Debatte über EZB-Beschlüsse Euro-Land in der Kapitalismusfalle

Höher, schneller, weiter: Die expansive EZB-Krisenpolitik befeuert vor allem die Märkte. Experten bezweifeln, dass der Draghi-Kapitalismus auch klammen Euro-Ländern hilft. Schon wird ein neues Wachstumsmodell gefordert.

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Der Kapitalismus wurde schon immer kritisch beäugt, wie etwa bei dieser Demonstranten in Düsseldorf vor einigen Jahren. Quelle: ap

Berlin Die Abwehrstrategie der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen einen ruinösen Preisverfall in der Euro-Zone hat eine Debatte über die Tragfähigkeit des westlichen Wirtschaftsmodells ausgelöst. Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, sieht in der EZB-Niedrigzinspolitik das „Denkmal einer gescheiterten Austeritätspolitik“ und fordert eine andere Wachstumspolitik, damit die Absenkung der immensen Staatsschulden in der Euro-Zone gelingt. Der Wormser Wirtschaftsprofessor Max Otte sieht bereits die Marktwirtschaft bedroht. Und Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer warnt davor, jetzt einen falschen Weg einzuschlagen. Konjunkturprogramme auf Pump seien das letzte, was die hochverschuldeten Krisenländer jetzt bräuchten.

Hintergrund ist das beispiellose Antikrisenpaket, mit dem die EZB das Wachstum in der Euro-Zone wieder ankurbeln will. Billiges Geld, neue Notkredite und Strafzinsen für Banken beschlossen die Währungshüter am Donnerstag in Frankfurt. An der Börse sorgte die historische Entscheidung der EZB für Jubel. Der Dax sprang erstmals in seiner 26-jährigen Geschichte über 10.000 Punkte.

Nach monatelangem Zögern machten die Währungshüter ernst im Kampf gegen den seit Monaten gefährlich niedrigen Preisauftrieb im Euro-Raum. Den Leitzins senkte die EZB wie erwartet von 0,25 Prozent auf das Rekordtief von 0,15 Prozent. Außerdem brummt die EZB Geschäftsbanken Strafzinsen auf, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Den Zins für Bankeinlagen, der seit dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise im Juli 2012 bei 0,0 Prozent lag, nahm die Notenbank auf minus 0,10 Prozent zurück.

Trotz des einstimmig beschlossenen, historischen Maßnahmenpakets betonte EZB-Präsident Mario Draghi in Frankfurt: „Wir sind hiermit nicht am Ende, solange wir uns im Rahmen unseres Mandates bewegen.“ Weitere unkonventionelle Schritte seien in Vorbereitung. Ausdrücklich nannte Draghi den Kauf von Kreditpaketen (ABS) und breit angelegte Wertpapierkäufe („Quantitative Easing“/QE). Aus Deutschland hagelte es Kritik an der Verschärfung des Krisenkurses.

„Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den Krisenländern werden durch die erneute Zinssenkung die Sparer in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört“, sagte Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisierte: „Das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln.“

IMK-Chef Horn verteidigte die EZB mit dem Hinweis, dass die derzeitige Sparpolitik der Euro-Länder „nicht etwa, wie beabsichtigt, die Schuldenstände gesenkt, sondern erhöht“ habe, weil die betroffenen Länder in teilweise „dramatische Krisen“ gestürzt wurden.


„Sparer-Interessen sind nicht gesamtwirtschaftliche Interessen“

Zwar scheine jetzt ein Bodensatz erreicht, aber mit dem zu erwartenden minimalen Wachstum lasse sich eine Umkehr in der Schuldenentwicklung nicht erzielen, sagte Horn Handelsblatt Online. Aus diesem Grund müsse ein „Strategiewechsel“ eingeleitet werden. Der erfordere neben niedrigen Zinsen, „die das investieren und konsumieren billig machen, auch investive Impulse seitens der Finanzpolitik, um ein hinreichend hohes Wachstum zu erzeugen“. All dies seien Anreize zu mehr Ausgaben und nicht zu mehr Sparen, was ein weiteres Argument für niedrige Zinsen sei. „Die Interessen der Sparer“, so Horn, „sind eben derzeit nicht die gesamtwirtschaftlichen Interessen des Euro-Raums.“

Der IMK-Chef glaubt denn auch, dass die wirtschaftliche Lage im Euro-Raum „auf längere Sicht extrem niedrige Zinsen“ erfordere: „Sie sind gleichsam das Denkmal einer gescheiterten Austeritätspolitik.“

Ähnlich äußerte sich der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick. Nicht die EZB sei für die niedrigen Sparzinsen verantwortlich, sondern die große Menge an Kapital im Euro-Raum, der zu wenige reale Investitionen gegenüber stünden. Die „mickrigen Zinsen“ für Sparer seien deshalb ein „Nebeneffekt einer verfehlten Krisenpolitik, die viel zu wenig tut, um die Investitionsschwäche der europäischen Wirtschaft zu überwinden“, sagte Schick Handelsblatt Online. „Die Schuldigen sitzen also nicht in Frankfurt, sondern in den Hauptstädten der Mitgliedsländer, allen voran in Berlin.“

Widerspruch kommt vom Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. „Die Nullzinspolitik der EZB ist das Denkmal eines Reformunwillens in Teilen der Krisenländer, insbesondere in Italien“, sagte Krämer Handelsblatt Online.

Krämer erinnerte daran, dass in den Krisenländern des Südens eine Schuldenblase geplatzt sei. Konsumenten und Unternehmen müssten sich daher beim Ausgeben zurückhalten, um ihre während der Boomjahre zu stark gestiegenen Schulden abzubauen. „Diese Bilanzreparatur dauert erfahrungsgemäß einige Jahre und geht unvermeidlich mit starken wirtschaftlichen Problemen einher“, sagte der Volkswirt. Daran ändern nach Einschätzung Krämers auch die EZB-Beschlüsse nichts. „Niemand, der zu hoch verschuldet ist, lässt sich durch niedrige Zinsen oder ein staatliches Konjunkturprogramm dazu verführen, mehr Geld auszugeben und die Konjunktur anzukurbeln“, sagte er. „Weder eine expansive Geldpolitik, noch Konjunkturprogramme wirken in einer solchen Situation nachhaltig.“

Krämer warnte, dass dadurch allenfalls ein „kurzfristiges Strohfeuer“ entfacht werden könne, an dessen Ende die Staaten noch höher verschuldet seien als zuvor. „Konjunkturprogramme auf Pump sind das letzte, was die hochverschuldeten Krisenländer brauchen“, betonte der Commerzbank-Chefvolkswirt. „Stattdessen brauchen sie mutige Reformen, wie sie beispielsweise Spanien am Arbeitsmarkt ergriffen hat. Das schlägt sich dort bereits in steigenden Weltmarktanteilen nieder.“


„EZB schafft einen Anlage-Notstand“

Von einem Wirtschaftsmodell, das auf eine expansive Geldpolitik vertraut, die Sparpolitik aber weitgehende ausklammert, hält auch der Europa-Analyst der Deutschen Bank, Nicolas Heinen, nichts. Billiges Geld allein schaffe noch keine Investitionen und bessere weder die Leistungsfähigkeit noch die Kreditwürdigkeit von Unternehmen in den Krisenländern. „Die Investorenlaune steigt langfristig nur, wenn eine glaubwürdige Politik mit Strukturreformen in Vorlage geht“, sagte Heinen Handelsblatt Online. Alles andere sei nicht nachhaltig.

„Strukturreformen mögen wehtun“, sagte Heinen weiter. Sie seien aber mit Blick auf die globale Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Raums unabdingbar. „Ich befürchte jedoch, dass die Politik sich angesichts der jüngsten EZB-Entscheidungen nun noch weniger zu unpopulären Schritten veranlasst sieht.“ Heinen ist überzeugt, dass die Niedrigzinsen für die Politik nun das beste Argument sein würden, weiter „unter Potenzial“ zu wirtschaften. „So wurde wieder einmal nur Zeit gekauft, und nicht Zukunft.“

Die Analyse des Wormser Wirtschaftsprofessors Max Otte fällt noch düsterer aus. „Die Tatsache, dass der im Vorfeld (der EZB-Beschlüsse) diskutierte Negativzins nun als Strafzins für Banken umgesetzt wurde, ist nach bereits jahrelang nach unten manipulierten Zinsen ein Zeichen dafür, dass wir uns immer mehr auf planwirtschaftlich-sozialistische Zustände zubewegen“, sagte Otte Handelsblatt Online.

Die „Aushöhlung“ der Haftung bei der Banken- und Euro-Rettung sei ein ähnlich gelagerter Vorgang, ebenso die Einführung von „manipulierbaren“ Banken-Stresstests anstelle sinnvoller Eigenkapitalregeln. Ottes Fazit: „Die Marktwirtschaft ist, getrieben durch die von den USA ausgehende Krise, bedroht.“

Commerzbank-Chefökonom Krämer weist noch auf ein weiteres Problem hin. Mit ihrer lockeren Geldpolitik stemme sich die EZB zwar gegen das „Unvermeidliche“, nämlich gegen eine niedrige Inflation und ein schwaches Wachstum. Daran werde die faktische Nullzinspolitik jedoch nichts ändern. „Aber die EZB schafft mit ihrer Politik bei vielen Anlegern einen Anlage-Notstand und treibt so die Preise an den Finanz- und Immobilienmärkten nach oben“, warnte Krämer.

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