Die große Jahresendverschwendung „Perverse Anreize bei den Staatsausgaben“

Wie in Loriots „Pappa ante Portas“ ist so mancher Beamter im Dezember kauflustig, wenn am Ende des Jahres noch Geld im Topf ist. Quelle: imago images

Klopapierberge, überteuerte Bürostühle, unangemessene Vorauszahlungen: Wenn in Behörden zum Jahresende noch Geld im Topf ist, zeigt die Beamtenschaft viel Kreativität beim schnellen Ausgeben. Wie sich das ineffiziente und verschwenderische „Dezemberfieber“ heilen lässt, beschreibt der Ökonom Christoph Siemroth in einem Gastbeitrag.

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Das Haushaltsrecht der deutschen öffentlichen Finanzen basiert bis auf Ausnahmen auf den Prinzipien der „Jährlichkeit“ und „zeitlichen Bindung“: Die Finanzmittel stehen für ein Jahr zur Verfügung und verfallen, wenn sie ungenutzt bleiben. Es gibt Anekdoten, die von Beamtinnen und Beamten erzählen, die im Dezember panisch versuchen, ungenutzte Mittel auszugeben.

Eine Sorge ist, dass diese Ausgaben entweder unnötig sind oder wegen des Zeitdrucks schlecht ausgeführt werden, etwa weil die besten Anbietenden so kurzfristig nicht liefern können. Mit anderen Worten: Ein Teil der öffentlichen Mittel wird verschwendet. Das Phänomen besteht weltweit und ist so bekannt, dass es hierzulande seinen eigenen Namen hat: „Dezemberfieber“. In Kanada endet das Fiskaljahr im März, dort werden die exzessiven Jahresendausgaben als „March Madness“ bezeichnet. In den USA heißt das Phänomen „use it or lose it“. Dort campieren Vertriebsleute förmlich in der letzten Woche des Fiskaljahres in Ministerien, falls doch noch schnell ein paar Millionen auszugeben sind (Liebman und Mahoney, 2017).

In den USA kommt es regelmäßig zu einem Aufschrei, wenn öffentliche Finanzmittel vermeintlich verschwendet wurden, etwa wenn das Pentagon kurz vor Jahresende Millionen für Hummer ausgibt oder einen Bürostuhl für 9000 Dollar kauft (Military Times, 2019).

Zur Person

Eine Art von Verschwendung sind somit Ausgaben, die nicht oder günstiger getätigt worden wären, wenn die Finanzmittel nicht verfielen. Eine weitere Art besteht darin, dass zwar nicht mehr ausgegeben wird, aber wegen des Zeitdrucks am Jahresende eine geringere Qualität gekauft wird. In Deutschland waren Trainingsprogramme für Arbeitslose, die nur wegen verbleibender Mittel am Ende des Jahres stattfanden, wirkungslos (Fitzenberger et al.,2016), obwohl die Programme normalerweise durchaus die Arbeitslosigkeit senken. Liebman und Mahoney zeigen für die USA, dass die Qualität von IT-Projekten, die in der letzten Woche des Jahres geordert wurden, später zwei bis sechs Mal häufiger schlecht bewertet wurde als die von vorher georderten Projekten.

Beschaffungsbeamte versuchen teils, die Regeln in bester Absicht zu umgehen. Eine Buchprüfung in Missouri bemängelte, dass am Jahresende Vorauszahlungen für Güter und Dienstleistungen geleistet wurden, die erst Monate oder Jahre später erbracht werden sollten (Schweich, 2012). Die Verschwendung besteht hier in dem Risiko, dass die Leistung nicht erbracht wird, weil die Dienstleister vorher bankrott gehen. Oder die Mittel werden für haltbare Güter ausgegeben, die hoffentlich später noch einen Nutzen haben. Einem kanadischen Offizier wurde zum Beispiel befohlen, eine Zugladung Klopapier zu kaufen, bevor die Mittel verfallen (Hurley et al., 2014). Diese Anschaffung ist nicht komplett verschwendet, vermutlich lässt sich die Wagenladung später ihrem Zweck zuführen.

Aber der Umtausch von Finanzmitteln in Güter ist mit einem Verlust von Wert und Flexibilität verbunden. In den meisten Fällen würden die öffentlichen Mittel besser verwendet, wenn es entweder die Möglichkeit gäbe, sie zeitlich flexibler zu nutzen, also in der gleichen Abteilung zu einem späteren Zeitpunkt, wenn mehr Anschaffungen nötig sind. Oder wenn es die Möglichkeit gäbe, ungenutzte Mittel zu Abteilungen zu transferieren, die unterfinanziert sind. Könnte man die Jahresendverschwendung verringern, dann könnte der öffentliche Sektor mit den gleichen Mitteln mehr oder das Gleiche mit weniger Mitteln erbringen.

Unter den existierenden Regeln gibt es kaum Anreize für Abteilungen in Ämtern und Ministerien, nicht alles auszugeben. Vielmehr gibt es starke Anreize, alles auszugeben, egal, ob das nötig ist, um den Auftrag der Abteilung zu erfüllen oder nicht. Der am häufigsten genannte Grund, warum verschwenderisch alles ausgegeben wird, ist die Befürchtung, dass sonst in den folgenden Jahren die Mittel gekürzt werden. Das will keine Abteilung, denn mit Unterfinanzierung zu kämpfen, ist unangenehmer als mehr als nötig auszugeben.

Das sind perverse Anreize. Sparsame werden bestraft, Verprassende unter Umständen sogar mit mehr Mitteln belohnt. Auch haben die Abteilungen selbst etwas davon, zum Beispiel eine schönere Büroausstattung oder interessante neue Technologie für sich anzuschaffen, sodass Ausgeben der Nichtnutzung vorgezogen wird.

Ökonomische Modelle erlauben es zu untersuchen, welche Regeln verschwenderische Jahresendausgaben minimieren könnten. Das Modell Siemroth (2022) zeigt, dass ein Übertrag ungenutzter Mittel in das Folgejahr möglich gemacht werden sollte. Das Modell zeigt auch, dass unter bestimmten Bedingungen kein voller, sondern ein anteiliger Übertrag optimal ist. Statt alle ungenutzten Mittel zu übertragen, stehen also zum Beispiel 75 Prozent der ungenutzten Mittel im nächsten Jahr zur Verfügung. Somit haben Abteilungen einen Anreiz, nicht alles ineffizient auszugeben, denn sie können einen Teil der Mittel später verwenden. Der zurückgegebene Teil kann unterfinanzierten Abteilungen helfen.

Dieser Vorschlag mag auf Skepsis treffen: Der Übertrag ungenutzter Mittel könnte ja zu einem Überschuss an Geld führen, das ungenutzt bleibt. Aber im schlimmsten Fall werden die Mittel dann später statt früher verschwendet, was nicht schlimmer ist als der Status quo. Im besten Fall werden die Mittel nicht mehr verschwendet, sondern nur später sinnvoll genutzt. Es ist also eine Verbesserung, denn nötige Ausgaben lassen sich weiterhin sofort tätigen, und die zusätzliche Flexibilität vermindert Verschwendung.

Das Modell von Malenko (2019) untersucht frei von institutionellen Beschränkungen, wie eine optimale Kapitalzuweisung an eine Abteilung aussehen würde. Das Ziel dieser Budgetregelung ist, dass die Abteilung ihren Auftrag erfüllen kann, aber gleichzeitig so wenig Mittel wie möglich verschwendet. Die optimalen Regeln lauten wie folgt: Die Abteilung bekommt kontinuierlich Mittel, etwa jeden Monat, die flexibel für Zwecke bis zu einer bestimmten Höhe ausgegeben werden können. Die Mittel verfallen nie, somit gibt es keine verschwenderischen Jahresendausgaben. Man kann das als unbegrenzten und vollen Mittelübertrag interpretieren.

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