Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) ist kein ungeschriebenes Gesetz, sondern ausdrücklich im Maastrichter Vertrag verankert. Trotzdem dienen die EZB und die nationalen Notenbanken den „Euro-Rettern“ in der Politik seit vielen Monaten als willige Helfer. Die EZB finanziert die Zahlungsbilanzdefizite der Krisenregionen mit der Notenpresse – und mittlerweile auch die Kapitalflucht aus diesen Ländern. Das ungezügelte Ausweiten der Geldmenge durch den EZB-Rat kommt nicht zuletzt in den viel diskutierten Target2-Salden der Deutschen Bundesbank zum Ausdruck. Diese belaufen sich mittlerweile auf knapp 700 Milliarden Euro, was 27 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung entspricht. Ökonomisch betrachtet ist der Saldo Vorbote eines Verlusttransfers von den Krisenländern auf Deutschland.
Was in der aktuellen Debatte hingegen weitgehend untergeht: Viele nationale Zentralbanken vergeben still und heimlich vor Ort zusätzliche Notfallkredite an ihre maroden Kreditinstitute, in der Fachsprache „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA) genannt. Die Bundesbank etwa vergab reichlich ELA-Kredite im Krisenjahr 2008, irische Banken erhielten diese Hilfen 2010, griechische Geldhäuser im Jahr 2011 und zuletzt wieder im Mai 2012. Die Details dieser Kredite wie Empfänger, genaue Beträge, Zinsen, Besicherung oder Laufzeit bleiben dabei stets im Dunkeln. In der EZB-Bilanz werden sie unter dem Punkt „Sonstige Forderungen an Kreditinstitute im Euro-Währungsgebiet“ mit anderen Beträgen zusammengezählt – und somit vernebelt.
ELA-Kredite müssen rückwirkend vom EZB-Rat genehmigt werden. Dabei ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, um diese Gelder zu blockieren oder eine Verlängerung von bereits ausstehenden Krediten zu verhindern und diese fällig zu stellen. Wird diese Mehrheit nicht erreicht (was die Regel sein dürfte), müsste eigentlich die Bankenrefinanzierung in anderen Ländern gekürzt werden, damit die Euro-Basisgeldmenge nicht aus dem Ruder läuft.
Wenn nationale Zentralbankräte ihre heimischen Banken durch Geldverknappung aber nicht in Bedrängnis bringen wollen, kann der ELA-Kredit im Ergebnis eine permanente Ausweitung der monetären Basis verursachen. Das erhöht zum einen die Inflationsgefahr. Zum anderen landen die mit ELA-Krediten verbundenen Risiken mit großer Wahrscheinlichkeit im Euro-System. Am Ende werden so deutsche Steuerzahler indirekt auch noch für Verluste von Auslandsbanken zahlen müssen.
Nach dem Willen der Politik soll die EZB aber nicht nur überbordende Staatsschulden und Pleitebanken finanzieren, sondern auch Impulse für die Konjunktur geben. Im Papiergeldsystem müssen dafür immer mehr Kredite und Geld zu künstlich tiefen Zinsen bereitgestellt werden.
Die Hyperinflation der Zwanzigerjahre
Dabei hat die deutsche Geschichte eindrucksvoll gezeigt, dass eine solche Strategie die monetären Verhältnisse zerrüttet. Zu Beginn der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts entschied die Führung der Deutschen Reichsbank, der Zentralbank der Weimarer Republik, mehr Geld auszugeben, um den defizitären Staatshaushalt zu finanzieren. Und das, obwohl die Reichsbank per Gesetz 1922 in die politische Unabhängigkeit entlassen wurde, auf Drängen der Alliierten und als Gegenleistung für eine vorübergehende Aussetzung der Reparationszahlungen.
Die damaligen Geldpolitiker sahen, dass die junge Republik immer stärker auf Zentralbankkredite zurückgreifen musste, um nicht pleitezugehen. Weil es sich aus ihrer Sicht um eine Existenzfrage der Republik handelte, gaben sie bereitwillig immer mehr Geld, um die überbordenden Ausgabenprogramme der Regierenden zu erfüllen. Das Ergebnis war eine Hyperinflation, die die Reichsmark nicht nur dramatisch entwertete, sondern als Geld völlig zerstörte. Die politische Unabhängigkeit der Reichsbank erwies sich als unwirksamer Schutz gegen die Geldwertvernichtung.
Die Situation des EZB-Rates ist jener der Reichsbank damals nicht unähnlich. Die Entscheidung über den Fortbestand eines politischen Projektes – diesmal der Währungsunion – liegt de facto beim EZB-Rat. Und damals wie heute soll das Anwerfen der Notenpresse der Ausweg sein.
Doch eine solche Inflationspolitik kann den Euro nicht retten. Sie übertüncht bestenfalls kurzfristig die wirtschaftlichen und politischen Schäden, rächt sich aber mit einer noch schwereren Krise in der Zukunft. Die Weimarer Hyperinflation endete bekanntlich in einem Zusammenbruch der Wirtschaft.
Die aktuelle Misere steht letztlich für den Niedergang des Euro-Papiergeldstandards und seines politischen Urhebers, des chronisch auf Pump finanzierten, ausufernden Umverteilungsstaates. Die Regierungen, Zentralbanken und ihre Einflüsterer aus der Mainstream-Ökonomik werden die Krise mit ihren Maßnahmen nicht lösen, sondern verschlimmern – auf den Spuren der Reichsbank.