnte es nur noch eine Frage der Zeit bis zur nächsten Krise sein.

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