
Management by Objektives! Management by Exception! Management by Customizing! Es ist erstaunlich, wie rasch sich die Methoden aus der Welt der modernen Managementlehre ändern und einander ablösen. Es ist an der Zeit, kritisch darüber nachzudenken, ob das jeweilige „Management by...“ die allein selig machende Methode sein kann, mit der sich Unternehmen erfolgreich führen lassen. Es ist nicht meine Absicht, diese Modelle a priori infrage zu stellen. Ich meine vielmehr, dass die Führung von Menschen nicht allein von zeitgeistig geprägten betriebswirtschaftlichen Kriterien her betrachtet werden sollte, sondern von den grundsätzlichen Erkenntnissen der menschlichen Natur. Deshalb meine vielleicht provozierende These: Menschen kann man nicht managen.
Dies ist meine Antithese zu den Management-by-Methoden: Man kann Menschen führen. Wo immer es in einem Unternehmen um Menschen geht, muss Management zur Führung werden. In dem Augenblick, in dem Vorgesetzte Führungsangelegenheiten wie Finanz- oder Produktionsfragen behandeln, werden sie zu Schreibtischtätern. „Management by...“ kann dann allzu leicht zu einer auf kurzfristigen Erfolg ausgerichteten Alibimethode werden, die dem Individuum in seiner Arbeitswelt nicht gerecht wird, sondern ihn in eine genormte Umgebung, eine Art betriebswirtschaftliche Zwangsjacke steckt.
Natürlich weiß ich, dass jeder an seinem Arbeitsplatz seinen Anteil am Ergebnis eines Unternehmens einbringen muss. Aber es wäre unklug, dabei die Conditio humana außer Acht zu lassen: Arbeit muss human sein. Ein vordergründig rein gewinnorientiertes Management zerstört das Arbeitsklima, untergräbt die Motivation der Mitarbeiter und mindert deren Leistung. Echte Humanität hingegen zahlt sich langfristig aus. Eine menschengerechte Unternehmenskultur muss also im primären Interesse jeder Firmenleitung liegen.
Es stellt sich allerdings die Frage: Ist die Kunst, Menschen zu führen, überhaupt erlernbar? Ich glaube nicht. Zumindest lassen sich Führungsqualitäten nicht auf Seminaren aneignen wie ein beliebiger Wissensstoff, und Defizite an Persönlichkeit sind weder durch erlernte Rhetorik noch durch einstudierte Gestik zu übertünchen. Es gibt keine seriösen Methoden, Tricks oder Kniffe, die aus einem schwachen Führer einen erfolgreichen machen könnten. Jeder Mitarbeiter durchschaut sehr bald einen Vorgesetzten, der nach einem Führungskräfteseminar plötzlich den Eindruck zu erwecken versucht, als könne er jetzt konzentriert zuhören.
Natürlich kann die Beherrschung gewisser Methoden von Vorteil sein, beim Zeitmanagement etwa oder im Fall von Gesprächsstrategien. Nur nützt das wenig, wenn nicht bestimmte natürliche Führungseigenschaften wie Aufrichtigkeit und Durchhaltevermögen von Haus aus mitgebracht werden und charakterliche Fähigkeiten wie Charisma und Gelassenheit durch Zeit und Erfahrung hinzukommen. Worauf kommt es also an? Auf Autorität, wohlverstanden natürliche, wahre Autorität, auf das gute Vorbild und auf menschengerechte, kooperative Führung im angstfreien Raum. Diese Führungskultur setzt natürlich menschliche Fähigkeiten voraus, die ich im Wesentlichen so beschreiben möchte: Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen, Überzeugungskraft und Entscheidungsstärke.
Natürliche, wahre Autorität bedeutet, die Nähe zu anderen zu suchen und auf Distanz zu sich selbst zu gehen. Sie hat also viel mit Demut zu tun. Schon der heilige Benedikt legte in seiner 1500 Jahre alten Regel zur Führung seiner Klöster größten Wert auf die Demut. Es gehört für mich zu den wunderbaren Paradoxien des Lebens, dass diese Demut einen Menschen nicht schwächer, sondern stärker macht, weil sie von der Selbstüberschätzung, der Machtbesessenheit und dem Erfolgszwang befreit. Wenn uns an wahrer Autorität und nicht an willkürlicher Machtausübung liegt, dann müssen wir damit aufhören, uns Sorgen um die Bedeutung unserer Person zu machen.
Die Kunst, Menschen zu führen, beruht nach meiner Erfahrung und Überzeugung wesentlich auf den Fähigkeiten der Führungspersönlichkeiten, Menschen die Freiheit zu geben oder zu lassen, die sie brauchen, um gute Arbeit zu leisten. Deshalb begegnen wir ihnen mit freundlicher Aufmerksamkeit und Geduld, und versuchen, jedem in seiner Einzigartigkeit, seinen Stärken wie seinen Schwächen, gerecht zu werden. Diese Methode ist mühsam, aufwendig, gewiss. Sie ist aber auch lohnend, denn damit schaffen wir das Vertrauen als dauerhafteste Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Das muss keineswegs ein konfliktfreies Arbeitsklima bedeuten. Aber es erleichtert die Lösung von Konflikten durch den offenen Dialog. Ehrlichkeit währt auch hier am längsten und ist der Humus für einen humanen und souveränen Führungsstil. Und nicht zuletzt sollten wir im ernsten Tagesgeschäft des Führens auch nicht die unglaubliche Kraft des Humors vergessen.
Der heilige Benedikt rät dem Abt bei der Konfliktbewältigung: „Er lasse sich vom Gespür für den rechten Augenblick leiten und verbinde Strenge mit gutem Zureden. Er zeige den entschlossenen Ernst des Meisters und die liebevolle Güte des Vaters.“
Und wie zeitlos diese hohe Kunst der Menschenführung ist, steht auch bei Laotse: „Wenn der Meister regiert, ist sich das Volk kaum bewusst, dass es ihn gibt. Der Zweitbeste ist ein Führer, den man liebt, der Nächste einer, vor dem man Angst hat. Der Schlechteste ist einer, den man verachtet.“