Deutsche Wirtschaft Abstürze, Rückgänge, Bremseffekte: Die Woche der Negativrekorde

Quelle: imago images

Was Experten seit Monaten vermuteten, hat sich in diesen Tagen endgültig bestätigt: Die Coronakrise hat die deutsche Wirtschaft mit voller Wucht getroffen. Wie tief können Produktions- und Exportzahlen noch fallen?

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Seit bald 30 Jahren misst das Statistische Bundesamt die Exportleistung deutscher Unternehmen. An diesem Freitag gab das Amt einen neuen Negativrekord bekannt: Die Exporte sind wegen der Coronakrise so drastisch eingebrochen wie noch nie zuvor seit Beginn der Datenerhebung. So sanken die Ausfuhren im März um 11,8 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Bei den Importen gab es mit 5,1 Prozent das größte Minus seit Januar 2009.

Insgesamt exportierten die deutschen Unternehmen Waren im Wert von 108,9 Milliarden Euro in die Welt – ein Rückgang von 7,9 Prozent zum März 2019. Nach dem gesamten ersten Quartal steht ein Minus von 3,3 Prozent zu Buche. „Die deutsche Warenausfuhr wurde im März zwischen zwei schweren Mühlsteinen aufgerieben“, erklärt DekaBank-Experte Andreas Scheuerle. „So spürten die deutschen Exporteure nicht nur die coronabedingte Schwäche des chinesischen Marktes, sondern auch das immer stärkere Wegbrechen ihres europäischen Heimatmarktes.“ Während im kommenden Monat die Impulse aus China wieder zunehmen sollten, „werden sich die Bremseffekte in Europa nochmals verschärfen“.

Bereits am Donnerstag veröffentlichte das Statistische Bundesamt die deutschen Produktionszahlen. Auch die dürften für ein Déjà-vu bei den Statistikern gesorgt haben: Im März dieses Jahrs stellen Industrie, Bau und Energieversorger 9,2 Prozent weniger her als im Vormonat. „Dies ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Zeitreihe“, konstatierte das Statische Bundesamt. Und wie es aussieht, war das nur der Anfang. Den frisch aufgestellten Negativ-Rekord könnten die Unternehmen schon im April dieses Jahres brechen.

Denn vom Shutdown sei nur die zweite März-Hälfte betroffen gewesen, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium. „Es ist von einem nochmals deutlich stärkeren Produktionseinbruch im April auszugehen.“

Diese Ansicht teilt auch das ifo-Institut. Der entsprechende Index des Instituts geht von einem noch nie dagewesenen Einbruch der Produktion aus. Das Ifo-Barometer für die kommenden drei Monate stürzte im April um 30 Zähler auf minus 51,4 Punkte. Das ist der tiefste Punkt seit der Wiedervereinigung. „Das Tal der Produktion wird immer tiefer“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Noch ein Rekord.

Autoproduktion geht zurück

Für den starken Rückgang der Produktion ist zu einem großen Teil die Autoindustrie verantwortlich. Sie zog die Industrieproduktion in Deutschland mit einem Rückgang von fast einem Drittel im Vergleich zum Vormonat nach unten. Auch hier decken sich die Zahlen mit denen des ifo-Instituts. Demnach stürzte der Index zum aktuellen Geschäft im April auf minus 85,4 Punkte, von minus 13,2 Punkten im März. In der Finanzkrise war dieser Index im April 2009 auf minus 82,9 Punkte gefallen.

Immerhin: Wegen des guten Jahresauftakts sank die gesamte Produktion im ersten Quartal nur um 1,2 Prozent. Bislang halten viele Unternehmen der Krise offenbar noch Stand. Nach einer Erhebung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) blieb die Zahl der Unternehmenspleiten in Deutschland im März und April 2020 auf Vorjahresniveau. Demnach meldeten wie in den beiden Vorjahresmonaten insgesamt 1936 Personen- und Kapitalgesellschaften Insolvenz an. IWH-Experte Steffen Müller sieht jedoch keinen Grund zur Entwarnung: „Zum einen verfügen viele Unternehmen über Reserven und melden nicht sofort bei Ausbruch einer Krise Insolvenz an.“ Zum anderen dürften staatliche Maßnahmen geholfen haben, eine Pleitewelle zumindest aufzuschieben.

Kurzarbeit trifft alle Branchen

Die schwachen Produktions- und Exportzahlen wirkten sich in den vergangenen Monaten direkt auf zahlreiche Beschäftigte in der Republik aus. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts sind vor allem die Angestellten in der Gastronomie mit 99 Prozent der Betriebe und die Hotels mit 97 Prozent von Kurzarbeit betroffen. Ebenfalls hoch ist die Anzahl der Betriebe mit Kurzarbeit in der Automobilindustrie, hier sind 94 Prozent betroffen.
Im Schnitt ist jede zweite deutsche Firma von Kurzarbeit betroffen. „Das schlägt alle Zahlen aus der Finanzkrise von 2009“, sagt der Leiter der ifo-Befragungen, Klaus Wohlrabe. „Kurzarbeit ist für die Betriebe eine Brücke über eine Zeit niedriger Umsätze. Sollten die Umsatzausfälle aber länger andauern, werden auch Arbeitsplätze ganz wegfallen“, so die düstere Wohlrabes düstere Prognose.

Vorsichtigen Grund zur Hoffnung macht immerhin das Kieler Institut für Weltwirtschaft. Der Grund: die in dieser Woche beschlossenen Lockerungen der Bundesregierung. „Die deutsche Wirtschaft hat den schlimmsten Absturz hinter sich, und es zeichnet sich nun eine Bodenbildung auf niedrigem Niveau ab“, teilten die Forscher am Freitag mit. Ähnlich sei die Situation in den Krisenländern Italien und Spanien. Beim internationalen Handel allerdings halte „der Zusammenbruch“ an.

„Während des harten Lockdowns vom 23. März bis zum 19. April dürfte die deutsche Wirtschaftsleistung insgesamt um etwa 15 bis 20 Prozent unter ihrem normalen Niveau gelegen haben und ging dabei immer weiter zurück, je länger der Lockdown dauerte“, sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. „Deutschland operiert zwar weiter deutlich unter dem Normalniveau, aber die Situation verschlechtert sich zumindest derzeit nicht weiter.“

Der Blick auf die Straße kann sich lohen

Ein möglicher Früh-Indikator für eine Verbesserung der Lage in den kommenden Monaten könnte der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex sein. Im April stürzte er noch um 10,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat ab und erreichte auch seinen tiefsten Stand seit der Ersterfassung im Jahr 2005.

Der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex bildet ab, welche Strecken große Lkw mit mindestens vier Achsen auf Deutschlands Autobahnen zurücklegen. Der Vorteil: Da die Fahrten per automatischer Einbuchung erfasst werden, steht der Index schon neun Tage nach Ablauf eines Monats zur Verfügung. Ganz anders die deutlich schwerfälligeren etablierten Indikatoren wie etwa Industrieproduktion oder Bruttoinlandsprodukt, die mit mehreren Wochen Verzug veröffentlicht werden. Ob der Mai der deutschen Wirtschaft zumindest keine neuen Negativ-Rekorde bringt, lässt sich also vielleicht schon in einem Monat erahnen.

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Mit Material von dpa und Reuters

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