




Eine alte Debatte bekommt gerade neuen Schwung: Ist das betriebliche Arbeitszeitkorsett noch zeitgemäß - oder hemmt es die Wirtschaft im Zeitalter von Digitalisierung und Industrie 4.0? Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts würden 2,9 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland gern länger arbeiten - und entsprechend mehr Geld verdienen.
Der Arbeitgeber-Dachverband BDA forderte jüngst die Abschaffung des starren Acht-Stunden-Tags - zeitgemäßer wäre laut BDA eine wöchentliche Höchstarbeitsgrenze. Passend dazu liefen zu Wochenbeginn Meldungen über den Ticker, wonach das japanische Modeunternehmens Uniqlo ein Modell testet, bei dem die 2000 Beschäftigten ihre Arbeitszeit auf vier statt auf fünf Tage verteilen - angeblich, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern.
Die Gewerkschaften verfolgen derartige Debatten mit Sorge. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat daher am Mittwoch eine Studie präsentiert, welche Flexibilisierungsmöglickeiten das deutsche Tarifrecht schon heute bietet. Für Reinhard Bispinck, den Leiter des WSI-Tarifarchivs, ist klar: "Wir brauchen keine Aufweichung von Schutzregeln, sondern eine kluge Nutzung der bestehenden Gestaltungsspielräume".
Beispiel Metallindustrie: Hier kann die Normalarbeitszeit von 35 Stunden dauerhaft für 18 Prozent der Arbeitnehmer auf 40 Stunden verlängert werden. In Ausnahmefällen gilt dies sogar für 50 Prozent der Beschäftigten. Zudem sind bis zu 20 Überstunden pro Monat erlaubt. Die maximal zulässige Wochenarbeitszeit liegt bei 50 Stunden. Auch in die andere Richtung sind die 35 Stunden nicht in Beton gegossen: Metallunternehmen können - allerdings nur befristet - die Arbeitszeit auf bis zu 30 Stunden herunterfahren.
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Die Typologie der Arbeitnehmer: Wer wie lange arbeitet und wie viel verdient
Im Rahmen der Xing-Arbeitsmarktstudie wurden unterschiedliche Arbeitnehmer-Typen definiert und fünf relevante Segmente gebildet. Eine der Gruppen sind die "Flexiblen", also beispielsweise Teilzeitkräfte oder Projektarbeiter. Zu dieser Gruppe gehören überwiegend jüngere Frauen mit einer durchschnittlichen Ausbildung, einem meist festen Einkommen von unter 2.000 Euro (brutto), in deren Berufsfeld Home Office oft möglich ist. Ihre Arbeitszeit beträgt zwischen 30 und 40 Stunden in der Woche.
Die Wissensarbeiter sind Befragte mit akademischem Abschluss, einem überdurchschnittlichen Verdienst von 3.000 Euro (brutto) und mehr, die in der Kreativwirtschaft, höheren Verwaltung oder Wissenschaft arbeiten. Die Arbeitszeit beträgt selten exakt 40 Stunden in der Woche.
Die "Gehaltsoptimierer" sind überwiegend jüngere Männer mit Berufsausbildung, die selten nach Tarifvertrag beschäftigt sind und in den Bereichen Produktion, Finanzen oder Handel arbeiten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden oder mehr.
In den sozialen Berufen arbeiten Menschen mit Berufsausbildung und einem oft variablen Gehalt zwischen 2.000 und 3.000 Euro (brutto). Sie arbeiten in den Berufsfeldern Gesundheit, Soziales und Lehre und sind oft in Schichtarbeit tätig.
Blue Collar-Worker sind Arbeitnehmer mit Ausbildung, die oft nach Tarifvertrag beschäftigt sind und auf dem Bau, im KFZ- oder Gastgewerbe arbeiten. Viele von ihnen haben Kinder und arbeiten unter 40 Stunden in der Woche.
Beispiel Chemieindustrie: Die Unternehmen können einen Arbeitszeitkorridor nutzen. Einzelne Gruppen, Betriebsteile oder ganze Betriebe dürfen bis zu 2,5 Stunden nach oben und unten von der Wochenarbeitszeit (37,5 Stunden) abweichen. Überstunden sind tariflich nicht begrenzt (gleiches gilt für die Druckindustrie und im öffentlichen Dienst).
Auch andere Branchen bieten laut WSI den Arbeitgebern und Arbeitnehmern Flexibilisierungsmöglichkeiten. Im bayrischen Hotel- und Gaststättengewerbe etwa darf die individuelle Arbeitszeit zwischen 30 und 48 Stunden schwanken.
Im Bankgewerbe können die Arbeitnehmer auf Langzeitkonten bis zu 195 Stunden Mehrarbeit pro Jahr ansammeln.
Generell "haben sich die tariflichen Regelungen zu Arbeitszeitkonten in den vergangenen 15 Jahren erheblich ausgeweitet", sagt Bispinck.
Doch ob das den Arbeitgebern reicht? Die BDA jedenfalls will unabhängig von tariflichen Öffnungsklauseln an ihrer Forderung festhalten, das deutsche Arbeitszeitgesetz zu novellieren. Das Gesetz habe die europäische Arbeitszeitrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt - die "Freiräume, welche die Richtlinie bietet, wurden bei der Umsetzung in das deutsche Arbeitszeitgesetz allerdings nicht voll ausgeschöpft", schreibt der Dachverband.
Das Arbeitszeitgesetz solle künftig die Höchstarbeitszeit bezogen auf die Arbeitswoche regeln - und nicht mehr auf den Arbeitstag.